Olsberg. Vor 55 Jahren erschüttert ein Flugzeugunglück Olsberg. Drei Männer sterben dabei. Eva Brambor verliert ihren Mann und den Vater ihrer Kinder.
Die Zeit heilt alle Wunden. Was für ein blöder Spruch. Wer ihn geprägt hat, der hat noch nie tiefen Schmerz, Verlust und Seelenqualen erleiden müssen. Die Zeit überlagert vieles. Es muss ja weiter gehen. Funktionieren. Irgendwie. Doch sie macht nichts wieder gut. Sie kann keine Seelen-Risse kitten, keine gebrochenen Herzen zusammenfügen. Zeit kann nicht viel. Sie kann auf heute und auf morgen blicken. Und sie kann erinnern.
Erinnerungen in einer Papprolle verschlossen
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Morgen auf den Tag genau ist es 55 Jahre her, dass drei junge Männer aus Olsberg von jetzt auf gleich aus dem Leben gerissen werden. „Sie wollten Blumen streuen und flogen in den Tod“, titelt damals die Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Wir haben eine Frau gesucht und besucht, die am 2. Mai 1966 bei einem Flugunfall ihren Mann verloren hat und diesen Tag am liebsten ganz aus ihrem Leben streichen würde. Walter Brambor wurde nur 25 Jahre alt.
Seine Frau Eva hat eine Papprolle auf den Tisch gelegt. Sie sagt: „Darin sind die Zeitungsberichte über das Unglück. Ich habe sie seit damals nie wieder aufgemacht. Das ist alles zu grausam und schrecklich.“ Der Reporter darf die Rolle öffnen. Aus dem Behälter lassen sich vorsichtig angegilbte Zeitungsausschnitte heraus ziehen. Auch zwei, drei Schwarz-Weiß-Fotos fallen auf den Tisch. „Ja, das sind die Bilder von der Beerdigung. Ich war damals bei der Trauerfeier für meinen Mann und seine beiden Freunde nicht dabei. Ich konnte das nicht.“
Rückblende: Es ist der 2. Mai 1966, ein Montag. Ein unglaublich schöner, warmer Maitag. Und vor der Olsberger St.-Nikolaus-Kirche hat sich am Nachmittag eine Hochzeitsgesellschaft versammelt. „Ich war 25 Jahre alt und stand mit meinen beiden Kindern Evelyn und Peter als Zuschauerin vor der Kirche. Mit unserer Ingrid war ich damals schwanger. Mein Mann war Mitglied im Skiclub Olsberg. Er und zwei Freunde wollten dem Bräutigam und seiner Frau eine Freude machen. Aus einem Flugzeug heraus wollten sie ihnen Blumen zuwerfen. Ich habe immer wieder in die Luft geschaut und ganz oben ein Flugzeug gesehen. Das waren sie aber nicht. Zu dem Zeitpunkt habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Irgendwann bin ich dann mit den Kindern nach Hause gegangen. Was passiert war, habe ich erst erfahren, als die Polizei vor der Tür stand.“
Dem Brautpaar die Schreckensnachricht zunächst verschwiegen
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Während sich das Brautpaar in der Kirche das Jawort gibt, machen sich die drei Skiclub-Kameraden auf dem Flugplatz in Hamm-Heessen bereit. Sie wollen die Frischvermählten überraschen: Rosen aus der Luft. Der erfahrene Pilot Georg D. ist auf dem Flugplatz beschäftigt; daher soll der Überraschungsflug von Heessen aus beginnen. Die Zeitungen berichten damals, dass das einmotorige Sportflugzeug vom Typ Auster „Autocrat“ aber schon zwei Minuten nach dem Start Probleme bekommt. 250 Meter nördlich der Gaststätte „Zum Bootshaus“, nicht weit von einem Freibad, soll es mit dem Heck eine Baumkrone gestreift haben, dann zunächst mit dem linken Flügel, anschließend mit dem Rumpf aufgeschlagen sein. Augenzeugen berichten laut Zeitung, dass die „Autocrat“ nicht die erforderliche Höhe erreicht habe, dass die Tanks explodiert seien und das Flugzeug in Flammen gestanden habe. Alle drei Insassen - 31, 25 und 25 Jahre alt - kommen ums Leben. Während die Hochzeitsgesellschaft in Olsberg nicht mehr länger auf den Gruß aus der Luft wartet, hat die Feuerwehr in Hamm Großeinsatz.
Eine Boulevard-Zeitung hat damals den Bräutigam interviewt: „Als wir aus der Kirche kamen, schauten alle Gäste zum Himmel. Nach zehn Minuten sagte einer: ,Mit Georg (gemeint ist der Pilot) muss etwas nicht stimmen. Er wollte euch im Tiefflug Blumen streuen.‘“ Zu dem Zeitpunkt sind noch alle ahnungslos. Fünf Stunden lang verheimlicht man dem Hochzeitspaar laut Zeitung die Schreckensnachricht.
Immer in den Himmel geschaut
Hildegard Jürgens wird diesen Tag nie vergessen. Sie ist die Braut, der damals die Rosen gelten sollten. Ihr Mann ist bereits vor fünf Jahren verstorben. Heute sagte sie: „Wir wussten nichts von diesem Flug. Es sollte eine Überraschung sein. Vor der Kirche haben alle immer in den Himmel geschaut. Ganz oben war auch ein Flugzeug zu sehen, das kam aber nicht weiter runter. Alle dachten: Dann hat es vermutlich nicht geklappt. Und wir sind dann weiter ins Haus Tanneck zur Hochzeitsfeier gefahren. Die hatten Ruhetag und deshalb haben wir dort an einem Montag gefeiert.“
Während Verwandte zwischendurch mal nach Hause gehen und die furchtbare Nachricht wie ein Lauffeuer die Runde macht, verschweigt man dem Brautpaar bis nachts um 12 Uhr das Unglück. Ein junger Vikar muss den Frischvermählten die Todesnachricht überbringen. Kein Hochzeitstag ist seitdem vergangen, an dem die Eheleute nicht Blumen auf den Friedhof gebracht haben.
Schwarzer Tag für die ganze Stadt
Schon drei Tage nach dem tödlichen Unfall ist damals die Beerdigung. Ein schwarzer Tag für die gesamte Stadt. Dechant Ernst feiert das Requiem. Die Kirche ist überfüllt. Hunderte warten vor den Portalen. „Es gibt keine Schaulustigen. Alle, die von dem tragischen Unfall gehört hatten, beteten in echter Ergriffenheit“, schreibt die WP. Wer auf den Beinen ist, ist tief betroffen, während drei Leichenwagen im Schritt-Tempo durch die Stadt zum Friedhof fahren. Feuerwehrleute erweisen ihrem geschätzten Kameraden Walter die letzte Ehre. Und die Gemeinde singt: „Jesus, Dir jauchzt alles zu. Herr über Leben und Tod bist Du…“
Eva Brambor hat niemals eine psychologische Betreuung oder etwas Ähnliches bekommen. Sie hat nicht wieder geheiratet und ihre drei Kinder allein groß gezogen. Ihre jüngste Tochter Ingrid, die fünf Monate nach dem Tod ihres Vaters auf die Welt gekommen ist, wird heute hin und wieder angesprochen: Sind Sie nicht die Tochter von…?
In einer Papprolle verschlossen
Ansonsten redet Eva Brambor nicht über das, was war und was hätte sein können. Selbst das Grab ist nach so langer Zeit inzwischen abgeräumt. „Man denkt nicht daran und wenn man es tut, sind die Beklemmungen auch gleich wieder da. Ich habe mich mein Leben lang so halbiert gefühlt.“
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Vor fünf Jahren hat Eva Brambor zum 50. Todestag ihres Mannes eine Anzeige aufgegeben. Sie hatte folgenden Inhalt: „In dem Moment, in dem man weiß, dass der Mensch, den man liebt, nicht mehr da ist, wird alles anders. Nie mehr kann man mit ihm reden, nie mehr sich mit ihm zusammen freuen, niemals mehr mit ihm zusammen sein. Nie vergeht der Schmerz. Lieber Walter, danke für die Zeit mit Dir, danke für unsere wunderbaren Kinder. In Liebe Deine Eva.“
Die Zeitungsausschnitte sind wieder sorgfältig zusammengerollt. In mindestens zwei weiteren Olsberger Familien wird es ebenfalls solche stummen Zeugen aus Papier geben. Die Papprolle ist wieder verschlossen. Was darin liegt, soll auch dort bleiben. Die Zeit kann wieder übernehmen, mit Respekt und Achtung vor dem Gestern, dem Jetzt und bitte mit Blick nach vorn...