Brilon/Hochsauerlandkreis. In Brilon steht ein Politiker vor Gericht. Er soll Sozialgeld zu unrecht bezogen haben. In seiner Partei ist er Schatzmeister.

Kurz nach Mittag mahnte der Angeklagte das Gericht zur Eile: „Herr Vorsitzender, ich muss Sie daran erinnern, ich bin Ratsmitglied und habe heute noch eine Sitzung. Ich muss anwesend sein.“ Die konnte der Politiker, Anfang des Jahres noch zum Schatzmeister gewählt, wahrnehmen. Im Gepäck: Eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Zu der hatte das Schöffengericht Brilon den 68-Jährigen wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt. Nach Ansicht des Gerichts hat der Kommunalpolitiker zwischen 2014 und 2019 insgesamt rund 47.000 Euro Sozialleistungen zu Unrecht bezogen. Der Angeklagte hatte für die Vorwürfe nur ein Wort übrig: „Schwachsinn.“

Angeklagter nennt Sozialamt „Unsozialamt“

2014 hatte der selbstständige Dienstleister im EDV-Sektor erstmals beim Jobcenter Hilfe nach SGB II, also Hartz IV, beantragt. Das ließ er regelmäßig für jeweils sechs Monate verlängern. Eine Sachbearbeiterin des für ihn zuständigen - Originalton des Angeklagten - „Unsozialamtes“ monierte nach einiger Zeit, dass die zur Berechnung des Unterstützungsanspruchs eingereichten Rechnungen nicht fortlaufend nummeriert waren. Vermutung: Da will jemand Einnahmen verbergen.

Auch interessant

Die Behörde informierte das für Schwarzarbeit zuständige Hauptzollamt Bielefeld, und das rückte Anfang vergangenen Jahres gegen 7 Uhr morgen mit einem Durchsuchungsbeschluss an. Im Bademantel öffnete der Kommunalpolitiker die Tür seiner kleinen Wohnung. Dort war er nicht alleine. Im Schlafzimmer trafen sie eine Frau im Pyjama an.

Deren Verhältnis zu dem Angeklagten war für die Verhandlung von zentraler Bedeutung. Fußt die Anklage doch auf dem Verdacht, dass der Angeklagte mit dieser Frau in einer eheähnlichen Beziehung und somit in einer Bedarfsgemeinschaft lebte. Das hatte er jedoch dem Jobcenter verschwiegen und die Unterstützung quasi als Single in Anspruch genommen.

Die Indizienkette für eine Bedarfsgemeinschaft

Schon vor dem Umzug des Angeklagten ins Hochsauerland hatten beide eine gemeinsame Wohnung in Ostwestfalen. Das bestätigte der Vermieter. In dem Haus habe der Angeklagte im Erdgeschoss ein separates Büro eingerichtet, ansonsten „wohnten beide oben“.

Auch interessant

2018 war die Frau dem Angeklagten in den HSK gefolgt, seitdem leben beide wieder unter einem Dach. In einem Appartementhaus gehören ihr zwei Wohneinheiten. Man kenne sich seit gut 20 Jahren und sei freundschaftlich verbunden, sagte die Frau. „Früher war es enger.“

Eine plausible Erklärung, warum sie bei der Hausdurchsuchung im Bett des Angeklagten angetroffen wurde, sich neben ihrer Bettseite ein Schrank mit ihrer Damenwäsche und im Badezimmer weibliche Kosmetikprodukte befunden haben, es auf den Handys der beiden intime Fotos gebe und Paar-Versicherungen inklusive gegenseitiger Kontoverfügungen bestehen, konnte sie Staatsanwältin Westermeyer nicht liefern: „Sie bringen mich ganz durcheinander.“ Die Vertreterin der Anklage kündigte an, wegen des Verdachts der Falschaussage auch gegen sie Ermittlungen einzuleiten.

Staatsanwältin: Gewerbsmäßiger Betrug in neun Fällen

Die Staatsanwältin zog aus den Indizien den Schluss, dass der Angeklagte und die Zeugin „gemeinsam gelebt, gewohnt und gewirtschaftet“, mithin eine nichteheliche Lebensgemeinschaft geführt und das dem Jobcenter verschwiegen haben.

Auch interessant

Der 68-Jährige habe deshalb die Sozialbehörde bewusst und wiederholt getäuscht. Wegen gewerbsmäßigen Betrugs in neun Fällen forderte sie eine Gesamtstrafe von anderthalb Jahren, die angesichts des vorstrafenfreien Vorlebens zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Um etwas von der Strafe zu spüren, sollte der Angeklagte zudem 6000 Euro zahlen. Was der Stadtrat, der in seiner Parteitätigkeit auch das Amt des Schatzmeisters im Kreisverband inne hatte, mit dem Zwischenruf kommentierte „Sie haben nicht alle auf der Latte.“ Dafür, immerhin, entschuldigte er sich in seinem „Letzten Wort“

Verteidiger: Ein Schaden für den Sozialstaat fraglich

Verteidiger Jostmeier stellte die Frage in den Raum, ob man trotz der „sehr intensiven Beweisaufnahme wirklich schlauer“ geworden sei. Voraussetzung für eine Bedarfsgemeinschaft sei ein gemeinsamer Haushalt und „die Verantwortung füreinander einzustehen“. Selbst eine sexuelle Beziehung habe noch nichts mit einer Bedarfsgemeinschaft zu tun. Bei einer Bedarfsgemeinschaft habe das Jobcenter die Vermögensverhältnisse aller Beteiligten zu prüfen, erst dann werde ein Betrag festgelegt. Unter Umständen würde der hier für beide sogar höher liegen. Deshalb, so Jostmeier, könne man noch gar nicht sagen, ob sein Mandant „überhaupt einen Schaden angerichtet“ habe. Und deshalb plädierte er auf Freispruch.

Gericht: Die Sozialbehörde wurde getäuscht

Den sozialrechtlichen Aspekt ließ das Gericht bei seinem Urteil außen vor. Was bei einer - wie auch vom Verteidiger angeführten - korrekten Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft herausgekommen wäre, „wissen wir nicht“, sagte Richter Neumann.

Auch interessant

Für den Schuldspruch relevant: „Es sind Zahlungen geflossen, auf die kein Anspruch bestand.“ Der Angeklagte habe in Bereicherungsabsicht die Sozialbehörde getäuscht. Es sei noch offen, ob er das Geld komplett wird zurückzahlen müssen oder ob der Anspruch neu berechnet werde. Als Geldauflage verhängte das Gericht zu der auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe die Zahlung von 5000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung.

Die Urteilsbegründung hörte sich der Angeklagte nicht mehr an. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Strafmaßes verließ er, laut die Tür zuknallend, den Saal. Die Eile dürfte aber nicht dem noch anstehenden Sitzungstermin geschuldet gewesen sein.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Verteidiger hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Auch interessant