Arnsberg/Winterberg. Trägt eine Sozialarbeiterin des HSK eine Mitschuld am Tod eines Kleinkindes? Für das Revisionsverfahren ist das OLG Hamm zuständig.
Mit großem Interesse dürften viele Jugendämter in ganz Deutschland den Ausgang eines Gerichtsverfahrens verfolgen. Beim Oberlandesgericht in Hamm wird in letzter Instanz über die Revision einer Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes entschieden. Die Sozialarbeiterin stand zunächst 2017 als Angeklagte vor dem Amtsgericht Medebach und zuletzt im Januar 2020 im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Arnsberg. Der jungen Frau wird eine Mitschuld am Tod eines Kleinkindes vorgeworfen.
Kaum jemand hält bis zur letzten Instanz durch
Dass eine Sozialarbeiterin ein solches Verfahren bis in letzter Instanz durchzieht, ist in Deutschland ungewöhnlich. Denn so ein Prozess ist belastend. Die Verteidiger der 31-Jährigen hoffen aber auf eine vollständige Rehabilitation ihrer Mandantin, auf Freispruch und auf ein deutliches Signal für die Beurteilung möglicher weiterer Verfahren ähnlicher Art in ganz Deutschland.
Fahrlässige Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung – diesen Vorwurf sah das Amtsgericht Medebach bestätigt und verurteilte die Sozialarbeiterin vor drei Jahren zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Außerdem sollte sie 4200 Euro an das westfälische Kinderdorf zahlen.
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Ein Strafmaß, das es in der Höhe für einen solchen Tatvorwurf noch nicht gegeben hat, wie die Juristin Linn Katharina Döring feststellt. Sie hat sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema „Sozialarbeiter vor Gericht“ beschäftigt und im Abstand von drei Jahren insgesamt elf solcher Fälle in Deutschland untersucht. Ihre Doktorarbeit ist in Fachkreisen sehr bekannt und im vergangenen Jahr mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft ausgezeichnet worden.
Vorgesetzte wurden nie angeklagt
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Interessante Ergebnisse ihrer Studie: Angeklagt wurden zumeist die fallbetreuenden Sachbearbeiter, nie die Vorgesetzten. Die elf untersuchten Fälle endeten meistens mit einem Strafbefehl oder der Einstellungen mit Geldauflage. Und es kam nur zu zwei rechtskräftigen Verurteilungen nach einer Hauptverhandlung. Außerdem gab es auch Strafanzeigen bzw. Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Staatsanwälte, Ermittlungen gegen Polizisten wegen unterlassener Hilfeleistung und Kritik an Familienrichtern. Aber das Richterprivileg schützt sie vor Strafbarkeit.
Fallzahlen steigen
Bundesweit werden mehr Kinder und Jugendliche von Jugendämtern in Obhut genommen. Der Höchststand lag 2018 bei 40.379 Fällen – aus dem Ausland unbegleitet eingereiste Minderjährige nicht eingerechnet. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik. 2010 gab es 33.521 Inobhutnahmen. Im HSK lag die Zahl 2018 bei 122 Fällen - das sind doppelt so viele wie 2013.
Rechtsanwalt Thomas Mörsberger war selbst Leiter eines Landesjugendamts und ist seit mehr als 20 Jahren Vorsitzender des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht in Heidelberg, das bundesweit Ämter für soziale Dienste berät. Als Rechtsanwalt vertritt er in seiner Kanzlei in Lüneburg auch Fallmanager in Strafverfahren, aktuell vor dem Oberlandesgericht Hamm.
Die HSK-Mitarbeiterin, die zwischenzeitlich in anderer Funktion beim Kreis arbeitet, hatte gegen das Medebacher Urteil Berufung eingelegt. In Arnsberg war man kurz davor, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe einzustellen. Doch das wollten Angeklagte und Verteidiger nicht. Schließlich urteilte die Kammer: fahrlässige Tötung durch Unterlassen „aus einer einfachen Fahrlässigkeit“. Die Frau wurde zu 50 Tagessätze zu 70 Euro verurteilt.
Kritik an Urteil
Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hatte zunächst Revision gegen den Richterspruch angekündigt – den Antrag aber mittlerweile zurückgezogen. Das Veto sei eine vorsorgliche Formsache gewesen, um das schriftliche Urteil abzuwarten und in Ruhe bewerten zu können, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Poggel. „Im Ergebnis ist das Urteil aus unserer Sicht vertretbar.“
Das sieht der Verteidiger der Sozialarbeiterin, Thomas Mörsberger, anders. Er und seine Kollegin Astrid Aengenheister pochen auf die Revision. „Wir hoffen, dass das OLG zu einigen Punkten im Urteil Stellung bezieht, die unserer Ansicht nach rechtlich falsch bewertet wurden.“ Mehrfach hatte Thomas Mörsberger in dem Verfahren darauf hingewiesen, dass eine Lücke klaffe zwischen der herrschenden Meinung, was eine Sozialarbeiterin tun müsse, und der tatsächlich rechtlichen Verpflichtung.
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