Brilon. Balken, die vor dem Schrank verlaufen, Fischgräten im Hausflur, ein berühmter Briloner als Vormieter: Das älteste Haus der Stadt ist besonders.

Carolin Becker warnt beim Verlassen ihrer Wohnung. Wenn das Licht im Hausflur aus ist, ist der schwarze Balken direkt vor ihrer Wohnungstür nur zu erahnen. Oft habe sie sich da schon den Kopf gestoßen, sagt sie und lacht. Sie trägt mit Humor, was sie angesichts ihrer ungewöhnlichen Wohnsituation gerne in Kauf nimmt. Denn Carolin Becker wohnt in einem Haus, in dem sich wahrscheinlich schon ganz andere Menschen den Kopf an den schwarzen Balken gestoßen haben. Ein Haus, das fast 600 Jahre alt ist.

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Wer nicht aus Brilon kommt, muss schon ein wenig suchen, wenn er oder sie das älteste Wohnhaus der Stadt erspähen möchte. In der Schulstraße 14 steht das Gebäude, das nach Untersuchungen seine Ursprünge im Jahr 1431 hat. 590 Jahre hat der Kern des Bruchsteinhauses, das im 17. Jahrhundert um einen Fachwerkanbau erweitert wurde, bereits auf dem Buckel. Eine Ewigkeit, die dem Haus auf dem ersten Blick nicht unbedingt anzusehen ist.

Umbau bringt Historie zum Vorschein

Im Inneren des Hauses sieht das aber ganz anders aus. „Wir können hier nicht einfach einen Schrank hinstellen und er steht gerade“, sagt Carolin Becker. So ein fast 600 Jahre altes Haus hat eben seine Eigenheiten. Durch die Räume laufen beispielsweise Balken, im Schlafzimmer sind es gleich mehrere. Hinter einem davon ist der Kleiderschrank installiert. „Man gewöhnt sich daran“, sagt Caroline Becker und lacht.

Überall verlaufen schwarze Balken durch die Wohnung von Carolin Becker. Sogar genau vor dem Kleiderschrank.
Überall verlaufen schwarze Balken durch die Wohnung von Carolin Becker. Sogar genau vor dem Kleiderschrank. © Fabian Vogel | Fabian Vogel

Doch nicht nur in ihrer Wohnung lassen sich außergewöhnliche Dinge erblicken. Vor 30 Jahren, als das Haus durch den Briloner Architekten Eckhard Lohmann umgebaut wurde, befand sich im Erdgeschoss noch ein Rinderstall. Bei der Restaurierung fanden Lohmann und Eigentümer Robert Becker Fresken, die aus dem 16. Jahrhundert stammen. Ebenfalls ein beeindruckendes Relikt aus der Vergangenheit ist der Fußboden im Eingangsbereich des ursprünglichen Bruchsteinhauses. Dort liegen Jahrhunderte alte Flusssteine, angeordnet in einem sogenannten Fischgrätenmuster. „Dafür wurde mir schon viel Geld geboten“, sagt Robert Becker. Doch zum Verkauf steht nichts in diesem Haus.

Bid zu 1.50 Meter dicke Wände

Dafür hat das, im Stadtbild auch als Arche oder altes Pastorat bekannte Gebäude, auch viel zu viel zu erzählen. Unter anderem die Geburt eines der berühmtesten Briloners überhaupt: Johann Suitbert Seibertz. 1788 erblickte der westfälische Geschichtsforscher hier das Licht der Welt. Nicht ganz soweit in die Vergangenheit reichen die Geschehnisse rund um den zweiten Weltkrieg, als drei Bomben dem Haus zwar zusetzten, es aber nicht zerstören konnten. Was mitunter auch mit der massiven Bauweise des Hauses zu tun hat. Bis zu 1.50 Meter dick sind die Wände, die aus Bruchsteinen errichtet und später verputzt wurden. Eine Schießscharte, also eine Aussparung inmitten der Hauswand, lässt die massive Bauweise gut erkennen.

Vom Garten lässt sich das ursprüngliche Bruchsteinhaus noch besser erkennen.
Vom Garten lässt sich das ursprüngliche Bruchsteinhaus noch besser erkennen. © Fabian Vogel | Fabian Vogel

Dass Häuser wie das in der Schulstraße erhalten bleiben, ist für den Architekten Eckhard Lohmann unabdingbar. „Abreißen und neu bauen ist einfach. Die Erhaltung und Entwicklung solcher Gebäude hat für die Gesellschaft einen höheren Stellenwert“, sagt er. Lohmann ist die Bewunderung anzuhören, wenn er von dem Haus spricht. „Dort wurden Bruchsteine von Hand aufeinander gestapelt. Und das ohne den Einsatz von Maschinen.“ Es sei wichtig, dass Zeitzeugen wie das 590 Jahre alte Gebäude auch zukünftigen Generationen erhalten bleiben.

Alter ganz genau ermittelbar

Doch wie konnte eigentlich das genaue Alter des Gebäudes festgestellt werden? Die Wissenschaft die sich dahinter verbirgt, nennt sich Dendrochronologie. Dabei werden die Jahresringe des Bauholzes gezählt und mit ähnlich alten Baumscheiben verglichen. „Das geht ziemlich exakt, da Holz durch verschiedene Wetterlagen auch seine Besonderheiten hat“, weiß Lohmann.

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In einem solch charakteristischen Haus zu wohnen ist schon außergewöhnlich, findet Carolin Becker. Gemeinsam mit ihrer noch jungen Familie bildet sie die nächste Generation der Familie Becker, die in diesem Haus wohnt. „Ich bin hier in meiner Kindheit schon gewesen und finde es großartig, hier zu wohnen“, sagt sie. Mit ihrem Sohn steht die nächste Generation bereit, um die Geschichte des Hauses weiter zu schreiben. Auf die nächsten 600 Jahre.