Altkreis Brilon. Wegen Corona leben Partner länger am Tag unter einem Dach. Das Potenzial für Gewalt steigt. Aber die Fallzahlen sind nur schwer zu interpretieren

Die Corona-Pandemie verschärft die Situation der Frauen. Die Opfer von häuslicher Gewalt geraten besonders in Bedrängnis, wenn die Männer im Homeoffice oder arbeitslos sind. Die Zahlen steigen in deutschen Großstädten an, aber im Hochsauerlandkreis ist die Situation nicht so leicht zu beurteilen.

„Im Mai sind uns 87 Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet worden“, sagt Holger Glaremin, Pressesprecher der Polizei im Hochsauerlandkreis, „Im vergangenen Jahr waren es im gleichen Monat 159. Das waren mehr als sonst. Und 2018 waren es im Mai 115 Fälle. Die Zahlen sind in diesem Jahr also auf einem niedrigen Niveau.“ Erklären kann Glaremin sich das nicht.

Expertin: Es bleibt nicht ruhig im Hochsauerlandkreis

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Gabriele Kersting von der Frauenberatungsstelle glaubt allerdings nicht, dass es so ruhig ist wie die Zahlen es suggerieren. „Der Lockdown hat uns in der Beratungsstelle alarmiert, weil die Rahmenbedingungen schlechter sind. Frauen leben jetzt auf engem Raum permanent mit dem Partner zusammen. Dazu herrscht viel Unsicherheit beruflich und privat. Wir vermuten daher, dass die Gewalt steigt.“

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Sie vermutet, dass die Kontaktaufnahme mit der Polizei oder Beratungsstellen jetzt durch die nahezu durchgängige Anwesenheit des Partners erschwert werden könnte. Deswegen sei es in der Coronakrise auch bei der Beratungsstelle ruhiger geworden. Das beobachtet Kersting auch in den Sommerferien. Glaremin erklärt hingegen, dass die meisten Hilferufe gar nicht von den Geschädigten ausgehen. „Nachbarn und Kinder bekommen die Streitigkeiten mit und wenden sich dann ebenso an uns.“

Vier akute Fälle im Monat

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Auch die Polizei versucht in solchen Situationen zu helfen und verweist Geschädigte an entsprechende Anlaufpunkte, wie zum Beispiel die Frauenberatungsstelle, die im Schnitt laut Kersting drei bis vier akute Fälle im Monat bekommt.

Notfallnummern

Die Polizei rät in Fällen von häuslicher Gewalt die 110 zu wählen.

Die Frauenberatungsstelle in der Kolpingstraße 18 in Meschede ist unter der Telefonnummer 0291/52171 zu erreichen.

Informationen zum Tätigkeitsfeld und weitere Notfallnummern gibt es auch im Internet zu finden unter der Adresse
www.frauenberatung-hsk.de

Die Diplom-Soziologin spricht in dem Zusammenhang von einer sogenannten Gewaltbeziehung. In neun von zehn Gewaltfällen ist die Frau die Geschädigte. Männer würden eher einer psychischen Gewalt ausgesetzt werden. „Es herrscht eine große Ambivalenz, weil der Mann beispielsweise auch der Vater der Kinder ist und die Partnerin weiß, dass er auch ein anderes, nettes Gesicht hat. Vielleicht herrscht auch eine finanzielle Abhängigkeit in der Beziehung, die eine Trennung in den Fällen dann so schwierig macht.“ Weitere Schwierigkeiten bedingt vor alle die Coronakrise. Gänge zu Ämtern und die Wohnungssuche sind erschwert.

Geschädigte beschuldigen sich selbst

Wenn sich eine Frau an sie wendet und sagt, dass sie akut von Gewalt betroffen ist, erklärt ihr Kersting zunächst, dass dies ein Unrecht ist und keiner das Recht hat, sie so zu behandeln. Viele ihrer Klienten würden die Schuld bei sich selbst suchen. „Wir stellen dann klar, dass sie Hilfe haben können und das Recht auf ihrer Seite ist.“ Dann geht es an die Sicherung der Lebensverhältnisse, sprich der Frage, ob eine Trennung möglich ist. Eine Stunde nimmt sie sich für die Gespräche Zeit. Folgetermine sind möglich. Wegen Corona fanden viele Gespräche auch zunächst nur am Telefon statt.

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Eine Veränderung der Anruferzahlen bemerkt hingegen Dirk Grajaszek von Diakonie Ruhr-Hellweg nicht. Er ist Fachbereichsleiter bei der Beratung und Seelsorge. „Das Thema häusliche Gewalt ist konstant und tritt derzeit nicht besonders in den Vordergrund. Es betrifft auch bisher noch alle Altersgruppen, die uns anrufen.“

Gabriele Kersting glaubt, dass die vergleichsweise ruhigeren Tage und Wochen nicht ewig halten werden. „Wir erwarten eine große Welle nach der Coronakrise.“