Brilon. Ein Mann aus Marsberg rast mit einem geklauten BMW von den Niederlanden nach Brilon. Die Polizei jagt ihn. Die Geschichte eines irren Rennens.
Die Tat war spektakulär, doch beim Prozess war nach einer halben Stunde die Luft raus: Der 24-Jährige aus dem Raum Marsberg, der sich Mitte April eine wilde Verfolgungsjagd von der niederländischen Grenze bis ins Hochsauerland geliefert hatte, legte vor dem Amtsgericht Brilon ein vollumfängliches Geständnis ab. Damit hatte sich der Angeklagte eine Bewährungsstrafe erhofft. Denn zurzeit erlebt der Marsberger in der U-Haft erstmals den Strafvollzug für Erwachsene. Seine in den vergangenen vier Monaten gewonnene Erkenntnis: „Das ist doch etwas anderes als in der Jugendstrafanstalt.“ Mit der Bewährung wird nichts. Das Schöffengericht Brilon schickte ihn wegen Diebstahls in zwei Fällen, Betrugs, Urkundenfälschung und eben dem verbotenen Autorennen für zwei Jahre ins Gefängnis.
Seit längerem war es nicht gut für den 24-Jährigen gelaufen. Probleme mit dem Job und dem Elternhaus führten dazu, dass er Ende 2019 zu der Familie seines Großonkels ins Hessische zog und in dessen Firma anfing. „Er wollte mir wieder auf die Beine helfen“, sagte der Angeklagte.
Ersten Autoverkäufer ausgetrickst
Doch mit der Zeit habe er sich immer öfter Vorwürfe anhören müssen: dass er bisher nichts auf die Reihe bekommen und sein Vater bei der Erziehung versagt habe.
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„Da habe ich jedes Mal einen Hals gekriegt“, sagte er. Ende März haute er ab. Ein paar Tage kam er bei einem Kumpel unter - in einer Flüchtlingsunterkunft. Als das rauskam, wusste er nicht, wohin. Da kam ihm eine abenteuerliche Idee: Er nahm Kontakt zu jemandem in Hanau auf, der über Ebay seine Mercedes-Limousine anbot. Nach einer Probefahrt bat der 24-Jährige den Besitzer, die Motorhaube zu öffnen. Als der den Wagen verlassen hatte, gab der 24-Jährige Gas. Für ein paar Tage wurde der Benz zu seiner Bleibe. Als das Benzin ausging, tankte er in der Wetterau voll und füllte auch zwei Kanister - die, das gab er dummerweise zu, wollte er zu Geld machen, um sich was zu essen zu kaufen. Das zuzugeben war keine gute Idee, weil die Tat damit vom einfachen zum gewerbsmäßigen Betrug wurde.
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Zweiten Autoverkäufer verladen
Am 14. April wechselte der 24-Jährige den Wagen. Bei einem Autohändler in Maintal gab er Interesse an einem 3-er Touring-BMW vor. Er drehte auf dem Firmengelände ein paar Runden - und gab auch hier Gas. An dem nicht angemeldeten Wagen brachte er die Daimler-Kennzeichen an. Mit einem Bekannten (20) und dessen Freundin (16) steuerte er die Niederlande an. Dort, so der Angeklagte, habe er zu einem Freund gewollt, der ihm helfen sollte „wieder klar zu kommen“.
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Staat und Ölkonzern als Geschädigte
Vergebens den weiten Weg ins Hochsauerland angetreten hatte der Tankwart aus der Wetterau; durch das Geständnis brauchte er nicht mehr auszusagen.
Geschädigte waren der Staat und der Ölkonzern: 102 l Super für 135,45 Euro kamen weg.
Davon entfielen 67,21 Euro auf die Mineralölsteuer, 21,36 Euro auf die Mehrwertsteuer und 2,77 Euro auf die Bevorratungssteuer, den Rest verbuchte der Konzern.
Im selbst ging deshalb nicht einmal seine Marge von 1,99 Euro durch die Lappen.
Im deutsch-niederländischen Grenzgebiet bei Emmerich am Rhein ging der Sprit aus. Auch dort tankte der Angeklagte „für lau“- und wunderte sich, dass ihn wenig später eine holländische Polizeistreife stoppte. „Ich dachte, das wäre noch in Deutschland.“ Ein kräftig gebauter, großer Polizist mit Glatze habe ihn angeschrieen, zu dem sei von hinten ein Zivilfahrzeug gekommen und habe den BMW gerammt. „Ich wollte nur weg“, sagte der 24-Jährige. Mit 120 ging es durch Orte, mit 160 über Bundesstraßen bis auf die Autobahn bei Elten. An die folgende Fahrt kann er sich kaum erinnern: Er habe sich auf den Autobahnen nur „nach den bekannten Namen“ orientiert - „Ich war wie im Tunnel.“
Reue beim Angeklagten
Gut zwei Stunden dauerte die Verfolgung, an der sich mehr und mehr Streifenwagen beteiligten, auch ein Hubschrauber war eingesetzt. Gegen 4 Uhr fuhr er in Nuttlar von der A46 runter Richtung Bigge. Dort machte die Polizei ernst und legte ein Stop-Stick aus, eine Nagelsperre. Doch auch die konnte ihn nicht bremsen. Mit platten Reifen fuhr er über die B7 an Brilon vorbei Richtung Marsberg. Im Loch hinter Rösenbeck, am Abzweig Altenfils, nachdem ein Streifenwagen zweimal versucht hatte, ihn von der Straße zu drängen, gab er auf: „Ich war froh, dass es vorbei war.“ Er habe „großen Bockmist gebaut.“ Ihm tue alles leid.
Bewährungsstrafe kommt für Richter nicht infrage
Staatsanwältin Kuni forderte für die Auto-Diebstähle, Urkundenfälschung, den Tankbetrug in Deutschland, das Fahren ohne Fahrerlaubnis und das verbotene Autorennen - als solche gelten seit einiger Zeit auch die Flucht vor der Polizei - zwei Jahre und drei Monate Haft ohne Bewährung. Zwar habe der Mann mit seinem Geständnis dem Gericht eine umfangreiche Beweisaufnahme erspart, allerdings habe er zur Tatzeit wegen wiederholter Führerschein- und Betrugsdelikten noch unter Bewährung gestanden.
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Verteidiger Füchtmeier hielt zwei Jahre für ausreichend, die angesichts der Reue und der mit einer Therapie verbundenen Aussicht auf ein straffreies Leben zur Bewährung ausgesetzt werden könnten. Zwar folgte das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Neumann dem Strafmaß, allerdings sei die Bewährung angesichts der Vorstrafen „nicht mehr darstellbar“. Und auch seine näheren Zukunftspläne gäben nichts her, aus dem sich gefestigte Lebensumstände ableiten könnten.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.