Winterberg. Ex-Bürgermeisterkandidatin Anja Licher-Stahlschmidt aus Winterberg verlässt die SPD. Ihre Kritik an der Coronapolitik des Bundes ist drastisch.

Im vergangenen Herbst noch SPD-Bürgermeister-Kandidatin und eine Hälfte der Ortsvereins-Doppelspitze, dann Rats- und Ausschussmitglied und Fraktionsvorsitzende, jetzt der Ausstieg: Anja Licher-Stahlschmidt hat ihre sämtlichen politischen Ämter niedergelegt und ist aus der SPD ausgetreten.

„Eine Entscheidung, die mir schwergefallen ist“, sagt die Winterbergerin. „Vor allem, weil es nichts mit der hiesigen SPD zu tun hat. Hier lief es gut.“

Nicht gut lief es ihrer Ansicht nach in der Bundespolitik der Sozialdemokraten – insbesondere die Marschroute bei den Corona-Beschränkungen habe mit ihren Werten nicht zusammengepasst. Sie wolle nicht behaupten, dass es das Virus nicht gebe oder keine Gefahr davon ausgehe. Die Maßnahmen jedoch – von Lockdown über Ausgangsbeschränkungen, Besuchseinschränkungen in Altenheimen und Distanzunterricht für Schüler – findet sie falsch.

Erst seit 2017 politisch aktiv

In die SPD eingetreten war Anja Licher-Stahlschmidt erst nach der Bundestagswahl 2017. Als einen der Gründe gab sie 2019 an, dass sie sich über den Erfolg der AfD geärgert habe, die damals erstmals in den Bundestag eingezogen und drittstärkste Fraktion geworden war.

Eine Haltung, die sie auch in sozialen Medien offen vertritt. „Ich habe Verständnis, wenn es in den ersten Wochen einer solchen Krise politisch keine klare Linie gibt. Aber das darf nicht so lange anhalten.“ Langfristig müsse es ihrer Ansicht nach einen anderen Weg der Pandemiebekämpfung geben, der sich nicht an Inzidenzen orientiere.

Kritik an Grundrechte-Einschränkung wegen Corona

Dafür wünsche sie sich mehr Dialog der Politik auch mit Fachleuten und Bürgern, die alternative Meinungen vertreten. „Es kann nicht sein, dass Frau Esken Menschen ,Covidioten’ nennt, nur weil sie gegen Maßnahmen protestieren.“ Den Begriff hatte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken im vergangenen August getwittert, um ihren Ärger über Demonstranten in Berlin auszudrücken, die ohne Abstand und Masken gegen Corona-Schutzmaßnahmen protestiert hatten.

„Man muss den Menschen zutrauen, sich selbst zu schützen“, findet Anja Licher-Stahlschmidt. Einschränkungen von Grundrechten seien unverhältnismäßig. Ihr lägen besonders die Probleme derer am Herzen, die kaum gehört würden – zum Beispiel Kinder, Minijobber, Ferienwohnungsbesitzer oder Gastronomen, die trotz Hygienekonzepten keine Perspektive gehabt hätten.

„Wenn ich gebeten werde, meine Meinung nicht öffentlich zu sagen, um der SPD nicht zu schaden, dann ist das nicht meine Partei.“ Wer sie darum gebeten habe? „Niemand aus Winterberg.“

Unzufrieden mit Bundes-SPD

Dass es in Fraktion und Ortsverein kein Zerwürfnis mit Licher-Stahlschmidt gegeben habe, bestätigte Torben Firley, vorher Stellvertreter und nun vorerst wieder Fraktionsvorsitzender. „Es gehen schnell Gerüchte um, aber an denen ist nichts dran.“

Den Schnitt so rigoros inklusive Parteiaustritt zu vollziehen, sei konsequent, wenn jemand erkenne, dass er seine Funktionen nicht mehr voll ausfüllen könne. Deshalb zolle die Fraktion der Entscheidung Respekt. Selbst wenn es auf Außenstehende seltsam wirken könne, wenn jemand, der erst so kurz Teil des lokalpolitischen Geschehens war, sich komplett zurückziehe.

Mit der ehemaligen Bürgermeisterkandidatin habe es „aufrichtige Gespräche“ einzeln und im größeren Kreis gegeben, die aber nicht zu einem Kompromiss geführt hätten. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Kooperation Bestand gehabt hätte“, ergänzt Firley. „Anja und ich haben uns gemocht, ich bedaure, dass sie gegangen ist.“

Sowohl Firley als auch Jörg Burmann, bisher neben Licher-Stahlschmidt die andere Hälfte der Ortsvereins-Doppelspitze, betonten die Leistung der Ausgeschiedenen. Sie habe Impulse gesetzt in ihrer kurzen politischen Karriere – Licher-Stahlschmidt war erst nach der vergangenen Bundestagswahl in die SPD eingetreten und hatte vor zweieinhalb Jahren den Co-Vorsitz im Ortsverein übernommen. Ihr Entschluss habe ihn überrascht, so Burmann. Die Orts-SPD will bald entscheiden, wie sie sich personell neu aufstellt.