Brilon. Heute ist Tag der älteren Generation. Wie hat sich Corona auf ihr Leben ausgewirkt? Caritas-Fachfrau Karen Mendelin im Interview.

Heute ist der internationale „Tag der älteren Generation“. 1968 wurde er von der Kasseler Lebensabendbewegung (LAB) ins Leben gerufen. Seitdem wird an jedem ersten Mittwoch im April durch Aktionen und Veröffentlichungen auf die Rolle der Senioren in der Gesellschaft aufmerksam gemacht. Corona und die damit verbundenen Einschränkungen haben das Leben der Senioren ganz besonders beeinträchtigt. Vorübergehend galten Besuchsverbote, es gibt nach wie vor keine offenen Treffs - all das sind und harte Einschnitte, sagt auch Karen Mendelin. Sie ist Fachbereichsleiterin für Alten- und Krankenhilfe und Ambulante Dienste beim Caritasverband Brilon.

Keine Mimik hinter Masken

Wie ist die Stimmung angesichts der Corona-Krise in den Seniorenheimen? Wie nehmen die älteren Mitbürger das Ganze wahr?

Die Corona-Pandemie zeigt ihre Risiken auch in vergleichsweise kleinen Einheiten wie in den Seniorenheimen. Diese Zeit fordert von den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie von allen Mitarbeitenden nach wie vor viel Disziplin und erhöhte Achtsamkeit ein. Die ohnehin stringenten Hygieneregeln wurden deutlich verschärft. Kontaktreduzierungen und Abstandsregelungen sind das Gebot der Stunde. Dennoch kann ich sagen, dass die Bewohner seelische Zuwendung, menschliche Wärme und würdige Begleitung bekommen, aber eben mit verordneter Maske. Das ist für Menschen mit Einschränkungen in der Kommunikation alles andere als leicht, weil sich Beziehung auch in der Mimik ausdrückt.

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Das stelle ich mir in der Tat sehr schwierig vor. Gerade bei Menschen, die nicht mehr so gut hören können und auf den Blickkontakt angewiesen sind...

Das Lachen kann zwar noch gehört und die Empathie übertragen werden, aber die Mimik ist nicht mehr sichtbar. Es sind andere Formen der Kommunikation geschaffen worden wie z.B. Tablets zum Skypen. Ein Angebot, das bis dato gut genutzt wird. Stringente Quarantäneregeln verlangten zeitweise, dass Bewohner das Zimmer nicht verlassen konnten, um andere nicht anzustecken. Besuchsregister, Temperaturkontrolle, Kurzscreening, Schnelltest mussten leider inzwischen zur Alltagsaufgabe werden. Das war für alle bis vor Corona unvorstellbar Alles dient dem Schutz der dort lebenden und arbeitenden Personen. Den Schutz der Bewohner mit dem Wunsch nach Teilhabe und Selbstbestimmung in Einklang zu bringen fordert von den Pflege- und Betreuungskräften besonderes Einfühlungsvermögen und zusätzliche Fachlichkeit ab. Eine wahre Meisterleistung! Unser Fazit: die Stimmung ist weiterhin angespannt im Sinne der gebotenen Vorsicht.

Karen Mendelin, Fachbereichsleitung Alten- und Krankenhilfe, Ambulante Dienste von der Caritas Brilon.
Karen Mendelin, Fachbereichsleitung Alten- und Krankenhilfe, Ambulante Dienste von der Caritas Brilon. © WP | wp

Impfbereitschaft war sehr hoch

Was ist denn überhaupt momentan an Besuchen möglich? Ändert sich durch die vermehrten Testungen und durch die Impfung der Senioren langsam etwas?

Dankenswerter Weise haben Bewohner und Mitarbeitende ein Impfangebot erhalten und wahrgenommen. Die Impfbereitschaft war insgesamt sehr hoch. Dadurch haben wir seitdem in unseren Häusern keine Coronainfektionen zu verzeichnen. Sie erhalten weiterhin ein Testangebot. Ebenso werden die Mitarbeitenden mindestens jeden dritten Tag getestet. All das wirkt sich positiv auf die Sicherheit aus. Das war auch seitens der Politik der Grund, die Besuchseinschränkungen zu lockern, was wiederum mit anderen Risiken verbunden ist. Bei vollständigem Impfschutz kann die Maske der Besucher im Bewohnerzimmer abgelegt werden. Die sich ständig wechselnden Besucherregelungen bringen Freude, aber auch Sorgen aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit sich. Was letzte Woche galt, ist diese Woche schon wieder hinfällig. Der Dschungel von Strategiewechseln ist für alle Beteiligten problematisch.

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Wie viele Besucher dürfen denn kommen?

Seit Mitte März dieses Jahres sind Besuche mit bis zu fünf Personen aus maximal zwei Haushalten ohne zeitliche Einschränkung möglich. Interne Veranstaltungen mit Bewohnern und Beschäftigten und direkten Angehörigen sind wieder zulässig. Meistens kommen allerdings ein bis zwei Personen zu Besuch. Aus epidemiologischer Sicht sind meiner Auffassung nach weitergehenden Diskussionen über zusätzliche Lockerungen nicht geboten.

Körperliche Nähe vermisst

Was wird am schmerzlichsten von den Senioren vermisst?

Die körperliche Nähe zu ihren Verwandten - zu Kindern oder Enkeln. Das In-den-Arm-Nehmen, einem die Hand geben, das Enkelkind auf den Schoß nehmen und knuddeln - so wie es Großeltern machen.

Sauerland wird älter

Das Sauerland wird älter. Der Blick in die Statistik zeigt, dass die Zahl der 65- bis unter 80-Jährigen in den nächsten Jahren steigen wird. Anfang 2017 waren es 3892 in Brilon; 2040 werden es 5030 sein. Ein Anstieg um fast 30 Prozent. Marsberg und Medebach kommen sogar auf ein Plus von 33 und Olsberg von 38 Prozent.

Wie schlimm ist bzw. war es für die Senioren, aber auch für die Angehörigen, die lange Zeit keinen Besuch machen bzw. empfangen konnten. Kennen Sie Beispiele?

Ich kenne viele Senioren, die vorsichtig und achtsam sind und auch die meisten Angehörigen verhalten sich der Situation entsprechend angemessen. Eine Plexiglasscheibe konnte zur Zeit der Besuchsverbote nicht die persönliche Nähe, Berührung und Wärme ersetzen, aber ermöglichte überhaupt das Wiedersehen und -hören vis a vis. Gern genutzt wurden auch die Fensterbesuche auf dem Rundweg. In bestimmten Lebenslagen konnten Besuche unter besonderen Hygieneauflagen stattfinden.

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Welche Kompensationsmöglichkeiten gibt es? Was fällt weg – Beispiel: offene Seniorentreffs - was wird wann wieder möglich sein?

Das Gebot ist weiterhin die Einhaltung der Abstandsregeln. Beispielsweise sind derzeit in der Tagespflege die Hälfte der möglichen Gäste in der Betreuung. In der ambulanten Pflege ist eine eins zu eins Pflege und Betreuung in der Häuslichkeit weiterhin möglich. Offene Seniorentreffs sind noch nicht wieder geöffnet. Aktuell fällt es äußerst schwer, dazu eine Prognose abzugeben. Immerhin befinden wir uns mitten in der dritten Welle. Ich begrüße es sehr, dass die Hausärzte jetzt impfen werden. Aber solange Seniorinnen und Senioren noch nicht ausreichend geimpft sind, könnte ein aktueller Coronaschnelltest zwar als Momentaufnahme hilfreich sein, dennoch bleibe ich bei meiner Meinung, dass eine Diskussion darüber zu früh ist.

An Dankbarkeit denken

Was muss sich Ihrer Meinung nach in unser aller Bewusstsein in Bezug auf ältere Menschen ändern?

Die Pandemie zeigt aus meiner Sicht auch seine positiven Seiten, diese sollten ausgebaut und gefördert werden. Dazu gehört z.B. die Hilfsbereitschaft bei Besorgungen und Erledigungen, einfach mal beim Nachbarn anrufen und miteinander Klönen oder einen schriftlichen Gruß senden. Ich benenne hier auch das Wort der Dankbarkeit für das, was geht und einem zwischenmenschlich begegnet oder geschenkt wird. Oder was die Natur im Wechsel der Jahreszeiten für uns bereithält.

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Gibt es Umgangsformen/Rituale im Umgang mit älteren Menschen, die andere Länder anders/besser als wir machen?

Da gibt es eine Reihe von Lebensweisen, die andere Länder anders machen - ob die besser sind, muss jeder für sich selbst hinterfragen. Als Beispiele stehen für mich Leben und Sterben in Großfamilien, Sinnstiftung im Alter oder die Wertschätzung von Menschen mit Lebenserfahrung. Da ist hierzulande noch „Luft nach oben“.

Haben Sie Angst vor dem Älterwerden? Was würden Sie sich für Ihren dritten Lebensabschnitt wünschen?

Ich habe keine Angst vor dem Altwerden. Angst ist ein schlechter Lebensbegleiter, daher möchte ich mit Optimismus und Zuversicht alt werden und einen geliebten Menschen um mich haben. Vor allem möchte ich im Alter meine Würde behalten.