Winterberg. Freizeitspaß und Action, dafür steht Winterberg - auch für Menschen mit Behinderung? Nicky Stöcker und Louisa Hüttmann machen den Test.

Wegweiser, Infotafeln, Wanderkarten – in der Stadt auf dem Berg wird viel dafür getan, dass auch Fremde sich zurechtfinden. Zumindest, wenn sie sehen können. Für Menschen mit Sehbehinderung kann es aber schnell schwierig werden. Wo genau die Problempunkte sind, dazu hat die WP einen Rundgang mit Nicky Stöcker und Louisa Hüttmann unternommen. Beide gehören zur Bezirksgruppe für Wittgenstein und Umgebung des Blinden- und Sehbehindertenvereins Westfalen.

Um mit den positiven Punkten anzufangen: Der neu gestaltete Bahnhof und die Bushaltestellen „Pforte“ und „Im Hohlen Seifen“ fallen den beiden Sehbehinderten sehr positiv auf. „Super gemacht“, findet Stöcker und meint nicht nur die Haltestellen, sondern auch die Mittelinsel, die Fußgängern an der Haltestelle „Pforte“ beim Überqueren der Fahrbahn Richtung Kurpark hilft.

Das Pflaster ohne Stolperfallen gibt einen Pluspunkt, ebenso das durchgängig angebrachte Leitsystem. Die Steine mit Rillen oder Noppen sind mit dem Langstock gut wahrnehmbar. Zwischen Bahnhof und Kurpark-Eingang ist die Welt also für Sehbehinderte ziemlich in Ordnung.

Gefährlicher Straßenübergang

Schon ein paar Meter weiter oberhalb sieht es deutlich gefährlicher aus: Wer dort die Bahnhofstraße oder die Straße Am Alten Garten überqueren will, sollte besser nicht auf seinen Tastsinn angewiesen sein. Denn dort gibt es zwar ein paar Leitsystem-Steine. Die sind aber isoliert verlegt – es führt keine Markierung hin zu ihnen.

Gefährlich: Der Straßenübergang „Am Alten Garten“ ist gepflastert und fühlt sich deshalb mit Langstock wie ein Gehweg und nicht wie eine Straße an. Das Leitsystem ist schnell verpasst
Gefährlich: Der Straßenübergang „Am Alten Garten“ ist gepflastert und fühlt sich deshalb mit Langstock wie ein Gehweg und nicht wie eine Straße an. Das Leitsystem ist schnell verpasst © Stefanie Bald

„Besonders aus Richtung Innenstadt muss ich schon Glück haben, beim Übergang genau am Leitsystem anzukommen“, sagt Stöcker. Noch ungünstiger ist, dass die Straße selbst in diesem Bereich nicht geteert, sondern gepflastert ist. Damit fühlt sie sich für Menschen mit Stock nicht wie eine Fahrbahn, sondern wie ein Bürgersteig an.

Das Problem mit den Zebrastreifen

Nicky Stöcker verlässt sich auf sein Gehör. „Seit ich blind bin, höre ich extrem gut“, sagt der junge Bad Berleburger. Selbst leise schnurrende Elektroautos sind für ihn kein Problem – wenn sie nicht gerade von einem Verbrenner übertönt werden.

Beide wünschen sich, dass Städte es Sehbehinderten einfacher machen. Vor allem verlässliche Leitsysteme würden dabei sehr helfen. Mit kleinen Widrigkeiten hingegen haben sie sich arrangiert: Öfters mal an Hindernisse zu stoßen oder tiefhängende Äste ins Gesicht zu bekommen, daran „muss man sich als Sehbehinderter eben gewöhnen“, meint Nicky Stöcker.

Auf dem Weg von der Pforte Richtung Volksbank ist es eine Beachflag, die ihn erwischt. Der Werbeträger hat einen schmalen, flachen Fuß, wird aber auf Kopfhöhe ausladend – genau die Form von Hindernis, die mit dem Langstock nicht einzuschätzen ist. „Aber sie ist wenigstens weich“, meint Stöcker und lacht. „In Berleburg gibt es am Rathaus eine Tafel, die ist ziemlich hart.“

Ein größeres Problem wartet an den innerstädtischen Zebrastreifen. Dort säumen jeweils auf mehreren Metern Poller mit Ketten den Bürgersteig. Sie sollen dafür sorgen, dass Passanten wirklich die Zebrastreifen benutzen und nicht unkontrolliert auf die belebte Kreuzung laufen.

Doch für Blinde sind die Ketten ein Problem: Der Langstock stößt erst relativ spät daran, an der Seite begrenzen die Poller – man hängt schnell fest. Passiert das, solange der Blinde auf der Bürgersteigseite ist, kann er sich in Ruhe wieder herausmanövrieren. „Wenn ich aber über die Straße komme und sie nicht verlassen kann, ist das ein blödes Gefühl.“

Beratung für Menschen mit Sehbehinderung in Winterberg

Auch Louisa Hüttmann hat mit den Zebrastreifen ein Problem. Zwar kann sie im Gegensatz zu Nicky Stöcker noch ein wenig sehen. Aber die Streifen sind sehr abgenutzt; der Kontrast reicht für sie nicht aus. „Wäre schön, wenn die neu gekennzeichnet würden.“

Jung und unabhängig sein

Den beiden jungen Leuten ist es wichtig, ihr Leben möglichst selbst zu gestalten und nicht dauernd um Hilfe bitten zu müssen. Das ist aber oft schwer. „Ich bin ein vorsichtiger Mensch und gehe vor allem in Begleitung raus“, sagt die 22-jährige Louisa. In Winterberg war die Kirchhundemerin vorher noch nie und wäre allein auch nicht hingefahren.

Ganz anders der 28-jährige Nicky. „Ich bin abenteuerlustig, verreise gern und versuche, mir den Weg selbst zu erkämpfen.“ Dafür nutzt er zum Beispiel Apps zur Navigation. Als er noch sehen konnte, fuhr er gern Fahrrad, Inlineskates und Ski. Auch heute mag er nicht auf Action verzichten.

„Den Kletterwald habe ich schon ausprobiert. Ich habe meine Blindheit bei der Anmeldung angesprochen und das Personal war offen für einen Versuch. Hat auch gut geklappt – ich gehe dann eben nicht zu Stoßzeiten, weil ich sonst den Betrieb aufhalte.“

Weil Nicky Stöcker Verwandte und Freunde in Winterberg hat, hat er dort ein Mobilitätstraining absolviert. Ein solches Training dauert mehrere Tage, an denen Orientierungspunkte, Laufwege und Hindernisse eingeübt werden. Seitdem findet er sich im Innenstadtbereich ganz gut allein zurecht. „Das Training lohnt sich aber nur an Orten, an denen man oft ist.“

Problematisch ist es, wenn etwas umgestaltet wird. Das können Baustellen sein, aber auch so Simples wie erweiterte Außengastronomie-Flächen zu Corona-Zeiten oder die allgegenwärtigen durchsichtigen Plastikscheiben in Geschäften.

Keine Orientierung in der Stadtmitte

Auf dem Rückweg von der Volksbank zum Bahnhof ist dann erstmal Schluss mit Auskennen. Der zentrale Platz an der Unteren Pforte bietet eine Menge Schwierigkeiten. Weit und breit nirgends ein Leitsystem, dafür aber Fahrräder, sogar Motorräder, kreuz und quer laufende Menschen und viele mögliche Wege. „Hier verlaufe sogar ich mich manchmal“, sagt der ortskundige Nicky, dem gerade aufgefallen ist, dass er statt Richtung Bahnhof in die Hauptstraße abgebogen ist. „Völlig verloren“, fühlt sich die ortsfremde Louisa Hüttmann.

Blickpunkt Auge

Die Bezirksgruppe des Blinden- und Sehbehindertenvereins bietet die Beratung „Blickpunkt Auge“ im Winterberger Rathaus an. Beraterin Katrin Spies-Gußmann hilft Betroffenen, Angehörigen, Firmen und allen anderen, die mit dem Thema Sehbehinderung oder Blindheit zu tun haben.

Themen zum Beispiel: Schul- und Berufswahl, Recht und Soziales, geeignete Hilfsmittel, Alltagsbewältigung.

Termine auf Anmeldung unter Tel.: (02751) 444 727 oder Mail: k.spies-gussmann@blickpunkt-auge.de

Ein paar Pflastersteine mit Leitsystem, dazu besser markierte Zebrastreifen und ebener Bodenbelag ohne Stolperkanten – das würde den beiden auf ihrem Weg durch Winterberg schon enorm weiterhelfen.

Auch interessant

Auf lange Sicht wünschen sie sich, dass alle Bushaltestellen mit einem Leitsystem versehen werden. „Seit November gibt es unsere regelmäßige Beratung ,Blickpunkt Auge‘ für Sehbehinderte im Rathaus, geleitet von Katrin Spies-Gußmann. Aber die würde selbst ohne ihren Hund nicht zum Rathaus finden, weil es an der Haltestelle dort und in der Umgebung kein Leitsystem gibt“, meint Nicky Stöcker.

Warum freundliche Mitmenschen oft beleidigt sind

Der Schlüssel zum einfacheren Miteinander liegt oft darin, den anderen kennenzulernen und sich in ihn hineinzuversetzen. Zum Beispiel beim Überqueren einer Straße: Nicky Stöcker erlebt oft, dass ihm freundliche Mitmenschen einen Tipp geben wollen: „Es ist frei, Sie können gehen.“

„Das habe ich früher, als ich noch sehen konnte, auch zu Leuten gesagt“, erinnert er sich. „Aber: Uns wird nachdrücklich eingeschärft, niemals loszulaufen, nur weil jemand anderes das sagt. Sollte dann etwas passieren, wäre ich nämlich nicht versichert.“ Das Problem: Manche Tippgeber sind beleidigt, wenn er nicht reagiert, halten ihn für unhöflich oder schwerhörig. Dabei muss er sich lediglich wie alle anderen im Straßenverkehr auf seine eigenen Sinne verlassen – am besten wäre es deshalb, still zu sein. Dann können Blinde wie er sich darauf konzentrieren, den Verkehr zu hören.

Wenn dann noch die Autofahrer am Zebrastreifen ruhig stehenbleiben, ohne mit dem Gas zu spielen oder schon anzufahren, wenn der Fußgänger erst die halbe Strecke zurückgelegt hat… dann wäre sein Leben schon wieder ein bisschen einfacher.