Brilon. Wie behindertengerecht ist Brilon? Das sollen die Bürger künftig in einer Wheelmap für Brilon erfahren. Ein Test zeigt: Hürden gibt es einige.
Mit Rollstuhl und Rollator in Brilon unterwegs, da gibt es - im wahrsten Sinne des Wortes - so manch eine Hürde zu überwinden - oder auch nicht. Das haben jetzt auch Schüler der Jahrgangsstufe 10 des Briloner Petrinums hautnah erlebt. Gemeinsam mit der Youngcaritas Brilon und der Briloner Interessen-Vertretung für Menschen mit Behinderung (BIV) waren sie in der Stadt unterwegs und haben öffentlich zugängliche Gebäude auf Barrierefreiheit getestet. Die Frage: Wie barrierefrei ist eigentlich die Stadt?
Immer wieder fehlt ein barrierefreier Zugang
Wie komme ich mit einem Rollator in die Apotheke? Sind das Optik-Geschäft oder der Supermarkt barrierefrei zugänglich? Wo kann ich als Rolli-Fahrer mit Freunden in Brilon eine Pizza essen? Fragen, denen die mehr als 90 Gymnasiasten in neun Gruppen nachgegangen sind. Manchmal ist der Zugang zu einem Geschäft an Treppenstufen oder einer viel zu schweren Eingangstür gescheitert, manchmal gab es aber auch eine rollstuhlgerechte Rampe oder die Möglichkeit, über einen ebenerdigen Seiteneingang Zugang zu Geschäftsräumen zu bekommen.
Wheelmap: Mit ein paar Klicks barrierefreie Orte finden
Wheelmap.org ist eine weltweite Onlinekarte zum Suchen, Finden und Markieren rollstuhlgerechter Orte. Eine farbige Markierung in den Ampelfarben zeigt an, ob ein Ort für Menschen mit Rollstuhl, Rollatoren oder Kinderwagen zugänglich ist. Mitmachen kann jeder und kann mit ein paar Klicks Cafés, Restaurants, Geschäfte und andere öffentlich zugängliche Orte in der eigenen Stadt markieren und bewerten.
Grün bedeutet Rollstuhlgerecht: Eingang und alle Räume sind stufenlos erreichbar (ebenerdig, Aufzug oder verlegte Rampe). Gelb bedeutet: Der Eingang hat eine Stufe (2 bis 7 cm hoch), die wichtigsten Räume sind stufenlos erreichbar. Rot heißt: Der Eingang hat eine oder mehrere höhere Stufen, die Räume sind nicht erreichbar.
Die Wheelmap wurde 2010 von Raul Krauthausen, einem Aktivisten für Inklusion und Barrierefreiheit, initiiert. Heute wird das Community-Projekt von dem Verein „Sozialhelden getragen.
Wheelmap für Brilon
Wo es in Brilon im Einzelnen hakt und welche Orte rollstuhlgerecht sind, kann man demnächst auf einer Wheelmap für Brilon im Internet sehen. Das Ganze sei ein wichtiges Anliegen, so Youngcaritas-Koordinatorin Nadine Gebauer. Nach der Erfassung des Ist-Zustandes geht das Projekt nun in die Auswertungsphase. Angelika Gerke (BIV) war selbst auch mit einer Schülergruppe unterwegs. Sie erzählt: „Ich war positiv überrascht, dass es bei einigen Gebäuden einen barrierefreien Eingang gibt, obwohl man erstmal vor einer Treppe steht. Leider fehlt aber oft der Hinweis, dass es diese Zugangsmöglichkeit gibt.“
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Hilfsbereitschaft in den Geschäften
Sehr positiv habe sie auch die Hilfsbereitschaft der Geschäfte erlebt. Aber: „Es gibt Geschäfte oder öffentlich zugängliche Gebäude, die sind für Rollifahrer nicht zugänglich.“Manchmal gebe es durchaus gute Ansätze, wie zum Beispiel eine Rampe, so die Erfahrung von Nadine Gebauer, die ebenfalls mit einer Schülergruppe in der Stadt auf Test-Tour war. Trotzdem kann es Probleme geben: „Nicht jede Rampe ist auch tatsächlich barrierefrei. Sie darf maximal eine Neigung von sechs Prozent haben, damit ein Betroffener sie noch ohne fremde Hilfe nutzen kann.“
Mit kritischem Blick durch die Stadt
Einen kritischen Blick haben die jungen Leute auch auf Fragen gelegt wie: Wie breit ist eine Tür? Lässt sie sich von einem Rollifahrer öffnen? Gibt es eine behindertengerechte Toilette mit klappbaren Haltegriffen, Notfallschnur und ausreichend Platz für einen Rollifahrer? Das Türöffnen haben die jungen Leute übrigens mit einem einfachen Test geprüft: Hakt man eine normale Kofferwaage in die Tür ein und versucht, sie vom Rollstuhl aus zu öffnen, gilt sie nur als barrierefrei, wenn die Waage nicht mehr als 2,5 Kilogramm anzeigt. Nadine Gebauer freut sich, dass sich die Jugendlichen so gut in das Thema hinein gefühlt haben. Denn ein Ziel des Projektes sei es auch, die Schüler für das Thema zu sensibilisieren und sie zum Nachdenken anzuregen. „Ich denke, so manch einer von ihnen hat durch die Aktion einen ganzen anderen Blickwinkel bekommen“, so Gebauer.
Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken anregen
Auch Martin Gersthagen (Betroffener, Vorstandsmitglied der BIV) zeigt sich sehr zufrieden: „Als Betroffener konnte ich die Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken anregen.“ Erfreulicherweise seien auch die Reaktionen der Geschäfte auf die Tester durchweg positiv gewesen, so Nadine Gebauer. Auf großes Interesse sei zum Beispiel der Hinweis auf eine Rampe gewesen, mit der man ein bis zwei Stufen überbrücken kann und die schon ab 180 Euro erhältlich ist.
Verständnis entwickeln und sensibilisieren
Ebenfalls mit den jungen Leuten unterwegs war Günter Vonstein. Der 74-jährige ist auf Rollator und Stock als Hilfsmittel angewiesen. Sein Fazit: „Ich bin positiv überrascht, wie offen und rücksichtsvoll die Mädchengruppe mit mir umgegangen ist. Unsere überprüften Orte waren weitgehend barrierefrei, dies hätte ich anders eingeschätzt. Darüber hinaus waren auch die Mitarbeiter der getesteten Einrichtungen an unserer Aktion sehr interessiert.“ Und auch Heinz Arenhövel, ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter des HSK, erklärte im Anschluss an die Aktion: „Ich war erstaunt, wie engagiert sich junge Leute für Barrierefreiheit in Brilon einsetzen.“
Zum Abschluss dieser ersten Projektphase ziehen Nadine Gebauer und Angelika Gerke ein erstes Fazit: „Brilon hat Chancen, barrierefrei zu werden. Das Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden, aber derzeit gibt es noch zu viele Hürden, um allen Rollstuhlfahrern ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.“
* Der Test fand bereits vor der Corona-Krise statt.