Brilon. Die Caritas in Brilon feiert 75. Geburtstag. Gegründet wurde sie am 24. Februar 1946. Heute sind 1150 Mitarbeiter und 1100 Ehrenamtliche aktiv.

Am 20. Februar 1946 wurde die Caritas in Brilon gegründet. Es war der erste Winter nach Ende des 2. Weltkriegs. In diesem Jahr feiert der Caritasverband - wie auch die WP - ihr 75-jähriges Bestehen. Im Interview blicken Ludwig Albracht, Vorsitzender des Caritasrates und Heinz-Georg Eirund, Vorstand des Caritasverbandes auf die vergangenen Jahrzehnte zurück und berichten, wie sich die Arbeit gewandelt hat. Auch im Jubiläumsjahr steht der Verband vor einer großen Herausforderung: Die Corona-Pandemie greift tief in unser Leben ein.

Ein Blick zurück zu den Anfängen der Caritas-Arbeit in Brilon: Was waren damals die Beweggründe für die Gründung?

Ludwig Albracht Ein wichtiges Zitat aus der Gründungszeit ist mir immer präsent: ,Jede Zeit ist Gottes Zeit. Gott braucht uns. Jetzt!` Damals wie heute. Im ersten Nachkriegsjahr blickten die Initiatoren vor allem auf das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen. Viele Menschen mussten aus den sogenannten Ostgebieten flüchten und auch aus den zerstörten Städten im Westen suchten Menschen Zuflucht auf dem Land. Existenzielle Hilfen wie Armenspeisungen, Organisation von Obdach und Kleidung gaben den Anlass, das Kreis-Caritas-Sekretariat im heute noch so genannten Caritas-Haus in der Propst-Meyer-Straße zu gründen. Zu den Gründervätern gehörte unter anderen auch Dechant Heinrich Ernst. In der Verbandschronik wird auch die Ausstattung des Caritas-Sekretariats gelistet: ein Bleistift und eine gespendete Schreibmaschine. Das war alles. Unglaublich.

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Was waren in den folgenden Jahrzehnten die wichtigsten richtungsweisenden Entwicklungen?

Heinz-Georg Eirund Die Hilfen und Helfer haben sich professionalisiert, spezialisiert und sind immer breiter aufgestellt worden. Um nur einige Etappen zu nennen: Nach der Nothilfe der Flüchtlinge folgte bereits in den 1950er die Familienpflege. Ab 1968 wird die Behindertenhilfe erst mit den Werkstätten, 1981 dann mit den Wohnhäusern ausgebaut. In den 1970er gab es bereits Sozialstationen und die Suchtberatung. Seit 1991 wird die Allgemeine Soziale Beratung für Menschen in Not angeboten. 2000 wurde das Seniorenzentrum St. Josef übernommen, acht Jahre später folgte St. Engelbert in Brilon. Weitere zehn Jahre später kamen die Mutter-Kind-Kliniken in Winterberg und Bad Wildungen unter das Dach der Caritas Brilon. Heute sind es 58 Dienste und Einrichtungen im Altkreis Brilon und dem Dekanat Waldeck mit 1.150 Mitarbeitenden in 45 Berufsbildern. Die Hilfen erreichen alle Altersklassen. Und – wie der rote Faden in der Geschichte – lebt die Caritasarbeit noch heute von einem bedeutenden ehrenamtlichen Engagement. 1.100 Ehrenamtliche engagieren sich für ihre Nächsten.

Was ist aus Ihrer Sicht heute der Kerngedanke der Caritas-Arbeit?

Ludwig Albracht Caritas heißt übersetzt Nächstenliebe. Das ist der Kerngedanke und die treibende Kraft. Gebündelt unter dem Leitbild: Dem Menschen dienen. Menschen helfen, das war, ist und bleibt das Hauptziel von Caritas-Arbeit. Dabei kann Hilfe ganz unterschiedlich sein: Hilfe zur Selbsthilfe. Hilfe von Profis, wenn es um Pflege oder existenzielle Lebensberatung geht. Wir helfen auch, dass Menschen bekommen, was ihnen rechtlich zusteht. Deswegen baut die Caritas Brilon zum Beispiel auch: Wohnhäuser für Menschen mit Behinderungen oder neue Wohnangebote für Senioren mit Einzelzimmern, eigenem Bad und schönem Ambiente. Wir wollen, dass es den Menschen gut geht, und dabei dürfen Alter, Krankheit oder Behinderung keine Ausschlusskriterien sein. Wir fragen auch nicht nach der Lebensleistung eines Menschen. Darüber hinaus helfen wir Menschen, die flüchten mussten, oder die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden. Inzwischen ist der Caritasverband Brilon ein großer Wohlfahrtsverband und Träger ganz unterschiedlicher Einrichtungen und Beratungsangebote. Auch im sozialen Bereich sind wirtschaftliche Aspekte heute sehr wichtig.

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Wie schwierig ist dieser Spagat in der heutigen Zeit?

Heinz-Georg Eirund Das ist in der Tat eine schwierige Aufgabe und kann in der öffentlichen Wahrnehmungen mitunter irritieren. Punktuell werden wir schon gefragt: Warum muss ich für den Altenheim-PlatCaritasvorstandz so viel bezahlen? Ihr seid doch die Caritas. Die Caritas Brilon ist heute ein Sozialunternehmen. Zu rund 95 Prozent müssen wir das Geld selbst erwirtschaften, damit alle Hilfsangebote und Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden können. Heißt: Nur wenn die Auslastung stimmt, können wir Umsatz erzielen. Dabei beträgt der monatliche Finanzierungsbedarf für Gehälter und Sachkosten für den Gesamtverband über 4,5 Millionen Euro. Wir müssen also gute Arbeit leisten und gute Angebote entwickeln, um als Unternehmen am Markt zu bleiben – ökonomisch gesprochen. Der Wettbewerb, die Ökonomisierung, auch im Sozialen, ist dabei politisch gewollt. Wir stellen uns dem Wettbewerb, ohne dabei den Blick auf den einzelnen Menschen zu verlieren. Auch das ist wichtig: Die kirchlichen Zuschüsse liegen bei unter einem Prozent des Jahreshaushaltes! In unserem riesigen Verbandsgebiet mit dem Altkreis Brilon und Waldeck braucht das alles eine umfängliche Aufbau- und Ablauforganisation, die den ständigen Veränderungsprozessen und steigenden Anforderungen gewachsen sein muss.

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Am Anfang der Corona-Pandemie gab es viel Applaus für Menschen, die in sozialen Einrichtungen arbeiten. Inzwischen ist es eher still geworden. Wie schwierig ist die aktuelle Situation?

Heinz-Georg Eirund Wir feiern den am 20. Februar 75. Geburtstag der Caritas Brilon. Sie können sich also gewiss sein, wir helfen den Menschen von Herzen gerne und sicher freuen wir uns über liebe Worte und ein Dankeschön. Das macht Mut und muntert auf. Schwierig ist sicherlich, sich immer wieder auf Veränderungen einzustellen, und zwar auch auf sehr kurzfristige, die an einem Wochenende umgesetzt werden müssen. Am Beispiel Testungen: Pro Woche führen wir im Gesamtverband 9.500 Testungen durch. Das ist schon eine logistische Meisterleistung. Dann müssen neue Besucherregelungen kommuniziert und praktiziert oder Impfungen organisiert werden. Das kommt alles auf die eigentliche Arbeit, also auf Beratung, Pflege und Begleitung der Menschen, oben drauf. Trotz aller Belastungen kann ich persönlich aber sagen: Ich bin stolz auf unsere Dienstgemeinschaft, die auch in der Krisenzeit zusammenhält.

Wohin sollte die Caritas-Arbeit in den nächsten Jahren gehen? Welche Erwartungen haben Sie an die Politik?

Ludwig Albracht Grundsätzlich hoffe ich, dass die wirtschaftlichen Folgen der Covid-Pandemie sich nicht auf das Solidaritätsgefühl auswirken, dass nicht Geld und damit auch Hilfe bei den Menschen am sogenannten Rande der Gesellschaft eingespart wird. Da müssen wir als Caritas genau hinschauen und notfalls Widerspruch einlegen. Lobby-Arbeit ist sicher ein Schwerpunkt, neben Themen wie Digitalisierung und Fachkräftegewinnung. Da erwarten wir klare Unterstützung von Seiten der Politik. Wir haben bereits vor Corona 14 strategische Ziele zwischen Aufsichtsrat und Vorstand der Caritas Brilon bis 2025 definiert. Unter Beteiligung der Mitarbeiterschaft. Dazu gehören unter anderem das Feld Nachhaltigkeit und das Mandat, uns für benachteiligte Menschen einzusetzen, Armut zu bekämpfen und Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken. Die Caritas Brilon versteht sich als Partner der Menschen im Altkreis Brilon und Waldeck. Wer Hilfe braucht, sollte uns ansprechen. Das gilt auch für alle, die sich engagieren möchten.