Medebach/Winterberg. Ein Motorradfahrer stirbt im August 2019 an einer roten Ampel in Winterberg. Ein Autofahrer erfasst ihn. Der 83-Jährige stand jetzt vor Gericht.
„Es tut mir unendlich leid“, sagte der Angeklagte mit tief bewegter Stimme. Dann kamen die Tränen. An die Hinterbliebenen des Opfers gewandt ergänzte er: „Bitte verzeihen Sie mir, wenn Sie können.“ Verhandelt wurde ein Unfall, bei dem am Nachmittag des 25. August 2019 ein Motorradfahrer ums Leben gekommen war. Der 73-Jährige aus dem Raum Soest hatte auf der B480 in Winterberg, am Abzweig zum Kapperundweg, an einer roten Ampel gewartet. Dort war er von einem von hinten kommenden Pkw-Fahrer übersehen und erfasst worden. Am Steuer ein heute 83-jähriger Mann aus Moers.
Am Donnerstag (1.10.) stand dieser wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Medebach. Der Senior war nicht der einzige, der im Lauf der Verhandlung um Fassung ringen musste. Der Unfall hat zwei Familien ins Mark getroffen. Jeweils vier Angehörige des Unfallfahrers und des getöteten Motorradfahrers saßen im Zuschauerraum. Nun war es an der Justiz, Schuld zu bestimmen und eine angemessene Strafe zu finden.
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Zeugen des Unfalls hatten ausgesagt, der Wagen sei ungebremst auf das Motorrad aufgefahren. So war es wohl nicht: Der technische Sachverständige führte aus, dass der Mercedes vor der Kollision gebremst habe. Es sei aber nicht mehr feststellbar, wer die Bremsung einleitete – der Fahrer oder der im Fahrzeug verbaute Notbremsassistent. So oder so reichte es nicht: Mit 45 bis 55 km/h fuhr der Pkw auf das Motorrad auf. Dessen Fahrer wurde durch die Wucht des Aufpralls hochgeschleudert, verlor seinen Helm und schlug auf dem Pkw auf, bevor er zu Boden fiel. Todesursache war laut Obduktionsbericht ein Riss der Hauptschlagader im Brustraum, wodurch der Mann noch am Unfallort verblutete.
Erinnerung und Fakten
Daran, dass das Motorrad zum Zeitpunkt des Unfalls gestanden hatte, gab es praktisch keine Zweifel. Mehrere Zeugen hatten dies gegenüber der Polizei angegeben und laut Sachverständigem passt es zu den von ihm erhobenen Fakten. In der Erinnerung des Angeklagten lief die Szene anders ab. Die Ampel habe grün gezeigt und das Motorrad nicht gestanden, sondern sich von rechts genähert. „Wahnsinnig schnell“ sei es gegangen. „Auf einmal stand er da.“ Er kenne die Strecke sehr gut, da er im Sauerland ein Ferienhaus habe. „Seit über 60 Jahren fahre ich Auto, bis auf kleine Fehler immer vorschriftsmäßig, nie ist was Schlimmes passiert.“
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Mit dem Autofahren ist es für den Moerser jedoch vorbei. Zwar hatte die Polizei am Unfallort keinen Zweifel an seiner Fahrtüchtigkeit und sein Führerschein wurde ihm inzwischen zurückgegeben. Doch auf den nachdrücklichen Rat seines Anwalts händigte er ihn noch in der Verhandlung dem Gericht aus und erklärte, unwiderruflich darauf zu verzichten. Das falle ihm schwer, aber in Anbetracht der Lage müsse er das wohl tun.
Nach dem Unfall sei es ihm psychisch sehr schlecht gegangen, berichtete der Senior auf Nachfrage des Staatsanwalts. Er habe nicht mehr schlafen können. Weil sein Zustand immer schlimmer geworden sei, habe er bei einer Beratungsstelle, wie er es ausdrückte, „Nachhilfe genommen“.
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Bei der Frage nach der angemessenen Strafe wertete der Staatsanwalt die Reue und die fehlenden Vorstrafen zugunsten des Angeklagten. Der Tod des Motorradfahrers und das Leid der Hinterbliebenen aber sprächen gegen eine Strafe am unteren Rand des Möglichen. 120 Tagessätze Geldstrafe zu je 60 Euro seien angemessen, eine Freiheitsstrafe nicht notwendig. Eine Forderung, der sich der Verteidiger des Angeklagten anschloss. „Ich könnte 90 Tagessätze beantragen, damit es nicht im Führungszeugnis steht. Aber um ein Zeichen zu setzen: Es ist in Ordnung so.“ Ohnehin werde die moralische Schuld für seinen Mandanten bedeutsamer sein als die rechtliche.
Schwierige Abwägung
Fälle fahrlässiger Tötung seien zum Glück nicht oft zu verhandeln, meinte Richter Seidel, nachdem er die beantragte Geldstrafe verhängt hatte. Sie seien aber immer Anlass, über die „Diskrepanz zwischen Handlungsunwert und Erfolgsunwert“ nachzudenken. Frei übersetzt: Eine Tat kann auch furchtbare Folgen haben, wenn sie nicht beabsichtigt war.
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Doch Seidel fand auch Worte jenseits der Fachsprache. Es sei keine einfache Fahrlässigkeit gewesen – immerhin habe der Angeklagte nicht nur eine rote Ampel, sondern auch einen anderen Verkehrsteilnehmer übersehen. Er hoffe, dass das Verfahren allen Beteiligten eine Zäsur ermögliche. Und pflichtete dem Verteidiger bei: In der Tat sei der Entzug der Fahrerlaubnis die zwingende Folge eines solchen Geschehens. „Das Gericht muss dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“