Hallenberg. Isabel Wiedenroth aus Hallenberg ist Expertin für deutsch-chinesische Wirtschaftskooperationen. Sie verrät, was Chinesen über Deutschland denken.

Deutsch-chinesische Kooperationen made in… Hallenberg?! „Warum nicht?“, findet Isabel Wiedenroth. Die Neu-Hallenbergerin ist Hauptgeschäftsführerin der Plattform SinoGermanTrade.com, die den wirtschaftlichen Austausch beider Länder fördern will.

Frau Wiedenroth, was genau ist die SinoGermanTrade.com und was sind ihre Ziele?

Isabel Wiedenroth: Die SGT ist eine Plattform für deutsch- und chinesischsprachige Unternehmer; ich habe sie 2015 gegründet. Eigentlich sind es zwei Gesellschaften: die in Shanghai mit Sitz in Hongkong ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, in der es neben mir auch sieben kleinere Shareholder gibt. Die GmbH in Deutschland hatte ihren Sitz erst in Baden-Württemberg und zieht jetzt nach Hallenberg. Es gibt ein hochkarätiges China-Expertenteam und es geht darum, neue Formen deutsch-chinesischer Zusammenarbeit auf regionaler Ebene zu entwickeln und zu realisieren.

Zur Person: Isabel Wiedenroth

Isabel Wiedenroth, geb. Chou, wurde 1965 in Taipeh, der Hauptstadt Taiwans, geboren. Ihre Vorfahren hatten das Gebiet der späteren Volksrepublik China vor deren Ausrufung 1949 verlassen. Mit 13 Jahren kam Isabel Wiedenroth nach Wuppertal, wo sie zur Schule ging und das Abitur machte. An der Universität Köln studierte sie Ostasienwissenschaften. Nach ihrem Magister war sie ab 1992 für deutsche Firmen im Bereich Greater China tätig und lebte über zwölf Jahre in Shanghai. Ihre kulturelle Identität beschreibt sie als Deutsche mit Migrationshintergrund.

Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?

Wir haben zum Beispiel kleinen und mittleren chinesischen Firmen geholfen, Strategiepartner in Deutschland zu finden. Normalerweise wäre das für sie schwer gewesen, wegen der Sprachbarriere und des fehlenden Netzwerks. Wir unterstützen auch Chinas Internetgiganten wie z.B. Alibaba Cloud bei der Auswahl der Strategiepartner in Deutschland.

Isabel Wiedenroth
Isabel Wiedenroth © Privat

Und Ihren Umsatz generieren Sie, indem die Firmen für solche Vermittlungen zahlen?

Genau, die Firmen zahlen Honorare und im Erfolgsfall eine Provision. Konkrete Erfolge sind für chinesische Unternehmen sehr wichtig. Wir sind auch Dienstleister für öffentliche Mittlerorganisationen wie z.B. der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen.

Auf Ihrer Webseite sind auch Veranstaltungen aufgeführt. Was hat es damit auf sich?

Um vor allem in China bekannter zu werden, haben wir bereits mehrere Events organisiert. Zum Beispiel haben wir 2018 in Shanghai ein Symposium „Belt & Road Initiative“, also zum Thema Neue Seidenstraße, veranstaltet. Wir waren damals die erste nicht-staatliche Organisation, die dieses Thema ins Zentrum eines solchen Austauschs gestellt hat. Dass das positiv und wichtig war, erkennt man auch daran, dass die deutsche Generalkonsulin und der Schweizer Generalkonsul teilgenommen haben. Ich habe seit Anfang der 90er Jahre für deutsche Unternehmen im Bereich Greater China gearbeitet und verfüge über ein gutes, umfangreiches Netzwerk.

Wie hat sich das Verhältnis zwischen Deutschland und China in dieser Zeit verändert?

Es wird schwieriger, weil China nicht mehr technologisch rückständig ist und keinesfalls mehr die verlängerte Werkbank Europas. Das Bild von China in Deutschland ist oft einseitig: Meist geht es um das Thema Menschenrechte; den Status von Taiwan, die Uiguren – und es ist auch nötig, da als demokratischer Weltbürger kritisch nachzufassen. Diese Themen beeinflussen bei vielen die Meinung, und vielen ist China auch egal, weil es so weit weg ist. Die andere Seite sind die Unternehmen. Denen ist die politische Diskussion egal; sie können und wollen ein Volk mit fast 1,4 Milliarden Menschen nicht ignorieren. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind sehr eng und China ist äußerst agil.

Und wie sieht es umgekehrt mit dem Deutschlandbild der Chinesen aus?

Auch das ändert sich. Die chinesischen Medien berichten enorm positiv über Deutschland, manchmal so sehr, dass es beinahe niedlich ist. Aber es gibt einen Unterschied im Deutschlandbild der Älteren und der Jüngeren. Für Chinesen über 40 ist Deutschland eine Premiummarke; sie lieben die Autos, das Bier, die Erziehung. Die jungen Erwachsenen sind anders. Sie sind als Kinder der Ein-Kind-Politik in Wohlstand aufgewachsen, weltgewandt und über Social Media vernetzt, aber auch sehr nationalstolz und ideologisch geprägt. Sie mögen die ständige Kritik aus Deutschland an China nicht so gern.

Soviel zu den gegenseitigen Vorurteilen. Wie sieht es in der persönlichen Begegnung aus?

Die persönliche Erfahrung miteinander ist meist positiv. Der Austausch zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, Geschäftsleuten, Studenten… ist seit 2000 stark gestiegen. Auch der Massentourismus spielt eine wichtige Rolle. Eine große chinesische Mittelschicht kann sich heute Fernreisen leisten. Übrigens: An chinesischen Schulen spielen Europa, insbesondere Deutschland, und ihre Geschichte eine große Rolle. Umgekehrt ist das nicht so.

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Bleiben wir beim Thema Wandel: Eines Ihrer Haupt-Arbeitsgebiete ist die digitale Transformation. Die hat sich durch Corona beschleunigt, oder?

Auf jeden Fall. Heute kann man auch von Hallenberg aus international tätig sein. Früher hieß es oft, dieses oder jenes müsse unbedingt „face to face“ geschehen. Da ist man schonmal für ein, zwei Meetings bis nach China geflogen. Jetzt ist das anders. Neue Geschäftspartner zu finden, ist sicher derzeit schwierig. Aber mit einem belastbaren Netzwerk und Kompetenzen ist Erfolg weiter möglich.

Was fehlt noch zum größeren Erfolg?

Bei der Beschäftigung mit dem Thema Neue Seidenstraße wurde mir klar: Was fehlt, ist eine regionale Zusammenarbeit. Darauf zielte zum Beispiel der dreiteilige bilinguale Workshop „Thüringen-China“ ab, den wir im April mit der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen international ausgerichtet haben. Thüringen deshalb, weil dieses Gebiet von chinesischen Firmen bisher eher ignoriert wurde. So wie das Sauerland auch.

Wie hat es Sie nach Hallenberg verschlagen?

Meine Annäherung an Hallenberg kam über meinen Mann Prof. Dr. Marcus Hernig zustande. Er ist promovierter Sinologe, Autor, Publizist und Dozent und findet hier Ruhe zum Schreiben seiner Bücher. Wir sind nicht örtlich gebunden, sondern suchen interessante Leute zum Kommunizieren. Wir waren sehr viel unterwegs und jetzt möchten wir hier wohnen, wo wir die Ruhe und die saubere Luft genießen. Sehr spannend ist auch die Tatsache, dass Hallenberg einen jungen, sehr China-erfahrenen Bürgermeister hat. Das fand ich einzigartig für das Sauerland. Für mich verkörpert Herr Eppner eine neue Generation von Bürgermeistern, die sehr kooperationsorientiert arbeiten. Der Fokus auf die Einzelperson schwindet, das Team wird wichtiger. Das ist eine neue Form der Führung im digitalen Zeitalter.

Hat Hallenberg bei Chinesen, zum Beispiel im Tourismus, Chancen?

Mit Düsseldorf oder Köln kann man junge Chinesen nicht mehr beeindrucken, die Megastädte wie Shanghai gewohnt sind. Aber mit dem Sauerland schon. So etwas kennen die nicht.