Olsberg-Bruchhausen. Warum wird man Ortsvorsteher? Und warum macht man das 29 Jahre lang? Stellvertretend für viele Ehrenamtler gibt Karl-Josef Steinrücken Antworten.
Er ist ein Teamplayer. Das stammt noch aus seiner aktiven Zeit als Fußballer. Und über das runde Leder ist Karl-Josef Steinrücken letztendlich auch in die Politik gekommen. 13 Jahre führte er den Vorsitz beim TuS Germania, war als Schiedsrichter landauf, landab unterwegs. Und weil er in Sachen Sportplatz, Flutlicht und Co. viel mit der Stadt zu tun hatte, ließ der dezente Hinweis aus der Dorfgemeinschaft damals nicht lange auf sich warten: „Dann kannst Du doch auch in die Politik gehen. Du hast doch einmal die Verbindungen.“ Dass daraus 36 Jahre Rats- und 29 Jahre Ortsvorstehertätigkeit werden würden, hatte sich der heute 75-Jährige damals nicht gedacht. Damit ist jetzt Schluss.
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In diesen Tagen scheiden viele verdiente Ratsmitglieder und Ortsvorsteher aus ihren Ämtern aus. In Olsberg werden sie in der Ratssitzung am 17. Dezember verabschiedet. Karl-Josef Steinrücken ist einer von ihnen. Seine Bereitschaft zum Gespräch mit dem Reporter gibt er nur, „wenn klar ist, dass die Initiative dazu nicht von mir, sondern von Ihnen ausgegangen ist. Und wenn Sie deutlich machen, dass ich nur stellvertretend für viele stehe, die sich in ihren Dörfern engagieren.“ Wir wollen es versuchen…
Ein Paradebeispiel
Bruchhausen ist ein Paradebeispiel dafür, was bürgerschaftliches Engagement mit einem spurtreuen Zugpferd an der Spitze bewegen kann. Vor allem bei den Wettbewerben „Unser Dorf hat Zukunft“ haben viele Orte mit wohlwollender Anerkennung und einer klitzekleinen Portion Neid auf die „Brauker“ geschaut. Dass sie auf dem Sektor fast alles abgeräumt haben, macht den scheidenden Ortsvorsteher stolz. Dass es 1993 auf Bundesebene „nur“ für Silber reicht, ärgert ihn heute noch. Aber schließlich gibt es über 100 Bundesgold-, aber nur sechs Europagold-Dörfer. Und eines davon heißt Bruchhausen.
Der Ortsvorsteher hat bei Urlaubsreisen viele schöne Dörfer gesehen. Und wenn er hinter deren Kulissen schaute, hatten viele von denen bei einem Wettbewerb mitgemacht, der damals noch „Unser Dorf soll schöner werden“ hieß. „Ich habe mir die Unterlagen besorgt und festgestellt: das wäre auch was für uns. Orgel spielen oder einen Chor leiten, wie es die Lehrer an einer Schule oft tun – das kann ich bis heute nicht“, sagt der Pädagoge, der 31 Jahre lang die Grundschule Bruchhausen/Elleringhausen geleitet hat mit einem Augenzwinkern. Aber er spürt schnell: Der Wettbewerb ist eine Chance, um Menschen hinter sich und den Ort nach vorne zu bringen.
„Anfangs ging es noch um frisch gestrichene Zäune und möglichst viele blühende Geranien“, erinnert sich Steinrücken. Und die Bruchhauser streichen und pflanzen damals eifrig. Aber jeder einzelne Erfolg beflügelt die rund 1300 Bürger in den 16 Vereinen nach und nach zu immer neuen Höhenflügen. Und als statt Blumenschmuck andere Werte wie Infrastruktur, Zukunftsfähigkeit oder Nachhaltigkeit aufs Tapet kommen, blühen die Bruchhauser nochmal richtig auf.
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Verpasstes Bundesgold
„Dass es mit Bundesgold nicht geklappt hat, war schon ärgerlich. Alle Teilnehmer hatten anderthalb Stunden Zeit, um sich zu präsentieren. Das galt für die 60 Einwohner und 15 Häuser im bayerischen Großmisselberg genauso wie für uns. Obwohl wir alles vorher zig Mal durchgegangen waren und mit der Stoppuhr festgehalten hatten, lief uns die Zeit davon. Alle wollten die Jury-Vorsitzende Gräfin Bernadotte von der Insel Mainau sehen und jeder wollte es besonders gut machen – das ist uns dann zum Verhängnis geworden.“ Kleines Trostpflaster: Dem Ministerialdirektor aus der Bundeskommission gefällt die Bruchhauser Tanzgruppe so gut, dass der „Kartoffeltanz“ bei der Preisverleihung in Berlin als einziger Beitrag eines Nicht-Gold-Gewinners aufgeführt wird.
Ortsvorsteher sein – das heißt mehr, als hin und wieder den Prellbock zwischen Bürger- und Stadtinteressen abzugeben. Es setzt strukturelles Denken, Diplomatie und Verhandlungsgeschick voraus. Der Ortsvorsteher muss seine Leute nach ihren Interessen fordern, sie nicht überfordern und selbst mit gutem Beispiel voran gehen. Er muss vermitteln, intervenieren und manchmal beharrlich sein. Er muss aber auch abgeben, delegieren und die Arbeit auf viele Schultern verteilen. So entstehen im Dorf viele Arbeitskreise, die nach Interesse, Können und Neigung Aufgaben im Ort übernehmen. „Eigentlich habe ich nie eine Absage bekommen, wenn ich im Dorf einen Verein oder eine Einzelperson um Hilfe gebeten habe. Das klappte, einfach so. Die meisten unserer Erfolge waren ja auch mit finanziellen Zuwendungen verbunden, die dann wiederum dem ganzen Dorf bei diversen Projekten zu Gute kamen.“
Eines von sechs Europa-Golddörfern
Aber Ortsvorsteher sein ist auch zeitaufwändig: „Unsere ganze Urlaubsplanung richtete sich immer danach, wann ist welches Fest, wann hat welcher Verein Jubiläum. Wenn ich nicht gerade krank oder verhindert war, bin ich überall gewesen.“ Aber das habe sich auch ausgezahlt. „Die Vereine haben immer mitgezogen. Sie sind nach wie vor die Basis für ein gutes dörfliches Gemeinschaftsleben. Wenn das nicht mehr wäre – wir haben es doch jetzt bei Corona gesehen – dann wäre es ganz schön still.“
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Das Bundes-Silber ist 1993 ein leichter Schlag gegen den Bug des Flaggschiffs Bruchhausen. Kluge Köpfe an entscheidenden Schaltstellen raten den Bruchhausern, es auf Europa-Ebene zu versuchen. Das Potenzial sei da. Aus ganz Europa dürfen 1998 zwölf Dörfer beim Wettbewerb „Entente Florale“ zeigen, wie erfolgreich sich Natur- und Umweltschutz mit bürgerschaftlichem Engagement paaren lassen. Das Dorf unter den Steinen bewirbt sich und muss sich einer Kommission einen ganzen Tag lang präsentieren. „Als wir abends in der Konzerthalle eine Multi-Media-Schau zeigten, sangen die Männer eines Kegelclubs in Badehosen vom benachbarten Hotelbalkon schmutzige Lieder. Das war peinlich. Ich dachte: das war’s“, erinnert sich Steinrücke an eine Schrecksekunde. Aber die Juroren waren auf dem Auge blind bzw. auf dem Ohr taub. Am nächsten Tag reist die Kommission vier Stunden lang im Ort von Station zu Station – und diesmal passt der Zeitrahmen, zumal es ununterbrochen regnet…
Dem Erfolg tut das keinen Abbruch. Den Tag der Gewinner-Bekanntgabe in Cascais bei Lissabon wird der Ortsvorsteher, der mit einer Delegation dorthin reist, nie vergessen. „Als ich Bruchhausen, City Olsberg, Germany, Gold-Award hörte, kannte die Freude keine Grenzen.“ Mit dem EU-Titel ist aber immer noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Beim stadt-integrierten Dorfmarketing mischen die Bruchhauser aktiv mit; hier wird speziell die Diskussionskultur im Ort gelobt. Es gibt Ehrenpreise von der NRW-Stiftung für die Herrichtung einer historischen Nagelschmiede und für die kreativen Leistungen der Frauen im Dorf. Im Herbst 2002 besucht eine Delegation aus der Region Nagano/Japan Bruchhausen, um vor Ort zu erleben, was mit bürgerschaftlichem Engagement für die Dorfentwicklung erreicht werden kann.
Liebe zur Heimat
Die Geschichte könnte unendlich weiter gehen. Aber sie ist auch nicht nur mit Freudentränen gespickt. Ein trübes Kapitel beinhaltet sie, als das Thema Windkraft aufs Tapet kommt und – wie in so vielen Regionen - einen Keil in die Bürgerschaft treibt. Steinrücken sieht sich unberechtigter Kritik ausgesetzt, erwägt sogar 2014 die berühmten Brocken hinzuwerfen, tritt dann aber doch noch mal an. „Der Blick zum Heidkopf ist immer noch frei. Rückblickend bin ich der Ansicht, dass man solche Projekte nur durchziehen sollte, wenn man alle Beteiligten dabei mitnehmen kann und nicht nur die, die davon profitieren.“ Aber über das Thema möchte er nicht weiter reden.
Schließen wir mit einer schönen Erinnerung: „Ich habe einer Gruppe aus der Partnerstadt Jöhstadt einmal Bruchhausen gezeigt. Danach kam eine Frau auf mich zu und sagte: Man merkt, dass Sie Ihre Heimat lieben. So machen wir es bei uns auch. Und nur dann kann man auch etwas gestalten und bewegen.“
Damit wären wir wieder beim Anfang – denn das gilt für alle Ortsvorsteher und Ratsmitglieder, die sich in den Dienst Ihres persönlichen Lebensumfelds und Ihrer Mitmenschen stellen. Dafür an alle: Dankeschön!