Willingen/Winterberg. Winterbergs Tourismus kommt besser durch die Coronakrise als Willingens. Dort diskutieren Gemeindevertreter, ob es Zeit für ein neues Konzept ist.

Der komplette Stopp im März war eine bis dato unbekannte Zäsur im Tourismusgeschäft. Doch nach den Lockerungen hat sich der Tourismus im Sauerland erholt – so gut, dass zum Beispiel Winterberg im Juli 6,1 Prozent mehr Übernachtungen und 15 Prozent mehr Ankünfte zählte als im Juli 2019.

Im großen Wintersportort jenseits der Landesgrenze, Willingen, sieht es anders aus. Hohe Unzufriedenheit bei Gastgebern, Freizeitbetrieben und Bürgern, teils 70-prozentige Einbrüche in Hotellerie und Gastronomie: Gemeindevertreter Jörg Stremme (CDU) blickte kürzlich in einer Parlamentssitzung auf die Gastgeberversammlung wegen der Corona-Krise zurück.

Er fragte, was die Gemeinde zur Linderung der Probleme tun kann – regte aber auch an, die Krise nach Jahren des ausufernden Club-Tourismus als Chance zu begreifen: „Wir müssen uns mit einem schlüssigen Konzept für den Restart wappnen und die Spielregeln neu aufstellen.“ Auch, damit der Ort nicht weiter auf das Thema Club-Tourismus reduziert werde.

„Es ist nicht möglich, einfach den Club gegen den Sportgast zu tauschen“, erklärte Bürgermeister Thomas Trachte – der feiernde Besucher mit gutem Benehmen sei durchaus erwünscht. Das schlechte Verhalten anderer, konterte Stremme, verdränge aber erwünschte Gäste, wie an einer seit Jahren unbefriedigenden ersten Ferienhälfte zu sehen sei: „Die Wahrnehmung ,Saufen und asozialer Club-Tourismus‘ hat sich eingeschlichen.“

Unterschiedliche Zielgruppen

Winterberg und Willingen konzentrierten sich auf unterschiedliche Zielgruppen, an denen sie ihre touristischen Angebote ausrichten. Winterberg möchte vor allem Familien mit Kindern, sportliche und Menschen in der Lebensmitte anlocken und setzt dafür auf die Zugpferde Natursport, Familienurlaub und Wandern. Zielgruppen, die nicht zum exzessiven Trinken oder zur Ruhestörung neigen. „Es zeigt sich heute, dass es genau der richtige Weg war“, meint Michael Beckmann, Tourismusdirektor und designierter Bürgermeister von Winterberg. Er meint damit das Tourismuskonzept der Stadt, dass erstmal vor gut 20 Jahren aufgestellt wurde. Die Zielsetzung sei damals gemeinschaftlich entschieden worden.

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Offenbar findet auch Willingen Gäste, wie Winterberg sie hat, inzwischen sehr attraktiv. Eine wirkliche Veränderung im Publikum gelinge aber nur, wenn Betriebe und Wirtschaft mitmachen, befand Willingens Bürgermeister Trachte in der Sitzung: „Was sie anbieten, wird gekauft.“ Die Gemeinde sei nicht in der Lage, einfach festzulegen, wie es läuft. Jörg Stremme sprach sich für Kontrollen aus, ob alles rechtmäßig laufe und vereinbarte Größenordnungen eingehalten würden.

Auch wenn er einen Aufwärtstrend sehe: Ein großer Teil des Wochenend-Tourismus fällt bis auf weiteres weg, auch die anderen Gäste buchen verhalten, berichtete Bürgermeister Trachte. Werbemittel für das ganze Jahr sollen vorgezogen werden, um kurzfristig stärker aufzutreten – eine Reaktion auf die Gastgeberversammlung, bei der Forderungen nach mehr Werbung laut geworden waren. „Wir müssen aufpassen, nicht in Aktionismus zu verfallen“, sagte Trachte. Wenn wir Kredite aufnehmen, um für 20 Tage gute Belegung zu sorgen: Was sagen uns dann die Politiker, die in fünf Jahren verantwortlich sind?“

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Entscheidend für das Handeln der Gemeinde ist das Marketing-Konzept: Bei seiner Fortschreibung müsse die Frage beantwortet werden, welche Rolle die Gemeinde im Tourismus spielen soll. Sie selbst sehe ihre Rolle im Herstellen und Ermöglichen touristischer Infrastruktur, Werbung für das Reiseziel als Ganzes, Pflege der touristischen Netzwerke der Region und Ermöglichung von Events. Wenn die Gemeinde direkter in den Verkauf von Zimmern involviert werden soll, gebe es Möglichkeiten, aber auch Grenzen.

Sollte Willingen in den kommenden Jahren seine Ziele umformulieren, welche Konsequenzen hätte das für Winterberg? Fürchtet man einen Nachbarn, der sich womöglich auf die eigenen Kern-Zielgruppen umstellt? „Nein“, sagt Michael Beckmann. „Konkurrenz hat uns belebt und ist für die Region gut.“ Nicht jeder Sommer werde wie der Sommer 2020 werden. Doch auch im kommenden Jahr rechnet Beckmann mit guten Zahlen in der grünen Saison. Man müsse „kein Prophet sein, um anzunehmen, dass die Coronakrise dann noch nicht vorbei sein wird.“

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Anders als in den vergangenen Jahren wolle der Winterberger Tourismus aber nicht mehr auf Wachstum setzen. Zumindest nicht in der Masse – wirtschaftliches Wachstum soll nicht mehr durch mehr Gäste, sondern durch eine höhere Wertschöpfung pro Gast erreicht werden. Exklusiver statt mehr, das ist das neue Ziel.