Brilon/Leeds. Ein Inzidenzwert von fast 500 und trotzdem keine Regeln mehr zur der Corona-Pandemie. Eine Brilonerin erlebt das vor Ort mit gemischten Gefühlen.
Sie wirken ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Bilder von vollen Clubs, eng aneinander tanzenden Menschen ohne Maske oder andere große Menschenansammlungen. All das ist in Großbritannien seit dem vergangenen Montag wieder möglich. Unter dem Titel „Freedom Day“, zu deutsch Freiheitstag, hat Premierminister Boris Johnson die britische Bevölkerung von allen Corona-Schutzmaßnahmen freigemacht – und das bei einem Inzidenzwert jenseits von 400. Für Freia Mühlenbein hat sich seitdem noch nicht viel verändert. Die in Leeds lebende Brilonerin hält sich weiter an die Maßnahmen. Alleine ist sie damit nicht.
Im Endeffekt sind es anarchische Zustände, die in Großbritannien derzeit herrschen. „Jeder kann jetzt für sich entscheiden, ob und wie er sich an die Regeln hält“, sagt Freia Mühlenbein. Gezwungen wird seit diesem Montag, den 19. Juli 2021, in Großbritannien niemand mehr. Die Regierung des Landes hat alle Corona-Maßnahmen, die in den vergangenen 18 Monaten für eine immense Einschränkung des öffentlichen Lebens auf der Insel gesorgt hatten, aufgehoben. Freia Mühlenbein kann das nicht nachvollziehen.
In der Familie gelten die Regeln weiter
„Ich weiß nicht, ob das der richtige Schritt ist“, sagt sie. 2006 verlässt Mühlenbein Brilon für ihr Studium nach Freiburg, 2010 beendet sie dieses in Großbritannien. Seit dem lebt und arbeitet sie in dem Land, „das jetzt wieder einmal das Versuchskaninchen sein möchte“, wie Mühlenbein findet. Dabei möchte das die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft überhaupt nicht. Das alle Regeln an einem Tag fallen, hält auch Mühlenbein nicht für richtig. „In meiner Familie und in meinem Freundeskreis halten wir uns weiter an die Regeln“, sagt sie.
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Auch, wenn die vergangenen Monate in Großbritannien deutlich härter waren für die Menschen dort, als in Deutschland. „Wir hatten einen sehr strengen Lockdown“, sagt Mühlenbein. Beispielsweise durften die Menschen ihren Wohnsitz nur in begründeten Fällen verlassen, Treffen mit mehreren Personen wie hierzulande waren bis vergangenen Montag immer noch untersagt. Jetzt, mit Wegfall aller Regeln, gelte eher das Prinzip „alles kann, nichts muss“ – und das sorgt für gemischte Gefühle.
Volle Bars und tanzende Menschen auf den Tresen
Gerade weil immer noch viele Menschen auf die vorher geltenden Schutzmaßnahmen pochen. Die jüngeren Briten hingegen scheinen sich laut Mühlenbein nicht sonderlich um eine Ansteckung mit der auch in Großbritannien weit vorherrschenden Delta-Variante des Coronavirus zu sorgen. „Die Bars sind voll, auf den Tresen wird getanzt. Für meinen Geschmack ist das einfach zu voll“, sagt sie.
Zumal auch einige Geschäftsinhaber weiterhin auf das Tragen einer Schutzmaske in ihren Räumlichkeiten setzen. In anderen Läden hingegen begrüßen die Inhaber den Wegfall der bisher geltenden Regeln und lassen auch Menschen ohne Maske in ihr Geschäft. „Das macht es in meinen Augen schon komplizierter, weil man nicht weiß, wo jetzt noch eine Maske Pflicht ist und wo nicht“, sagt Freia Mühlenbein.
Seit 18 Monaten nicht im Büro
Ihr Arbeitgeber hat seine Türen im Zuge des Freedom Days ebenfalls geöffnet. Wer möchte, kann nach 18 Monaten ohne Präsenz wieder am Schreibtisch in seinem Büro sitzen – und wer das nicht möchte, darf auch weiterhin von zu Hause aus arbeiten. Normalität sieht auch nach dem Wegfall jeglicher Regeln anders aus.
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Welche Auswirkungen die britische Corona-Politik hat, wird beim Blick auf die dortige Corona-Warn-App deutlich. Wer sich beispielsweise in einer Bar eingecheckt hat und Kontakt zu einer infizierten Person hat, der muss eigentlich für zehn Tage in Quarantäne. Die hohe Inzidenz auf der Insel führt dazu, dass innerhalb von nur einer Woche rund 500.000 Menschen eine Meldung von ihrer App bekamen. „Jetzt löschen alle die App“, sagt Freia Mühlenbein. Das sorgt für weniger Nachvollziehbarkeit der Infektion – und könnte in einem pandemischen Drama enden.
Freia Mühlenbein sieht die Lage in Großbritannien kritisch. Was die idealste Lösung wäre, weiß sie aber auch nicht. Aber wer kennt die in diesen Tagen schon?