Winterberg. Freie Wähler wollen erstmals in den Rat. Durch Corona sehen sie sich in Vorbereitung und Wahlkampf gegenüber etablierten Parteien im Nachteil.
In weniger als fünf Monaten finden in Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahlen statt. Die Bürger bestimmen dann über die künftige Zusammensetzung der politischen Gremien auf Stadt- und Kreisebene und wählen Bürgermeister und Landräte.
Wie genau die Wahl stattfinden wird, ist aufgrund der Corona-Pandemie noch nicht geklärt – so war in Bayern im März bei den Stichwahlen ausschließlich Briefwahl möglich gewesen. Aufgrund der Ausnahmesituation durch Corona gibt es Stimmen, die in NRW die Verschiebung des Wahltermins fordern.
Auch die Freien Wähler Winterberg und Ortschaften sähen das gern. Sie möchten zum ersten Mal in den Stadtrat einziehen und sehen sich bei der Vorbereitung „massiv behindert und erheblich im Nachteil“, sollte am geplanten Termin festgehalten werden.
Das schreibt die Wählervereinigung in einer Anregung an die Stadt Winterberg. Darin wirbt sie dafür, dass die Stadt die Landesregierung zur Verschiebung des Wahltermins auffordern soll. Über diese Anregung wird am Dienstagabend (28.4.) im Haupt- und Finanzausschuss entschieden.
Einen gewünschten Verschiebungszeitraum nennen die Freien Wähler nicht; sie wollen die Wahl abhalten lassen, wenn „weitestgehend wieder Normalität im Land vorhanden ist“.
Aufstellungsversammlung verspätet
„Im Februar hatten wir unser letztes Treffen, bei dem wir ein Strategiekonzept aufgestellt haben“, berichtet Sebastian Vielhaber, Vorsitzender der Freien Wähler Winterberg und Ortschaften. „Ende März, Anfang April wollten wir unsere Aufstellungsversammlung abhalten.“ Dort wären die Kandidaten für den Stadtrat nominiert worden – einen eigenen Bürgermeisterkandidaten wolle man „zu 90 Prozent“ nicht aufstellen.“
Das Verbot von Versammlungen machte diesen Plänen zunächst einen Strich durch die Rechnung. Seit Ende der Osterferien sind Aufstellungsversammlungen mit entsprechenden Schutzmaßnahmen zwar wieder zugelassen. „Dennoch hängen wir vier Wochen hinter dem Zeitplan“, betont Heinrich (Heiner) Kräling, 2. Vorsitzender der FW.
Freie Wähler: Verein statt Partei
Die FW Winterberg und Ortschaften haben nach eigenen Angaben rund 20 Mitglieder und wollen in jedem der 16 Wahlbezirke Ratskandidaten aufstellen.
Die FW sind keine Partei, sondern ein Verein. Deshalb kann bei ihnen auch Mitglied werden, wer bereits einer Partei angehört.
Der Landesverband der freien und unabhängigen Wählergemeinschaften im Land NRW hat das Innenministerium am 31. März aufgefordert, Schritte zu einer Verschiebung der Wahl einzuleiten.
Auch ein geeigneter Raum für die Versammlung habe unter den schwierigen Umständen erst gefunden werden müssen. Dafür habe die Stadt inzwischen auf Anfrage den Ratssaal zur Verfügung gestellt; im Mai soll die Versammlung dort nachgeholt werden.
Unterschriftensammlung schwierig
Die FW sehen aber zusätzliche Probleme auf sich zukommen. Anders als etablierte Parteien müssen sie, um zur Wahl zugelassen zu werden, Unterstützungsunterschriften sammeln. Fünf in jedem der 16 Winterberger Wahlbezirke.
„Wir müssen als noch Unbekannte mehr Überzeugungsarbeit leisten“, sagt Kräling. „Die etablierten Fraktionen haben zudem intern deutlich weniger Abstimmungsbedarf. Bei denen mag es auch mal reichen, einen potenziellen Kandidaten anzurufen und zu fragen: ,Du warst bisher dabei, bist du bereit, dich wieder aufstellen zu lassen?‘“
Bei den Freien Wählern seien viele mögliche Kandidaten neu im Politikbetrieb, alles müsse viel detaillierter besprochen werden. Das sei nicht immer über Telefon oder Videokonferenzen zu klären, weil es Mitglieder gebe, die wegen fehlender technischer Voraussetzungen oder aufgrund persönlicher Vorlieben beispielsweise kein Smartphone nutzten.
Das sind die Themen im Fokus
Sollten die Freien Wähler Erfolg haben und in den Winterberger Stadtrat einziehen, will sie sich als „Konsens- und Mitmach“-Kraft etablieren. Deutlich mehr Bürgerbeteiligung, unter anderem durch Frage- und Diskussionsrunden, schwebt ihr vor.
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„Wir wollen Bürger nicht vor vollendete Tatsachen stellen“, sagt Vielhaber und ergänzt, dass er bisher bei politischen Entscheidungen in Winterberg „oft Varianten als Diskussionsgrundlage vermisse.“ Er sei sich sicher, dass in der Vergangenheit im Rat „vieles unter Fraktionszwang gelaufen“ sei und nennt als Beispiel den Bau des Multifunktionsgebäudes an der Bobbahn. Insofern sähen sich die FW durchaus als „Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit“. Sie selbst würden ihren künftigen Ratsmitgliedern stets einräumen, nach persönlicher Überzeugung abzustimmen.
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Zu mehr Transparenz und damit Bürgernähe gehöre auch, Diskussionsgrundlagen verständlicher zu formulieren. „Viele Verwaltungsvorlagen sind sehr aufgebläht“, findet Vielhaber. Das erschwere Politikbegeisterung, auch beim Bürger.
Wichtige Themen für die FW würden im Fall eines Wahlerfolgs unter anderem die Stärkung von Gewerbe abseits des Tourismus (Kräling: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“), neue Wohnbaugebiete, die Ablehnung weiterer Ferienanlagen und ein stärkerer Fokus auf der Entwicklung der Ortsteile (Vielhaber: „Stadtentwicklung ist bisher zu stark konzentriert auf die Kernstadt.“).
In ihrem Flyer spricht sich die FW zudem noch für erneuerbare Energien, aber gegen Windkraftanlagen, aus und verspricht, weiter gegen Straßenausbaubeiträge zu kämpfen.
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In der Vergangenheit waren die FW durch teils sehr kritisch formulierte Anregungen und Anfragen an Rat und Stadtverwaltung aufgefallen. Falls man nun in den Rat einziehe, werde man kritisch, aber „nicht konsequent gegen alles sein“, betont Vielhaber.