Marsberg. Die Deutsche Bahn betreut Lokführer nach traumatischen Ereignissen. So auch, nachdem in Marsberg eine Puppe auf Gleisen für einen Schock sorgt

Die Tat schockiert: Unbekannte haben vor kurzem eine lebensechte Puppe auf Bahnschienen in Marsberg platziert. Nur wenig später liegt eine Puppe auf einem Gleisbett in Volkmarsen, Hessen. Beide Male lösen die Lokführer eine Notbremsung aus, in dem Glauben, dass ein echter Mensch auf den Gleisen liegt. Ein traumatisches Erlebnis, das in seinen Folgen laut einem Sprecher der Deutschen Bahn nicht weniger gravierend ist, als wäre ein echter Mensch auf den Gleisen gewesen. Statistisch gesehen erleben Lokführer bei der Deutschen Bahn (DB) etwa zweimal einen Schienensuizid in ihrem Berufsleben. Wie das verhindert werden soll und was die Deutsche Bahn tut, um ihre Mitarbeiter zu schützen.

Wie oft kommt ein Schienensuizid vor?

Bemessen an den rund 20.000 Lokführern bei der DB und einer jährlichen Rate von etwa 700 Fällen in Deutschland erleben Lokführer statistisch gesehen alle 20 Jahre einen Schienensuizid (in einem 45-jährigen Berufsleben etwa zweimal). Diese Angaben macht ein Sprecher der Bahn. „Die DB nimmt ihre Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern, die während ihrer Tätigkeit traumatischen Ereignissen ausgesetzt sein können, sehr ernst. Im Mittelpunkt steht ein umfassendes Betreuungsprogramm zur Vermeidung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS).“

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Wie sieht dieses Betreuungsprogramm aus?

Hilfe bei Suizidgedanken

Wir berichten in der Regel nicht über Suizide, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben – außer, Suizide erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit.Falls Sie Suizid-Gedanken haben oder jemanden kennen, der Suizid-Gedanken hat, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge: 0800/1110111 oder 0800/1110222. Die Anrufe sind kostenlos, die Nummern sind rund um die Uhr zu erreichen.Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet im Internet einen Selbsttest, Wissen und Adressen zum Thema Depression an. Im Online-Forum können sich Betroffene und Angehörige austauschen. Für Jugendliche gibt es ein eigenes Forum.

Betroffene Mitarbeiter würden umfassende Hilfe durch ein Team von vielen in psychischer Erster Hilfe geschulter Kollegen erfahren. Dazu gehören derzeit 35 Psychologen sowie Betriebsärzte der ias-Gruppe, die zu Deutschlands führenden Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement gehört und seit Jahren mit der DB eng zusammenarbeitet. „Das Programm selbst besteht aus den Modulen: Prävention, Maßnahmen in der Akutsituation, Maßnahmen in der Nachsorge, Unterstützung der Wiedereingliederung am Arbeitsplatz“, erklärt der Bahnsprecher.

Wie werden Mitarbeiter auf ein mögliches traumatisches Ereignis vorbereitet?

Triebfahrzeugführer und Zugbegleiter bei der DB werden durch ein Team von Psychologen geschult, wie sie mit belastenden Ereignissen umgehen können. Mit Videosequenzen und Gesprächen werden solche Situationen gedanklich intensiv durchgespielt. Das Seminar ist Pflicht in der Berufsausbildung.

Und wenn doch etwas passiert - wie werden Mitarbeiter in der akuten Situation aufgefangen?

Betroffene Mitarbeiter werden vor Ort unmittelbar von einem Notfallmanager bzw. durch Personal für die psychologische Erste-Hilfe professionell betreut. „Lokführer werden bei Personenunfällen ausnahmslos von einem Kollegen abgelöst und nach Hause begleitet. Sie bleiben solange außer Dienst, bis die aus dem Ereignis resultierenden Belastungsreaktionen bei ihnen abgeklungen sind“, so der Sprecher der DB. Bei den ersten Fahrten nach dem Wiedereintritt in den Dienst habe der Lokführer die Möglichkeit, sich von einem Gruppenführer, einer Vertrauensperson oder einem Psychologen begleiten zu lassen.

Wie traumatisch sind diese Ereignisse für die Lokführer?

Die Betroffenen Mitarbeiter werden intensiv von Ärzten sowie Psychologen der ias-Gruppe betreut. Die Fachkräfte hätten umfassende Erfahrung mit der Betreuung und können auch Spezialisten am Wohnort des Mitarbeiters benennen. „Ziel auch der intensiven Nachbetreuung durch die DB und ihre Partner ist es, die Risiken für eine mögliche PTBS zu verringern. Betroffene werden dazu individuell von Ärzten und Psychologen beraten, um Spätfolgen vorzubeugen und die bei Therapiebedarf geeigneten externen Psychotherapeuten zu vermitteln“, erklärt der Bahnsprecher. Entwickelt sich eine PTBS, erhält der Lokführer über die gesetzliche Unfallversicherung (das Ereignis zählt als Arbeitsunfall) eine umfassende und individuell abgestimmte Therapie. Wird ein Lokführer aufgrund der Folgen einer Traumatisierung und trotz Therapie dauerhaft fahruntauglich geschrieben, kann er innerhalb der DB in eine andere Tätigkeit wechseln. „Davon betroffen sind pro Jahr rund 20 Lokführer“, so der Sprecher. Bei wie vielen Mitarbeitern die PTBS die Hauptursache für die Berufsunfähigkeit darstellt, und wie oft andere psychische Erkrankungen eine Rolle dafür spielen, ist für die DB als Arbeitgeber aus Gründen des Datenschutzes nicht erkennbar.

In manchen Fällen sind nicht nur Lokführer betroffen - wie geht die Deutsche Bahn mit den anderen Mitarbeitern vor, die Zeugen von einem solchen Vorfall geworden sind?

„Direkt und indirekt betroffenen Mitarbeitern steht bei einem Schienensuizid ergänzend die professionelle Unterstützung speziell geschulter Berater des Mitarbeiter-Unterstützungsteams (MUT) zur Verfügung.“ Häufig zeige sich, dass auch nicht unmittelbar von einem Schienensuizid betroffene Mitarbeiter einen erhöhten Beratungsbedarf hätten, wie Mitarbeiter im Bahnhofsbereich oder das Personal im Bordbistro. Hinter MUT stehen rund 60 qualifizierte Psychologen und Sozialberater der ias-Gruppe. Anruf und Beratung seien kostenfrei - auch für Angehörige der Mitarbeiter.

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