Brilon. Die 13-jährige Zoé ist Autistin. Die Corona-Krise ist für die Briloner Familie Zwingelberg besonders schwer. Sie erzählen, wie es ihnen ergeht.

Zu Zoés Lieblingsbeschäftigungen gehört eindeutig das Aufzug- und Rolltreppe fahren. Die 13-Jährige ist Autistin, lebt in einem Behindertenwohnheim in Warburg. Wenn sie ihre Familie in Brilon besucht, gehört eine Fahrt im Supermarkt-Aufzug zum festen Ritual. Doch seitdem Corona das Leben bestimmt, hat sich für das Mädchen aus Brilon und ihre Familie einiges verändert: Kontakt zu halten ist schwierig, Maske tragen ein Problem, Fahrten nach Hause sind nicht mehr selbstverständlich und Aufzug-Fahrten schon mal gar nicht.

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Rituale wichtig

„Rituale und Gewohnheiten sind für Zoé sehr wichtig. Werden sie nicht eingehalten, ist das für sie sehr schwierig und dann reagiert sie manchmal auch sehr heftig,“, erzählt ihre Mutter Maren Zwingelberg. Das Corona-Jahr war für sie und ihre Familie nicht einfach. Normalerweise kommt die jüngste Tochter Zoé regelmäßig alle vierzehn Tage für ein Wochenende nach Hause. Doch während der ersten Lockdown-Phase im Frühjahr ging das mehrere Monate lang nicht, denn anschließend hätte das Mädchen in ihrem Wohnhaus zwei Wochen lang in Quarantäne gemusst. „Das wäre für Zoé total schlimm gewesen und das wollten wir ihre auf keinen Fall zumuten“, sagt ihr Mann Thomas.

Thomas und Maren Zwingelberg aus Brilon freuen sich auf Weihnachtsfest und Silvester mit der ganzen Familie.
Thomas und Maren Zwingelberg aus Brilon freuen sich auf Weihnachtsfest und Silvester mit der ganzen Familie. © Jutta Klute/WP

Maske tragen ist für Zoe schwierig

Problem: Besuche in Warburg waren zwar unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln möglich, praktisch aber schwierig. Denn, wenn die Eltern zu Besuch kamen, war das für Zoé das Signal: Ich fahre nach Hause. Ihre Mutter erklärt: „Aufgrund ihrer Behinderung konnte sie nicht verstehen, dass die Eltern sie nur besuchen, aber nicht abholen. Und Mitnehmen ging ja leider nicht.“ Eine Situation, die die 13-Jährige sehr aufgeregt und überfordert habe, erzählen die Eltern. In dieser Zeit sind die beiden älteren Geschwister Philipp (20) und Hannah (17) verstärkt eingesprungen, haben die kleine Schwester jede Woche einmal besucht. Doch auch bei den Besuchen zeigt sich: Zoé braucht persönlichen Kontakt und Nähe, versteht nicht, dass das nicht geht. Auch den Mund-Nasen-Schutz kann sie kaum ertragen. Sie hat Atemschwierigkeiten.

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13-Jährige ist auf umfassende Hilfe angewiesen

Zoé lebt seit ihrem siebten Lebensjahr in dem Wohnheim in Warburg. Maren und Thomas Zwingelberg erzählen, wie schwierig ihnen dieser Schritt damals gefallen ist. Doch sie sind sich einig: „Es war die richtige Entscheidung.“ Schon im Babyalter haben sie gemerkt, dass ihre jüngste Tochter „anders“ ist als die Geschwister; eine Diagnose gab es aber erst viel später. Für die ganze Familie waren die ersten Jahre eine sehr schwierige Zeit: Zoé musste mehrmals pro Woche zu Therapien gefahren werden, schlief keine Nacht durch, konnte sich sprachlich kaum verständlich machen, wurde mit einer Sonde ernährt. Bis heute reagiert sie sehr heftig, wenn etwas nicht nach Plan verläuft und kann nicht selbstständig zur Toilette gehen. Dementsprechend hat sie inzwischen die Pflegestufe fünf.

Hintergrund: Was ist Autismus?

Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige, tiefgreifende, neurologische Entwicklungsstörung. Häufig bezeichnet man Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken.

Es wird zwischen frühkindlichem Autismus, Asperger-Syndrom und atypischem Autismus unterschieden. Die Unterscheidung ist jedoch nicht so einfach. Daher wird heute der Begriff der „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS) als Oberbegriff für das gesamte Spektrum autistischer Störungen häufig verwendet.

Quelle: Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus. Weitere Infos: www.autismus.de

Eine schwere Entscheidung

„Es wurde damals für uns immer schwieriger, den Alltag zu wuppen“, erinnert sich Maren Zwingelberg. Und als die Tochter dann schulpflichtig wurde, sei die Entscheidung getroffen worden, dass Zoé in eine Pflegeeinrichtung zieht. „In Warburg kann sie auch eine Schule besuchen, in der sie sehr gut gefördert wird und auf Kinder mit Autismus eingegangen werden kann“, so die Brilonerin. Ihr Mann ergänzt: „Zoe fühlt sich dort sehr wohl und wir werden als Eltern dort sehr gut eingebunden.“

Doch mit Corona wurde alles schwieriger: „Im Frühjahr haben wir Zoé fast vier Monate nicht gesehen. Das war für uns alle eine sehr harte Zeit – zumal sie aufgrund ihrer Behinderung über das Telefon oder das Internet kaum mit uns kommunizieren kann. Umso mehr haben wir uns alle gefreut, dass sie zu ihrem Geburtstag Ende Juni wieder nach Hause kommen durfte“, erzählen die Eltern. Dank niedriger Corona-Zahlen verlief der Sommer für die Familie dann relativ entspannt – die Wochenend-Besuche konnten wieder regelmäßig stattfinden. Doch seitdem sich im Herbst die Corona-Lage verschlechtert hat, sind Besuche und Heimfahrten wieder problematisch.

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Corona-Jahr prägt Familienleben

Das Corona-Jahr hat das Leben der Briloner Familie nicht nur privat, sondern auch beruflich sehr stark geprägt. Thomas Zwingelberg ist Koch. Dementsprechend hat er in diesem Jahr schon sehr viel Kurzarbeit gehabt, kann zurzeit durch den Lockdown wieder nicht arbeiten. Das hat zumindest mit Blick auf die Feiertage aber einen Vorteil: Der 48-Jährige hat seit Jahren an Weihnachten und Silvester mal wieder Zeit für die Familie, wenn auch seine Frau an einigen Tagen arbeiten wird. Sie arbeitet als Krankenschwester auf der Onkologie im Ev. Krankenhaus in Lippstadt. Auch dort erlebt die 44-Jährige täglich, wie sehr die Patienten darunter leiden, wenn sie ihre Angehörigen nicht sehen können. Sie sagt: „Wir werden zurzeit nicht nur als Pfleger, sondern auch als Trostspender gebraucht. Viele Patienten weinen, weil sie keinen Besuch bekommen können.“

Hoffen auf gemeinsame Feiertage

Etwas wehmütig erinnert Maren Zwingelberg sich an die Adventszeit vor einem Jahr: „Da haben wir Zoe´s Wohnheimzimmer gemeinsam liebevoll weihnachtlich geschmückt. Das war dieses Jahr leider alles nicht möglich.“ Umso mehr hofft die ganze Familie nun, dass der geplante Besuch der Tochter über Weihnachten und Silvester klappt. „Die Geschwister haben viele gemeinsame Aktivitäten geplant. Wir freuen uns total auf die gemeinsame Zeit. Wenn plötzlich doch noch gesagt wird, dass Besuche zu Hause nicht stattfinden können. Das wäre für uns alle sehr schlimm.“