Brilon. Brilon ist nach Corona-Shutdown wieder belebter. Wieso sie beim Einkaufsbummel dennoch ein beklemmendes Gefühl hatte, beschreibt unsere Autorin.
Bunte Blumenmuster, knalliges Pink und dann dieser hellblaue Pullover. Ich habe den Drang, jedes einzelne Kleidungsstück bei „Liebelei“ zu berühren – nur, weil ich endlich wieder shoppen kann. Es ist Montag, fast fünf Wochen nach dem Erlass, der die Schließung von Geschäften in ganz Deutschland beschlossen hat – zur Bekämpfung des Coronavirus. Am Montag durften die Geschäfte in der Briloner Bahnhofstraße zum ersten Mal wieder öffnen.
Abstand halten – und trotzdem ist es fast zu eng
Ich will mir eine Jeansbluse näher anschauen, hinten in der Ecke.
Davor steht ein Teenager mit ihrer Mutter. Ich bleibe stehen. 1,5 Meter Abstand – und eine Frau hinter mir stößt fast mit mir zusammen. Ich senke den Kopf, gehe weiter. Weiche einer anderen Frau aus. Drücke mich in einen schmalen Gang zwischen den Dekoartikeln. Die wollte ich gar nicht ansehen. Ich ziehe die Schultern ein. Ein Mädchen steht neben der Tür und stöbert durch einen Kleiderständer. Eine Frau will an ihr vorbei. Wartet. Das Mädchen bemerkt sie nicht. Die Frau legt den Kopf schief. Hastet dann an ihr vorbei. Schnaubt extralaut. Vor dem Jeanshemd ist noch immer kein Platz. Jemand steht plötzlich neben mir. Hinter mir. Sind das 1,5 Meter? Ich verlasse den Laden.
Kaum jemand trägt eine Maske
Es ist elf Uhr und die Bahnhofstraße ist laut und trubelig. Ich erinnere mich an die letzten Spaziergänge durch die Einkaufsstraße.
Zahl der Kunden in einem Geschäft begrenzt
Das Ordnungsamt verteilte am Montag Abstands-Schilder an die Geschäfte und kontrollierte Verstöße. „Bis jetzt läuft es ganz gut“, sagt Florian Hohmann vom Ordnungsamt. „Die Menschen sind entspannt und verständnisvoll, Verstöße in Geschäften haben wir bisher keine festgestellt“, zieht er ein frühes Fazit am Morgen.
Die Zahl der Kunden in einem Geschäft ist mittlerweile begrenzt. Pro zehn Quadratmetern dürfe nur ein Kunde den Laden betreten, erklärt Lieselotte Schäfer von „kleinkariert“.
Nur wenige Tage zuvor ist es hier still, leer und traurig gewesen. Davon ist kaum etwas zu erkennen. Zwei Frauen schlendern vor mir in die Einkaufszone, eine von ihnen schiebt einen Kinderwagen. Männer und mehrere Kinder stehen zusammen, lachen. Eine Kundin unterhält sich mit einer Mitarbeiterin eines Geschäfts – zwischen ihnen zwei Meter Abstand. Keiner von ihnen trägt eine Maske.
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Drei Frauen stehen vor „Linea“ beisammen. Unterhalten sich. Zwei von ihnen tragen eine Maske. „Mir rutscht das Ding immer vom Ohr“, sagt die dritte und wendet in der Hand einen bunten, selbstgenähten Mundschutz. Ich ärgere mich, dass ich meinen auf dem Küchentresen liegen gelassen habe. Ich habe mich sogar bewusst dagegen entschieden – um die Menschen nicht zu irritieren, die ich interviewen will.
Abstandsschilder und Regeln in jedem Schaufenster
Beim Bummeln sehe ich Abstandsschilder in jedem Schaufenster. Der Kinderladen Raßmus hat in der Eingangstür eine rote Kordel zwischen zwei goldene Pfosten gespannt.
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Einlass nur, wenn Mitarbeiterinnen die Kunden dort abholen. In jeder Tür hängen Blätter mit Regeln. Abstand halten steht darauf. Am besten Mundschutz oder Handschuhe tragen. Mit EC-Karte bezahlen. Eine ehemalige Kollegin kommt mir entgegen. Sie zieht den Mundschutz herunter, den sie trägt. „In Bayern ist das Pflicht, schon gehört?“, sagt sie. „Ich trage in jedem Fall einen. Ich würde mir nur wünschen, dass mein Partner auch einen tragen würde.“ Ich fühle mich jetzt – ohne Mundschutz – als hätte ich vergessen meine Schuhe anzuziehen. Dabei gehöre ich ohne Maske zur Mehrheit der flanierenden Briloner.
„Ich trage den Mundschutz, weil ich selbst einige Vorerkrankungen habe“
Ich betrete das nächste Geschäft in meiner Nähe. „kleinkariert“. Lieselotte Schäfer, Mitarbeiterin, öffnet mir die Tür, unter ihrem Arm klemmt ein Schild des Ordnungsamtes, auf der Nase ein Mundschutz mit silberner Spange. „Wir hatten bisher dreimal Kundschaft“, erzählt sie. Nur ein Pärchen sei mit Maske in den Laden gekommen. „Ich trage den Mundschutz, weil ich selbst einige Vorerkrankungen habe. Ich würde mir natürlich wünschen, dass die Kunden auch einen tragen.“
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Sie sagt das ohne Vorwurf, trotzdem schäme ich mich, ohne in den Laden gekommen zu sein. Es wäre kein Schutz für mich, aber für sie. Lieselotte Schäfer winkt ab. „Nein, das ist schon in Ordnung. Ich bin ja auch froh, wenn ich den Schutz abnehmen kann, sobald die Kunden raus sind.“ Sie wirkt fröhlich, offen. Ich sehe ihren Augen an, dass sie lächelt – auch wenn ich ihren Mund nicht erkennen kann. „Es ist schön zu sehen, wieviele Menschen in die Bahnhofstraße kommen. Man merkt, dass sich die Menschen freuen. Als ich heute die Tür desinfiziert habe, hat eine Frau zu mir gesagt: Gut, dass alles wieder offen ist. So kann man wieder mit jemandem sprechen.“
Neueröffnung – nur ganz anders als eigentlich geplant
Vor dem neuen Geschäft „Bergauf – Sport Schettel“ wehen bunte Luftballons im Wind. Zwei Kunden lassen sich gerade beraten. Die Mitarbeiter tragen eine fröhliche Maske vor dem Mund. Auf dem Boden kleben gelb-schwarz-gestreifte Abstandsmarkierungen. Janik Schettel lächelt zur Begrüßung freundlich hinter der Spritzschutzscheibe an der Kasse hervor. „18 Tage später als geplant haben wir heute eröffnet. Eigentlich war natürlich eine große Feier gedacht. Na ja..“ Er beendet den Satz nicht. Zwar habe er in der „Zwangspause“ einen alternativen Lieferdienst angeboten, der sei aber kaum genutzt worden. Heute, an einem so speziellen Eröffnungstag, erhält er aber nur positives Feedback von den Kunden. „Es waren schon einige da, die neugierig auf den neuen Laden waren.“ Auch Maria Spranck von der Buchhandlung Podszun, hat heute schon viele Kunden begrüßt. „Wie an einem ganz normalen Montag“, sagt sie und weicht einen Schritt zurück. Bin ich zu nah vorgeprescht? 1,5 Meter Abstand, ermahne ich mich.
Polizei zeigt Präsenz – für das Sicherheitsgefühl
Ich schlendere hinauf zum Marktplatz. Weiche auf meinem Weg immer mal wieder jemandem aus. Gehe eine kleine Runde um den Mülleimer rechts von mir, um einer Familie Platz zu machen. Neben dem Brunnen auf dem Marktplatz steht ein leerer Polizeiwagen. Die Beamten sind vielleicht auf Streife, kontrollieren, ob gegen das noch geltende Kontaktverbot verstoßen wird. Ich kann sie nicht sehen, wenn ich mich umschaue. Fühle mich aber sicherer. Wenigstens ein bisschen.