Brilon. Es schmerzt. Schauspielerin Beate Ritter aus Brilon hat viele Ideen. Sie berichtet anschaulich, was das Ausbremsen mit kreativen Menschen macht.
Es ist wie mit einem Bäcker, der erstklassige Brote backt, die ihm niemand abkauft. Abkaufen darf. Es fühlt sich an, wie bei einem Kochtopf, der unter Dampf steht. Aber der Dampf kann nicht raus. Darf nicht. Dabei wäre so viel Gutes und Kreatives im Kessel. Beate Ritter aus Brilon ist Schauspielerin und Sprecherin. Genau betrachtet hat sie seit über einem Jahr staatlich verordnetes Berufsverbot. Die Wahl-Sauerländerin schimpft nicht auf Bund oder Land. Sie fordert keine staatliche Unterstützung ein, aber sie möchte auf etwas aufmerksam machen, das nur jemand versteht, der die Motivation für ihre Arbeit nachvollziehen kann. „Ich möchte den Menschen etwas mitgeben und kann es derzeit nicht. Es ist frustrierend und ernüchternd. Ich fühle mich ausgebremst und in meiner Arbeit nicht ausreichend wertgeschätzt.“
Anker und Seil fehlen
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Die 60-jährige Wahl-Sauerländerin, die aus Frankfurt stammt und ihre Ausbildung am Theater Stuttgart machte, lebt für ihren Beruf. Sie ist beseelt von der Macht und Faszination, die Sprache, Mimik und Gestik ausüben können. Ihre Bühne sind nicht primär die großen Bretter, die die Welt bedeuten, sondern die individuellen Schau- und Begegnungsplätze von Kultur. Da, wo Sprache und Worte hautnah wirken und bei vielen ganz persönliche Saiten zum Klingen bringen. An Schulen hat sie zahlreiche Projekte mit jungen Leuten gemacht, hat aktuelle Themen angepackt und mit ihren Schülerinnen und Schülern in Szene gesetzt. Aber auch Seminare gehören zu ihrem Tagesgeschäft: Sich rhetorisch gut zu präsentieren, ein sicheres Auftreten haben, ausdrucksstark auf vielen Ebenen sein – all das kann man lernen. All das hat Beate Ritter mit Leidenschaft vermittelt. Und dann kam der Lockdown.
Virtueller Händedruck geht gar nicht
„Ich kann das verstehen. Die Schulen hatten mitunter andere Sorgen, als sich mit literarischen und musikalischen Projekten zu beschäftigen. Dieser ganze Bereich ist weggebrochen. Manches Coaching bei Managern oder Azubis ließ sich noch virtuell per Zoom umsetzen. Aber wie vermittelt man virtuell einen Händedruck oder erklärt die unterschiedlichen Formen einer Umarmung, das richtige Atmen, das Sich-Präsentieren? Mein Beruf lebt nun mal von Präsenz.“ Eine Schauspielerin, eine Rezitatorin arbeitet in der Tat zielgerichtet auf ein Publikum hin. In jeder Veranstaltung versucht er oder sie einen Anker zu werfen, ein Tau zum Zuhörer zu knüpfen. Doch Anker und Seil blieben inzwischen über ein Jahr lang ungenutzt. Es gab nicht mal einen roten Faden. „Das Gemeinschaftserlebnis fehlt mir total.“
Beate Ritter hat lange mit sich gerungen, ob sie mit einem Reporter ins Gespräch kommen soll. Ob es ihm gelingt, in Worte zu fassen, wovon ihr Kopf und ihr Herz so voll sind. „Die letzte Zeit habe ich einfach viel geübt. Für mich allein. Zu Hause. Ich bin in der privilegierten Situation, dass ich eine intakte Familie habe, die mich auffängt. Ich habe noch nie so viel gelesen, mich noch nie so intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, was Kunst wirklich bedeutet – für mich und für andere.“ Sie kann nur hoffen, dass Kultur wieder dort anknüpft, wo sie vor geraumer Zeit ausgesetzt hat oder ausgesetzt wurde. „Mein größter Wunsch ist es, dass die Arbeit von mir und meinen Kollegen nicht als selbstverständlich erachtet, dass sie bewusster wahrgenommen wird.“ Dass er eine neue Wertschätzung erfährt, dass man sich verdeutlicht, wie filigran, zerbrechlich und nicht immer in Zahlen, Fakten und monetär messbar er ist. Und dass er trotzdem systemrelevant ist – relevant für das System Mensch. Und wie wichtig Kunst und Kultur für den Einzelnen sind, um abzuschalten, um neue Kraft zu schöpfen und um Horizonte zu sprengen.
Keine Alternativen
In schweren Stunden des Zweifelns hat sich Beate Ritter oft gefragt, was sie alternativ machen könnte. „Vor 40 Jahren habe ich mal als Schwesternhelferin gearbeitet. Das habe ich alles verlernt. Fürs berufsmäßige Gärtnern fehlt mir die körperliche Konstitution. Ich habe viele Interessen, aber von Berufs wegen bin ich ein Fach-Idiot“, erklärt Beate Ritter. Im Zuge zunehmender Lockerungen sieht auch sie Licht am Horizont. „Sie haben mich gefragt, ob ich glücklich bin? Ja, punktuell. Und ich bin auch ganz zufrieden mit mir. Aber ich habe gemerkt, was dieses Zur-Untätigkeit-Gezwungensein mit einem macht.“ Im Gespräch erinnert sich Beate Ritter an ihre beruflichen Anfänge . Dass eine Schauspielerin ihr gesagt habe: Du hast eine schöne Stimme. Du solltest Schauspielerin werden. Dass sie in eine Welt geschubst wurde, die die einzig richtige für sie ist und die auch wieder aufblühen wird.
Viele Ideen
„Ich habe jede Menge Ideen. An Schulen wäre es wichtig, dass junge Menschen ihre Situation in Zeiten von Corona thematisieren. Das wäre keine psychologische Therapie, aber ein Aufarbeiten und ein Blickwechsel auf eine andere Pandemie-Perspektive“. So wie dieser Beitrag, der zeigen möchte, wie schwierig es ist, die Füße still halten zu müssen, wenn der Kopf fast platzt vor lauter Ideen. „Ich will mein Wissen und mein Können weitergeben, weil ich weiß, dass es den Menschen etwas bringt.“
Neues Programm wartet auf den Start
Beate Ritter hat aktuell ein musikalisch-literarisches Programm erarbeitet, das den Titel trägt: „Was mir gerade so einfällt in diesen Zeiten“. Es ist ein Programm, das auf kleinstem Raum gespielt werden kann – selbst bei Familienfesten. Es besteht aus Texten und in Szene gesetzten Gedichten. Inhaltlich geht es u.a. um störrische Frauen, chaotische Reisen und unterbelichtete Männer – kurz ein Alltags-Potpourri, das erfrischend, ironisch, unterhaltsam und provokant ist. Über ihre Homepage kann man das Programm buchen und mehr über die Schauspielerin erfahren: www.beate-ritter.de