Hochsauerlandkreis/Brilon. Döndü Altunbas-Bödefeld ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin aus Brilon. Über den Umgang mit Corona, Schulstart und die Psyche von Kindern.
Am Donnerstag startet zumindest für Jugendliche, die vor Abschlussprüfungen stehen, nach fünf Wochen Pause wieder die Schule. Alle anderen Kinder sollen ab dem 4. Mai wieder zurück in den Schulalltag. Doch wie gehen Kinder und Jugendliche mit der derzeitigen Corona-Situation um, wie gelingt ein guter Wiedereinstieg in den Präsenzunterricht und welche Rolle spielen Eltern dabei?
Wir haben mit der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Döndü Altunbas-Bödefeld, mit eigener Praxis in Brilon, gesprochen.
Wie gehen Kinder und Jugendliche mit der Situation um?
Döndü Altunbas-Bödefeld Alle gehen unterschiedlich mit Ängsten um. Bei einigen der Patienten führt der shut-down zur Entlastung ihres Inneren durch den Wegfall des von außen herangetragen Stresses. So sind sie recht „chillig“, weil mit dem Schließen der Schulen der erlebte Leistungsdruck in den Schulen und von ihren Bezugspersonen, die Versagensängsten, Beschämungs- und Mobbingsituationen mit einem mal entsorgt wurden.
Der Hype um Wissen, Statussymbole wie Handy, Markenklamotten wurde für einen Moment unterbrochen. Für einige Jugendliche stellt die Einstellung des Unterrichtes auch die Möglichkeit dar, im eigenen Tempo zu lernen, etwas nachzuholen und in Ruhe zu lernen. Diejenigen jedoch, deren Eltern Zukunftsängste haben, oder die sich nicht draußen bewegen können, fühlen sich mit der Situation überfordert und allein gelassen.
Was muss beim Schulunterricht zu Hause beachtet werden und welche Auswirkungen hat das?
Einige Eltern dürften mit dem Lehrstoff überfordert sein, da sie selbst lange aus dem Lernen raus sind. Das Vermitteln von Lerninhalten erfordert fachliche und pädagogische Kenntnisse. Manche Jugendliche stehen mit dem Lernstoff alleine. Einige haben Schwierigkeiten ihre Schulkameraden zu fragen, weil sie Angst haben als „dumm“ abgestempelt zu werden. Betroffene geraten unter Druck. Andere wiederum können sich über Telefon mit Kameraden austauschen. Wichtig ist, dass Lehrer auch telefonisch oder per Mail erreichbar sind und ihre Schüler so begleiten. Unabhängig von solchen Gedanken ist das deutsche Schulsystem auf ein Homeschooling nicht vorbereitet.
Praxis in der Königstraße
1989: Abschluss des Studiums zur Diplom-Sozialarbeiterin an der FH Bielefeld.
Sie war mehrere Jahre im Bereich Jugendhilfe und Betreutem Wohnen tätig, machte eine Ausbildung zur Sozial- und Suchttherapeutin und arbeitete ambulant in der LWL-Klinik Marsberg
2013: Abschluss der Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin mit den Schwerpunkten in der Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, Hypnose, autogenes Training und Traumatherapie. Seitdem betreibt sie eine eigene Praxis in der Königstraße in Brilon.
Fühlen sich Kinder einsamer oder sind Jugendliche vielleicht sauer, weil sie sich nicht mit Freunden treffen dürfen?
Die Jugendlichen, die meine Praxis aufsuchen leiden darunter, dass sie ihre Freunde nicht mehr sehen, ihren sportlichen oder musikalischen Aktivitäten nicht mehr nachkommen können. Sie erleben sich auf die Eltern zurückgeworfen, obwohl sie bisher mit Themen der Autonomie und Ablöseprozessen beschäftigt waren. Patienten die ein Praktikum, Studienauswahl vor sich hatten, können sich in den schon geplanten Praktika nicht ausprobieren.
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Sie fühlen sich abgehängt und überholt. Einige reagieren darauf mit Depression und autoaggressiven Verhaltensweisen und berichten von Selbstbestrafungsfantasien.
Wie schätzen Sie ein, wirkt sich die soziale Distanz noch auf Kinder und Jugendliche aus?
Für Jugendliche, die sich schon früher vor dem PC abgestellt hatten, ist dies eine Zeit des Schlaraffenlandes. Zum Teil hatten diese vor der Corona Krise kaum Freundschaften. Diese neue Situation stellt erstmal vordergründig eine Entlastung dar. Es kommt zu einem stärkeren PC/Spiele-Konsum.
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Zehn Stunden sind da keine Seltenheit. Aus meiner Sicht führt dies zu einer Zunahme der emotionalen Verwahrlosung, wenn ausschließlich so die Zeit verbracht wird. Die bisherigen Probleme dieser Kinder und Jugendlichen mit sozialen Unsicherheiten im Umgang mit Gleichaltrigen und die Ängstlichkeit bleiben weiterhin bestehen.
Welche Wirkungen kann eine solche Ausnahmesituation noch auf die Psyche von Kindern haben?
Zunächst mal sollten sich alle vergewissern, dass wir in Deutschland noch nicht die schweren Formen der pandemischen Ausbreitung zu verzeichnen hatten, wie in Italien, Spanien, USA oder Brasilien. Wir sind mit der hiesigen „Ausnahmesituation“ noch sehr entfernt davon. Wir sollten uns als Erwachsene erst einmal selbst versichern, dass wir in Deutschland sehr gut aufgehoben und abgesichert sind.
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Das können wir auch den Kindern gegenüber vermitteln. Dann geht es darum, die jetzigen Ausnahmeregelungen zu erklären und, dass dies ein langer Marathon ist und kein kurzer Sprint. Wenn die Erwachsenen jedoch schon in einer Phase, wo es keinerlei Versorgungsprobleme gibt anfangen, in Panik zu verfallen und mit Hamsterkäufen beginnen, übertragen sie Ihre Ängste und Unsicherheiten auf ihre Kinder.
Was müssen Eltern beachten, wenn die Schule nach der Pause wieder losgeht?
Kinder und Eltern beachten bereits seit Wochen die Maßnahmen des Social-Distancing. Es reicht aus, wenn den Kindern erklärt wird, dass dies leider auch in der Schule fortgeführt werden muss. Selbstgemachte bunte Kindermasken könnten ihnen dabei helfen. Elementarer bleibt es, dass Kinder ihrem Bewegungs- und Spieldrang nachkommen können. Wenn ihnen dies jedoch verwehrt wird, kommt es eher zu einer Entwicklungshemmung. Ein Restrisiko der Ansteckung unter den Kindern müssen alle akzeptierend aushalten können.
Welche Schwierigkeiten können entstehen, wenn die Schule wieder beginnt?
Die gesetzliche Schulpflicht bezieht sich auf die physische Anwesenheit am Schulort. Die nun in Abwesenheit vom Schulort gestellten Hausaufgaben hatten keinen verpflichtenden Charakter. Es dürfte somit zu einem unterschiedlichen Wissensstand unter den Schülern gekommen sein. Somit sollten die Schulen wieder an dem Punkt fortfahren, an dem sie vor der Schulschließung aufgehört haben.
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Was die Prüfungsjahrgänge betrifft, sollten die ausgefallenen Lerninhalte nicht Bestandteil der Prüfungen sein.
Wie können dann Konflikte vermieden werden und wie wird den Kindern am besten Mut und Hoffnung zugesprochen?
Es wäre wünschenswert, wenn in den Schulen über Angst und Stressreaktionen aufgeklärt würde. Ängstlichkeit und Vernunft gehen nicht gut miteinander, wenn kein Vertrauen da ist oder dieses nicht ausreicht. Daher ist es notwendig Konflikte zu verstehen, die durch Ängste ausgelöst aber nicht verstanden wurden. Eine Anregung wäre, zum Beispiel den Religionsunterricht vorübergehend im Sinne der Bildung des Herzens zu gestalten. Aktuell aufgetretene Kommunktionsstörungen in der Woche können schneller aufgenommen und besprochen werden. Das unterbindet Mobbing und respektloses Verhalten untereinander und erzeugt die Empathiefähigkeit. Diese fördert soziale Verbundenheit und erzeugt das Gefühl von Sicherheit und Halt.