Brilon. . Das Theater-Projekt „Lebenswege“ in Brilon beleuchtet die Situation von Flüchtlingen in Szenen, Tänzen und Liedern. Die Macherinnen im Interview.
Ein Mann sitzt auf einem Stuhl. Er erzählt von Folter, von Schmerzen, von einem General, der ihm und seiner Freundin unsägliche Gewalt angetan hat. Es ist eine beklemmende Atmosphäre. Szenenwechsel: Eine Gruppe von Frauen tanzt. Es geht um das Werben zwischen Mann und Frau, um Lebensfreude, Stolz und um Einblicke in eine ganz andere Kultur. Die Atmosphäre ist locker, befreiend, beglückend.
In solche Wechselbäder der Gefühle wollen die „Lebenswege“ ihre Zuschauer eintauchen. Am Sonntag um 17 Uhr hat die zweite Auflage dieses interkulturellen Theater-Projekts von Flüchtlingen und Deutschen Premiere im Briloner Kolpinghaus. Die künstlerische Leitung haben Kirchenmusikerin Susanne Lamotte und Schauspielerin Beate Ritter.
Frage: Vor zwei Jahren waren Sie mit diesem Projekt schon einmal sehr erfolgreich. Jetzt gibt es einen zweiten Teil. Erzählen Sie doch bitte, wie es zu der Idee gekommen ist!
Lamotte: Zwei syrische Flüchtlinge, die bei mir im Chor mitsingen, wollten 2017 mit einem Theater-Projekt auf ihre Situation aufmerksam machen. Wir haben damals in dem ersten Projekt die Themen „Flucht“ und „Willkommenskultur“ verarbeitet. Flucht bezog sich auch auf unsere eigenen Großeltern und auf andere Generationen, die so etwas erlebt haben. Diesmal sind wir auf die Leute zugegangen, auf die Flüchtlinge und die Integrationspaten aus dem Raum Brilon und Olsberg. Wir glauben, dass aus aktuellem Anlass das Thema noch einmal aufgegriffen und weiter erzählt werden sollte.
Die „Lebenswege“ schreien vermutlich geradezu nach einer Fortsetzung. Denn die Situation hat sich ja unterdessen verändert und weiter entwickelt...
Ritter: Ja, politisch und gesellschaftlich hat sich einiges getan. Das Klima gegenüber Fremden ist mitunter feindseliger geworden. Wir möchten gegen diesen Trend ein Zeichen setzen. Viele Menschen haben sich integriert, andere aber auch nicht. Da wollen wir auch durchaus die Realität abbilden. Wir haben uns gefragt, wer oder was unseren Lebensweg begleitet. Was geschieht mit uns, wenn wir Freunde, Familie, Religion oder unsere Heimat verlieren oder neu dazu gewinnen? Wir gehen thematisch noch einmal viel tiefer. Man kann sich, glaube ich, gar nicht in die Lage hineinfinden, wie ein Leben nach der Folter aussieht und wie schwierig es ist, Hoffnung und einen Neuanfang zu finden.
Die Darsteller in den „Lebenswegen“ haben die Erfahrungen von Krieg, Flucht, Vertreibung und Neu-Ankommen am eigenen Leib gemacht und stellen sie jetzt auf einer Theaterbühne dar. Das ist doch für alle Beteiligten bestimmt emotional sehr anstrengend gewesen...
Mit orientalischen Instrumenten
- Die „Lebenswege“ „Lebenswerke“ werden am Sonntag, 17 Uhr, im Bürgerzentrum Kolpinghaus in Brilon aufgeführt. Karten im Vorverkauf (9 Euro Erwachsene, 4 Euro für Schüler, Studenten und Flüchtlinge) gibt es bei Podszun, BWT und Bücher Prange. Im Frühjahr sind weitere Aufführungen in Bestwig, Arnsberg und Soest geplant.
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Mitwirkende Mitwirkende sind Saeid Bagrezaei, Jahier Anguita, Iraj Nurzadeh, Melika Schafrani, Marie-Luise Lange-Nilius, Uwe Nolte, Anja Jagiella, Maxim Quais Janneh, Samaneh Daeijavad, Zohre Sharifirad, Sabine Schley, Wiebke Caspari, Aranxa Wiegelmann, Malena Weiss-Anguita, Johanna Mündelein, Sönke Schmidt und Benham Mohammadi.
- Musik: Musik: Susanne Lamotte, Dirk Mündelein, Zaki Diarbakarli, Kinan Diarbakarli.
- Es kommen u.a. Instrumente wie die Oud (eine orientalische Kurzhals-Laute) oder auch die Darbuka (eine Bechertrommel) zum Einsatz.
Lamotte: Ja, das war zum Teil sehr ergreifend, zumal wir uns alle gut kennen. Nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen in dem Projekt sind echte Freundschaften entstanden. Jeder hat sich auf seine Weise dem anderen gegenüber geöffnet und sehr persönliche, intime Seiten gezeigt. Ich denke, dass das aber auch für den Betroffenen etwas Befreiendes hat. Wir arbeiten mit Texten, Tänzen, Musik und Bildern. Es sind zum Teil Lieder oder Texte von Bertolt Brecht, zum größten Teil jedoch eigene. Wir zeigen die Realität, aber versuchen die ganze Situation weniger vom Verstand her anzugehen als vielmehr atmosphärisch und emotional.
Hat die Inszenierung einen roten Faden oder besteht sie aus einer Aneinanderreihung von Szenen?
Ritter: Nein, es ist kein geschlossenes Werk. Mal schließt die eine Szene an die andere an. Mal sind die Übergänge aber auch sehr kontrastreich. Es geht darum, Gedanken, Erfahrungen und Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen – das passiert in unserer Inszenierung manchmal auf subtile Art sehr brutal, aber manchmal auch auf sehr heitere Art.
Hat die Arbeit mit den Flüchtlingen Ihren persönlichen Horizont verändert?
Lamotte: Wenn ich den persönlichen engen Kontakt zu diesen Menschen nicht hätte, würde ich auch vieles anders beurteilen. Mir fällt immer wieder die bedingungslose Gastfreundschaft auf, dieses „Du bist immer willkommen“. Manchmal ist das für uns beschämend.
Sie leben beide von Ihrer künstlerischen Arbeit. Bekommen Sie Geld für das Projekt?
Ritter: Wir machen das ehrenamtlich. Das ist unser Beitrag zur Flüchtlingsarbeit und zur Integration. Das Projekt wird aber unterstützt durch das landesweite Förderprogramm „Komm-an NRW“. Schließlich fallen Kosten u.a. für Requisiten, Kostüme und Saalmiete an.
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Kommentar: „Die Sprache der Kunst“
Der Folter ausgesetzt sein, Familie oder Freunde verlieren, seine Heimat verlassen und ganz neu anfangen müssen. Die Begleitumstände von Krieg und Gewalt lassen sich schnell aufs Papier schreiben. Man redet darüber. Man bedauert die Menschen, man geht zur Tagesordnung über. Die Vielzahl von schlechten Nachrichten und schockierenden Bildern hat uns alle abgestumpft. Vielleicht brauchen wir andere Formen der Ansprache, um uns das ganze Schicksal vieler Menschen vor Augen zu führen. Vielleicht schafft es die Kunst, Barrieren in Köpfen einzureißen.
Das Projekt „Lebenswege“ will tiefer gehen. Lieder, Tänze oder stumme Szenen sollen atmosphärisch und emotional berühren. Flüchtlingsarbeit in künstlerischer Sprache, Integration der besonderen Art. Ich wünsche den Machern am Sonntag ein volles Haus!
Thomas Winterberg