Hochsauerland. Wer sich gegen Corona impfen lassen möchte, sollte das tun: Ein Arzt berichtet, dass er die ersten überzähligen Impfdosen wegschütten musste.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Christdemokraten im EU-Parlament hatte es im Mai vorhergesagt: „Ab dem dritten Quartal werden wir im Impfstoff ertrinken.“ Und Dr. Peter Liese soll Recht behalten. Noch vor wenigen Wochen wurde um einen Impf-Termin gebuhlt. In den Impf-Zentren gab es vorübergehend nur Zweit-Termine und jetzt muss die Musik spielen und am besten noch ein Bierzelt aufgestellt werden, damit die Spritze in den Arm kommt. Verrückte Welt!

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Die Nachfragen nach Impfterminen ist momentan eher gering, so dass das heimische Impfzentrum erneut seine Öffnungszeiten reduziert. Heute, Samstag, ist es geschlossen. Ab Sonntag ist es bis einschließlich 1. August nur von 14 bis 20 Uhr geöffnet. Alle bereits gebuchten Vormittagstermine wurden durch das Impfzentrum verlegt.

Künftig auch ein Kinderarzt im Impfzentrum

„Ich glaube gar nicht mal, dass die Leute impfmüde sind. Viele sind bereits geimpft; jetzt müssen wir die Randgruppen und die Jüngeren erreichen“, sagt Dr. Christoph Hüttemann, Ärztlicher Leiter des HSK-Impfzentrums in Olsberg. Ab dem kommenden Samstag, 31. August, wird immer samstags ein Kinderarzt im Impfzentrum sein, um Kinder im Alter zwischen 12 und 17 Jahren und deren Eltern zu beraten und zu impfen.

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Der HNO-Facharzt Dr. med Frank Koslowski hat in seiner Praxis in Brilon viele Menschen geimpft - aus tiefer Überzeugung. Für ihn ist es die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung des Virus zu stoppen und wieder zur Normalität zurückzukehren. „Vergangene Woche hatte ich aber wirklich Tränen in den Augen, weil wir zum ersten Mal aus einem angebrochenen Fläschchen zwei Dosen wegschütten mussten. Meine Mitarbeiterinnen haben händeringend versucht, eine Liste mit Impfwilligen abzutelefonieren. Vergeblich.“ Dr. Koslowski appelliert daher noch einmal eindringlich, sich impfen zu lassen: „Auch der Wirkstoff von Johnson & Johnson hat eine hohe Wirksamkeit. Vor allem, wer noch in Urlaub fahren möchte, ist mit einer einzigen Impfung dadurch - und man schützt sich und andere.“

Überzählige Impfstoffe an bedürftige Länder abgeben

Die Vorstellung, dass das Verfallsdatum der Vakzine ablaufen könnte, bereitet ihm Sorge. „Wir haben jetzt erst ein Rundfax bekommen, dass wir überzählige Impfstoffe nicht in andere Länder, die sie gebrauchen könnten, abgeben dürfen. So etwas muss doch z.B. über große Hilfsorganisationen irgendwie möglich sein?“ Dr. Koslowski hofft außerdem, dass auch bald immer mehr Kinder an die Impf-Reihenfolge kommen und die Ständige Impfkommission entsprechende Empfehlungen ausspricht.

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„Dass eine Impfdosis entsorgt werden musste, habe es bei uns bislang noch nicht gegeben“, sagt Dr. Hüttemann. Das sei aber auch ein Verdienst von Marc Heines und Andrea Gerbracht vom HSK.“ Die beiden planen das immer sehr genau. Wenn wir im Laufe des Nachmittages feststellen, dass noch Impfstoff im Anbruch ist, werden die Bürger auf der Liste vom nächsten Tag angerufen, ob sie heute noch kommen können. Und in der Regel hat das immer gepasst.“ Allerdings könne man nicht ausschließen, dass auf absehbare Zeit die eine oder andere Dosis weggeworfen werden müsse. Hüttemann: „Das war absehbar und wird sich nicht vermeiden lassen. Aber das werden Einzelfälle sein.“

Dr. Peter Liese fordert: Geimpfte müssen mehr Freiheit genießen

Den nicht mehr benötigten Impfstoff zurückzugeben oder in andere Länder zu schicken, sei nicht so ohne Weiteres möglich. „Die Vakzine sind Eigentum des Bundes; man muss auf jeden Fall sicherstellen, dass die Kühlketten nicht unterbrochen wurde. Aber dafür ist ein Konzept in Arbeit“, so Dr. Hüttemann.

Auf die Frage, was mit überzähligen Impfstoffen passieren könne, sagt die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung, Vanessa Pudlo: „Die Praxen können natürlich versuchen, ihre noch nicht geimpften Patienten zu kontaktieren und zu beraten. Der Impfstoff kann aber auch an andere Leistungserbringer, sprich Ärzte oder Impfzentren, übergeben werden.“ Aber die haben ja offenbar auch genug davon.

BionTech, so Pudlo, könne im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C (im aufgetauten Zustand) maximal 31 Tage, Moderna im Kühlschrank maximal 30 Tage, Astra Zeneca: Im Kühlschrank sechs Monate und Johnson & Johnson drei Monate aufbewahrt werden.

Weitergabe an Drittstaaten laut EU erlaubt

Auf Anfrage unserer Zeitung betonte Dr. Peter Liese gestern: „Der Impfstoff muss auf keinen Fall vernichtet werden. Die Verträge, die die Europäische Kommission mit den Impfstoffherstellern geschlossen hat, erlauben es, den Impfstoff an Drittstaaten weiter zu geben. Für uns ist besonders wichtig, dass unsere Nachbarn, zum Beispiel auf dem Balkan, schnell geimpft werden. Aber für die Welt ist es auch wichtig, dass Afrika schnell mehr Impfstoff bekommt.“ Problematisch sei es, wenn kurzfristig Impftermine abgesagt würden, da der Impfstoff nur eine begrenzte Zeit haltbar seit. Da könne es in der Tat in einzelnen Fällen dazu kommen, dass eine angebrochene Glasflasche mit Impfstoff, nicht vollständig aufgebraucht werde.

Aktuelle Corona-Statistik

Am Freitag, 23. Juli, 9 Uhr, verzeichnet die Statistik des Kreisgesundheitsamtes fünf Neuinfizierte und fünf Genesene. Die 7-Tages-Inzidenz beträgt 10,8 (Stand 23. Juli, 0 Uhr). Aktuell gibt es damit 30 Infizierte, 9.657 Genesene, 9.888 bestätige Fälle sowie 201 Sterbefälle in Verbindung mit einer Corona-Infektion. Stationär wird eine Person behandelt.

Die 30 infizierten Personen verteilen sich insgesamt wie folgt auf die Städte und Gemeinden: Arnsberg (3), Bestwig (2), Brilon (5), Eslohe (0), Hallenberg (0), Marsberg (5), Medebach (0), Meschede (2), Olsberg (0), Schmallenberg (3), Sundern (9) und Winterberg (1).

Mit Stand von Mittwoch, 21. Juli, 10 Uhr, gibt es im Hochsauerlandkreis 170.038 Erstimpfungen und 137.190 vollständig geimpfte Personen. Nicht enthalten sind die Daten von Betriebs- und Privatärzten.

In Sachen Impfmüdigkeit verweist der heimische Europaabgeordnete auf andere Länder: In Frankreich, Italien und Griechenland gibt es eine Impfpflicht für medizinisches Personal. Dort droht tatsächlich die Entlassung, wenn man sich nicht impfen lässt. Dr. Liese: „Ich halte das aber für Deutschland nicht für den richtigen Weg. Denn die Bundesregierung hat immer gesagt, dass es keine Impfpflicht geben werde. Deshalb muss man diese Linie weiterverfolgen, um Vertrauen nicht zu verspielen. Außerdem haben wir ohnehin einen Pflegekräfte-Mangel. Wenn dann auch noch Pflegepersonal gekündigt werde, mache das die Situation nicht besser.

Mit Argumenten überzeugen

Dr. Liese: „Wir müssen auf Argumente und Überzeugung setzen. Aber was die Vorteile für Geimpfte angeht, können wir von anderen Ländern lernen. In vielen Ländern sind die Tests, die man ja in Zukunft auch in Deutschland wieder verstärkt brauchen wird, um zum Beispiel die Gastronomie zu nutzen, nicht mehr kostenlos. Perspektivisch sehe ich das auch in Deutschland als die richtige Lösung. Warum soll der Steuerzahler dafür aufkommen, dass sich Menschen nicht impfen lassen? Und die Vorteile für Geimpfte, z.B. bei Verzicht auf Quarantäne, sind auch in anderen Ländern deutlicher ausgeprägt. Es gab z.B. in Deutschland eine Quarantänepflicht auch für Geimpfte, die aus Portugal zurückkommen. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass diese aufgehoben wird und das ist ja auch gottseidank auch geschehen. Geimpfte sind ein geringeres Risiko und müssen deshalb auch mehr Freiheiten genießen.