Winterberg/Bad Berleburg. Von der Schul- und Berufswahl bis zu Rentenantrag und Augenpflege im Alter reicht das Angebot. Auch ein Stammtisch ist geplant.
Für blinde und sehbehinderte Menschen gibt es jetzt erstmals ein spezielles Beratungsangebot „Blickpunkt Auge“ in Winterberg. Einmal im Monat kommt auf Anmeldung Katrin Spies-Gußmann aus Bad Berleburg ins Rathaus, um Betroffenen Rat und Hilfe anzubieten. Dafür hat sie sich eigens ausbilden lassen.
Fragen kommen auf Betroffene und ihre Angehörigen reichlich zu: von der richtigen Schulwahl bei Kindern, dem Weg in den gewünschten Beruf über Recht und Soziales bis zur Alltagsbewältigung. „Mangelnde Sehkraft wird oft vertuscht“, weiß die Physiotherapeutin aus Erfahrung.
Bei Kindern heiße es dann zum Beispiel, das Kind lese eben nicht gern. So bleibe verborgen, dass es nicht richtig sehen könne. Ebenso sei es bei älteren Menschen, die sich weigern, Lupen oder Brillen zu benutzen oder das Autofahren aufzugeben, obwohl sie dazu objektiv nicht mehr in der Lage sind.
Spies-Gußmann kann auch dabei helfen, Hilfsmittel richtig anzuwenden oder die individuell richtigen zu finden. „Natürlich kann ich keine ärztliche Meinung ersetzen, aber zum Beispiel Tipps zur Augenpflege geben, mit der sich manchmal gerade bei älteren Patienten die verbliebene Sehkraft länger erhalten lässt.“
Neue Bezirksgruppe gegründet
Anfang Oktober wurde die neue Bezirksgruppe für Wittgenstein und Umgebung des Blinden- und Sehbehindertenvereins Westfalen gegründet. Sie deckt auch den südlichen Hochsauerlandkreis ab. Vorher waren Betroffene auf weit entfernte Angebote angewiesen.
„Wir haben mit einem Stammtisch unter dem Dach der Bezirksgruppe Siegen-Wittgenstein angefangen und gesagt, wir gründen eine eigene, wenn genug Mitglieder da sind“, sagt Initiatorin Spies-Gußmann. Das ist nun der Fall.
„Man hat oft das Gefühl, es gebe überhaupt keine blinden Menschen hier in der Gegend.“ Aber das stimme nicht. „Als wir mit dem Stammtisch hier in Berleburg anfingen, hieß es: ,Wird sowas denn gebraucht? Es gibt doch hier nur eine blinde Person außer dir selbst.‘ Und jetzt sind wir schon 13 Leute.“
Viele Hürden für selbstständiges Leben
Dass Sehbehinderte im öffentlichen Raum selten sind, habe nichts damit zu tun, dass es sie nicht gebe – sondern vielmehr damit, dass sie meist zu Hause blieben, weil es so schwer sei, sich zurechtzufinden in einer Umgebung, die für Sehende gemacht ist.
„Du musst echt hart arbeiten, um mobil zu bleiben“, sagt Spieß-Gußmann. Sie selbst ist erst im Erwachsenenalter erblindet und erlebt heute noch Momente, in denen sie denkt: „Fahre ich halt mal kurz zum Supermarkt, oder lese was, oder koche was.“ Aber „mal kurz“ geht gar nichts. „Daran gewöhnt man sich nicht. Niemals.“
Ländliche Umgebung problematisch
Jeden Ort, an dem sie sich frei bewegen will, muss sie vorher geduldig erkunden. Wo sind die Türen, wo die Treppen, wo die Hindernisse?
Sie hat eine Blindenführhündin, die sie unterstützt. „Aber um der Anweisungen geben zu können, muss ich ja wissen, wo es hingehen soll.“ Wo Hilfsmittel zur Orientierung fehlen, bedeute Blindheit erzwungene Unselbstständigkeit.
Die ländliche Umgebung macht die Sache nicht einfacher. In Hamburg, wo sie herstammt, könnten Sehbehinderte sich nach entsprechender Erkundung relativ problemlos überall mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen.
Für Beratung telefonisch anmelden
Die nächste Beratungsstunde im Winterberger Rathaus ist für den 22. November 2019 geplant. Interessierte sollten sich unter Tel.: 0151-61104667 anmelden, damit Katrin Spies-Gußmann die Strecke von Bad Berleburg nach Winterberg vor allem bei schwierigen Wetterverhältnissen nicht umsonst antritt.
Mittelfristig ist geplant, den an wechselnden Orten stattfindenden Stammtisch der Bezirksgruppe auch einmal im Quartal in Winterberg abzuhalten.
Im Sauerland oder in Wittgenstein ist das ungleich komplizierter. „Als klar wurde, dass ich mein Augenlicht komplett verlieren würde, dachte ich: Das schaffst du hier nicht.“
Den Alltag etwas weniger kompliziert zu machen, ist neben der Beratung ebenfalls ein Ziel der Bezirksgruppe.
Einen langen Atem braucht es oft schon für kleine Verbesserungen: Zuständigkeiten sind oft nicht klar; jahrelang kann schon der Kampf zum Beispiel um ein einfaches Pieprelais an einer Fußgängerampel dauern. „Wir sind auch eine Interessenvertretung“, stellt Spies-Gußmann klar.
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Außerdem möchte die Gruppe zur Vernetzung von Betroffenen und Institutionen beitragen. In Altenheimen ist sie schon gewesen, um diese zu beraten.
„Die Stadt Schmallenberg hat sich gemeldet und eine Erkundung ihrer Stadthalle angeboten. So etwas ist sehr gut. Sportvereine wären auch noch eine wichtige Zielgruppe, es wäre schön, wenn sich von denen welche melden.“