Brilon/Winterberg. „Herzzerreißend“, sagt Kabarettistin Frieda Braun. Und „schockiert“ ist Thomas Mester (Brilon Kultur) über den Corona-Lockdown in der Kulturszene.
Auftritt in der Lichtburg Essen? Verlegt! „Erstmal durchatmen“ in der Stadthalle Soest? Verlegt! Köln-Porz, Düsseldorf, Duisburg, Oldenburg, Osnabrück, Mannheim – sie alle müssen warten. Denn die Kabarettistin Frieda Braun, alias Karin Berkenkopf aus Winterberg , trifft die Corona-Keule wie alle Künstler mit voller Wucht. Sie darf nicht auftreten.
Frieda Braun: „Es gärt in mir und allen, die Kultur lieben“
„Ich verstehe, dass Maßnahmen gegen die Ausweitung der Pandemie ergriffen werden müssen. Gleichzeitig sehe ich die Verzweiflung von Theaterbesitzern, die alles gegeben haben, um ein sicheres Hygienekonzept umzusetzen. Und jetzt ist erst mal wieder Schluss! Das ist herzzerreißend; es gärt in mir und allen, die die Kultur lieben“, sagt die Kabarettistin.
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Karin Berkenkopf würde niemals lamentieren. Das ist gar nicht ihre Art. Aber wer die Künstlerin kennt, der weiß, dass so ein erneutes Auftrittsverbot wie jetzt im Lockdown light auch an ihr nagt. Wie viele andere macht sie sich Sorgen um die Zukunft einer ganzen Branche. Und es geht auch ein Stückweit um mangelnde Wertschätzung: „Einflussreichen Konzernen wurde schnell geholfen, während die Kultur weitgehend vergessen wurde. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die seit Monaten (!) keine Arbeit haben, keine Einnahmen und kaum Aussichten, wann es weitergehen kann. Gleiches gilt für Theater, Künstleragenturen, Profis aus Technik, Bühnenbau, Catering.“ Hierbei gehe es vor allem um die fehlende Berücksichtigung bei der Verteilung finanzieller Unterstützung.
Beachtliche Zahlen aus der Branche
9,8 Prozent der deutschen Bevölkerung besucht einmal im Monat eine kulturelle Veranstaltung.
258.970 Betriebe sind bundesweit in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. Dahinter stehen 1,24 Millionen Menschen. Das sind doppelt so viele Erwerbstätige wie bei den Finanzdienstleistern.
Perspektiven gefordert
Karin Berkenkopf ist davon überzeugt, dass es selbst in Zeiten von Corona Perspektiven für Kulturschaffende geben muss und auch gibt: „Die Entwicklung neuer Perspektiven scheitert nicht an den Beteiligten, das hat sich im Sommer gezeigt: Theaterbesitzer bauten Open-Air-Bühnen auf oder mieteten Hallen an. Künstler spielten – damit die Zuschauerzahl radikal reduziert werden konnte – anstatt einer Show zwei Vorstellungen hintereinander. Das Publikum behielt diszipliniert die Maske auf, wahrte Abstand und war mit Dankbarkeit bei der Sache. Die Kultur nimmt die Pandemie, die Vorschriften und den Auftrag, Menschen zu inspirieren, ernst. Und sie findet neue Wege. Die Politik sollte das wahrnehmen und unterstützen“, findet sie deutliche Worte.
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Und auf die Frage unserer Zeitung, wie die Kulturlandschaft nach Corona ihrer Einschätzung nach aussehen werde, hört man aus Karin Berkenkopf zugleich auch ihr Alter Ego Frieda Braun sprechen: „Die dringendere Frage ist für mich, wie die Kulturlandschaft MIT Corona aussehen kann. Die Pandemie wird uns noch länger begleiten. In dieser Zeit wird der Boden bereitet, auf dem die Kultur nach Corona gedeiht.“
Blick aus anderen Blickwinkeln
Thomas Mester, Leiter des Kulturbüros „Brilon Kultour“ kennt die Szene und ihre Sorgen aus mehreren Perspektiven: als langjähriger Musiker, als Veranstalter mit eigener Agentur und als jemand, der sehr gut vernetzt ist: „Ich war echt schockiert, dass wieder eine komplette Branche auf Null gesetzt wird. Das Grundproblem ist nach wie vor, dass die Kultur- und Eventszene einfach keine Lobby hat. In anderen Wirtschaftszweigen würden solche Entscheidungen garantiert nicht getroffen. Die große Anzahl an Menschen, die in der Künstler- und Veranstaltungsbranche arbeitet und auch das Wirtschaftsvolumen welches hier pro Jahr erarbeitet wird – all das spielt anscheinend überhaupt keine Rolle.“
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Das Bundeswirtschaftsministerium beziffert den Beitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung (Bruttowertschöpfung) in Deutschland für 2019 übrigens auf 106,4 Milliarden Euro. Damit übertreffen die Kulturschaffenden in Sachen Wertschöpfung inzwischen andere wichtige Branchen wie die chemische Industrie, die Energieversorger oder aber die Finanzdienstleister. Nur der Fahrzeugbau erzielt mit aktuell 162,1 Milliarden Euro eine deutlich höhere Bruttowertschöpfung.
Thomas Mester: „Müssen nach vorn schauen!“
Der Lockdown Light und der Ausfall zahlreicher Veranstaltungen beschäftigen Thomas Mester auch persönlich: „Aber ich versuche mit meinem Team die Situation so anzunehmen und nach vorne zu schauen. Wir hatten im November schon einiges auf dem Plan. Diese Veranstaltungen mussten wir erst einmal komplett wieder absagen oder verschieben. Dennoch gehen wir die Planung für das nächste Jahr und für die nächste Spielzeit an, obwohl wir in der ersten Jahreshälfte garantiert auf Sicht fahren werden.“
Daher blickt Mester auch mit gemischten Gefühlen auf 2021: „Ich glaube schon, dass wir die Branche in 2021 dezent wieder hochfahren werden. An Großveranstaltungen glaube ich allerdings nicht. Mit einigen Auflagen können wir hoffentlich nächstes Jahr einiges an Kultur und Events wieder veranstalten – ganzjährig.“
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Etwas Sorgen macht sich der Leiter des Kulturbüros auch für die Zukunft: Die Kulturlandschaft werde sich verändern, u. a. müsse man das Publikum zurückgewinnen. „Aber es müssen auch alle Künstler, Techniker und alle, die in dieser Branche gearbeitet haben, wieder zurückkommen. Ich kenne viele, die bereits der Szene den Rücken zugewandt haben und in anderen Berufsbereichen mittlerweile unterwegs sind oder die es wirtschaftlich einfach nicht überlebt haben. Absolut traurig ist das! Kultur erhalten – ich hoffe das sehr!“