Medebach. Sie sind die größten Lebewesen des Sauerlandes. Sie sind so hoch wie Medebachs Kirchturm. Und sie trotzen bislang erfolgreich dem Borkenkäfer:
Ein altes Sprichwort sagt: Der liebe Gott lässt keine Bäume in den Himmel wachsen. So ganz stimmt das nicht. Denn ausgerechnet in der Gemarkung „Jungholz“ in Medebach-Glindfeld recken 38 alte Baumriesen ihre Kronen fast bis zu Petrus in die Wolken. Sie haben mehr als 130 Jahre auf dem Buckel. Die gigantischen Douglasien sind angeblich über 60 Meter hoch und damit die größten Lebewesen des Sauerlandes. Mit dem Wetterhahn der Medebacher Pfarrkirche St. Peter und Paul sind sie damit auf Augenhöhe und per Du. Als einer von mehr als 40 Sauerländer Seelenorten mit einer ganz besonderen Ausstrahlung erfahren die „Baumbarts“ in jüngster Zeit auch eine neue touristische Aufmerksamkeit. Doch uns interessiert heute mehr der Baum als solcher.
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„Schauen Sie sich die Rinde an. Die ist mit sieben, acht Zentimetern fast doppelt so dick wie die einer Fichte. Auch die Oberfläche ist ganz anders. Die hat noch kein Borkenkäfer durchbohrt. Bis jetzt noch nicht. Wer weiß, wie schnell die Tierchen sich anpassen…“
Respekt und Ehrfurcht
Mit Respekt und einer großen Portion Ehrfurcht betrachtet Förster und Revierleiter Sebastian Kuhlmann die Douglasien, die in einer etwa 150 Meter langen Reihe im Staatsforst stehen. „1890 hatte das Königlich-Preußische Forstamt säckchenweise Samen verschickt mit der Anweisung, es mal mit diesem nordamerikanischen Baum zu versuchen“, heißt es in der Seelen-Orte-Beschreibung. Und obwohl sie damals eigentlich mit viel zu geringem Abstand in die Erde gebracht wurden, haben die Bäume sich ihren Weg gebahnt, ihre Kronen dort ausgebildet, wo Platz war, sind schnurstracks nach oben gewachsen und überragen die höchsten Tannen und Fichten des Sauerlandes locker um 20 Meter. „Die werden uns beide überleben. In Nordamerika gibt es Exemplare, die 500 Jahre alt sind“, sagt der Förster.
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Ideale Bedingungen
Die 38 Holzkolosse haben aber auch ausgerechnet hier ideale Bedingungen gefunden. „Der Boden ist gut, sie brauchen wenig Wasser und können hier tief wurzeln“, erklärt Forstoberinspektor Kuhlmann. Ganz anders als die Fichte. Die kratzt sich nur so weit in die Erde, wie der Boden es zulässt, streckt ihre Fühler nur bis zum nächsten Wasser aus und geht nicht tief ins Erdreich. Wer ein wenig vom Physikunterricht und der Hebelwirkung behalten hat, der kann sich vorstellen, wie schnell der Wind sich eine Fichte packt und sie aufs Kreuz legt. Rums! Das ist bei diversen Stürmen der Vergangenheit passiert. Und dann kam auch noch die Trockenheit. Es war so dröge, dass die Fichten nicht einmal genug Harz absondern konnten, um die „Borkenkäfer-Einschüsse“ zu verschließen. In ihrer existenziellen Angst drehte die Fichte im Frühjahr auch nochmal richtig auf, und blühte zu Tode. Verrückt! Kuhlmann: „Um es mal ganz drastisch zu sagen: Momentan herrscht Krieg im Wald.“
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Der forstliche Laie könnte nun meinen: Dann lasst uns doch überall Douglasien pflanzen. Doch ganz so einfach ist das nicht. „Die Forstwirtschaft steht vor einer schier unlösbaren Herausforderung. Der Landwirt kann auf seinem Acker Rüben anpflanzen und nach einem Jahr feststellen, Getreide wäre doch besser gewesen. Doch wir müssen jetzt Wald neu bepflanzen und für ein Klima in 100 Jahren planen, von dem wir nur ahnen können, wie es sich in nächster Zeit entwickeln wird“, sagt Kuhlmann. Douglasien darf er aktuell im Staatsforst gar nicht pflanzen: FFH-Gebiet. Ähnlich wie ein Bebauungsplan vorschreibt, welche Häuser in einer Siedlung entstehen dürfen, gibt es einen Landschaftsplan, der u.a. festlegt, welche Baumarten erlaubt sind. „Der Plan ist schon etwas älter, die Klimaveränderungen sind neu und rasant – vielleicht müsste man auch den Plan einmal überdenken, denn die Natur verändert sich schneller, als die Vorschriften nachkommen“, regt der Fachmann an.
Die Mischung macht’s
Klar ist aber: Auf Dauer kann es nur die Mischung bringen. „Wir dürfen nicht von einer Mono-Kultur in die nächste übergehen. Man muss ganz genau die jeweiligen Standorte betrachten. Auf einer Bergkuppe gedeiht eine Sorte besser als in einem feuchten Tal. Lärche, Douglasie, Esskastanie, Ahorn, Buche, Eiche – all das geht je nach Lage. Und all das ist besser als Freiflächen, wo Nährstoffauswaschungen, Bodenerosion oder unerwünschte Begleitvegetationen entstehen. Nochmal: Wir müssen jetzt Bäume pflanzen für ein Klima, auf das wir erst noch zugehen.“Eine möglichst große Artenvielfalt beim Baumbestand sorgt auch für einen gesunden Mix an Tierarten. „Die Eiche bildet zum Beispiel von sich aus viel Totholz, wo sich bestimmte Insekten und Vögel wohl fühlen. Und Schädlinge sind sehr wirtsspezifisch – auch das spricht für eine gesunde Mischung“, erklärt der Fachmann. Heute Morgen hat er eine Borkenkäferfalle entleert, um zu sehen, wann das nächste Luftgeschwader sich in Richtung Baumrinden aufmachen wird. Der kleine Plastikbeutel enthält eine gute Kaffeetasse voll mit kleinen „Buchdruckern“. Das sind ungefähr 2000 Stück. 200 reichen aus, um einer kapitalen Fichte den Garaus zu machen. „Es betrifft inzwischen auch die Höhenlagen. In den Fachbüchern steht, der Käfer fliegt nicht in Gegenden über 600 Meter Höhe. Der Käfer kann offenbar nicht lesen.“ Bedrückend.
Bestes Gen-Material
Die Douglasien haben im Glindfelder Forst so gute Bedingungen gefunden, dass ihr Samen gesammelt werden und zur weiteren Vermehrung beitragen dürfen. Gutes Genmaterial. Mit ihren 130 Jahren sind sie im Staatsforst zwar die größten, aber noch nicht einmal die ältesten Bäume. „Wir haben Eichen, die über 200 Jahre alt, aber nur 30 Meter hoch sind.“ Auch von der Wirtschaftlichkeit her betrachtet, kann die Douglasie mithalten. „Pro Jahr und Hektar spricht man von einem Zuwachs von 12 bis 15 Festmetern; das ist etwas mehr als bei der Fichte. Bei der Eiche sind es nur fünf bis sechs.“ Auf lange Sicht wird die Douglasie daher vermutlich Teilaufgaben der Fichte mit übernehmen - auch als Bauholz.“
Richten wir noch einmal den Blick nach oben in die Douglasien, die irgendwie zum Symbol des Widerstandes und des Überlebenswillens geworden sind. „Irgendwie wird man hier unten ganz klein und demütig. Der monumentale Anblick erdet einen. Lauschen Sie mal! Es ist ganz still hier.“