Olsberg. Zwei Lebern und damit schon mindestens zwei Leben hat Paul Wiegelmann bereits „geschenkt“ bekommen. Und dies nur dank Organspendern.

Geschichten wie die von Paul Wiegelmann aus Olsberg und der Organspende machen hin- und hergerissen. Deswegen, weil er lachend vor einem sitzt und damit auch bei der Reporterin die pure Freude auslöst, dass er noch lebt. Und deswegen, weil er dennoch mit neuen Symptomen zu kämpfen hat, die eine von zwei Lebertransplantationen als Autoimmunerkrankung mitbrachte. Das Herz ist irreversibel beeinträchtigt, in den Fingern fehlt dem Schreiner das Gefühl.

Aber: „Ohne diese Leber hätte ich über die Warteliste niemals rechtzeitig ein Organ erhalten“, betont er. „Ich bin voller Dankbarkeit für die Spenden.“

Geschichte handelt von Schmerzen und von OPs

In den letzten 15 Jahren, die der 59-Jährige mit seiner Familie gemeinsam meisterte, spiegelt sich das Leben mit allem Für und Wider, mit allem Schwarz und Weiß und sämtlichen Grautönen dazwischen. Seine Geschichte handelt von Schmerzen und von OPs, in denen es um Leben und Tod ging.

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Bei allen Nebenwirkungen durch Medikamente und Beeinträchtigungen bis zum schmerzlichen Eingeständnis, dass er nie mehr als Schreiner arbeiten kann, konnte Wiegelmann aber auf der anderen Seite bis heute bei seiner Familie bleiben. Letztlich geht es in dieser Geschichte immer wieder um Entscheidungen, die getroffen werden wollen und wollten. So wie jene, eben Organe zu spenden oder nicht. Wiegelmanns wollen mit ihrer Geschichte zeigen, was ihnen die zwei Transplantationen ermöglicht haben.

Seltener Gendefekt als Ursache für Leberzirrhose

„Ihre Leberwerte sind nicht in Ordnung“, sagten die Ärzte Paul Wiegelmann 1992 bei der Blutspende in Meschede. Er war Anfang 30, das zweite Kind war unterwegs. Es folgte die Spurensuche, was er denn haben könnte. Schließlich stellte sich heraus, dass ein seltener Gendefekt die Ursache ist. W

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arum ich? Diese Frage stellt sich Wiegelmann nicht: „Man muss es annehmen und das Beste draus machen.“ Ab dem Jahr 2000 war er regelmäßig wegen der einsetzenden Leberzirrhose (Leberumbau bis zur Zerstörung) unter Kontrolle in der Uni-Klinik Münster, 2005 dann der Befund bei einer Vorsorge-Untersuchung: Leberkrebs. Einige Tumore konnten operiert werden, aber nicht alle: „Am Tag nach der OP teilte uns der Oberarzt mit, dass meine Chance nur eine schnellstmögliche Lebertransplantation sei.“

Lebendspende eines Patienten als einzige Chance

Ab Juli 2005 war er offiziell bei Eurotransplant gelistet. Er hatte allerdings wegen der insgesamt „guten“ Leberwerte nur Dringlichkeitsstufe 3, geschätzte Wartezeit: zwei Jahre. Einzige Chance, die ihm sein Arzt in Münster möglich machte: eine Lebendspende eines Patienten, der seine Leber wegen einer Erkrankung, der seltenen Amyloidose, nicht mehr behalten konnte. „Wir waren mit dem Angebot zunächst völlig überfordert. Würde doch der andere Patient mit dieser Leber in kürzester Zeit sterben und ich sollte sie akzeptieren? Letzlich haben wir eingewilligt.“

Über die erste Spenderleber kam eine seltene Erkrankung hinzu

Wiegelmann hatte keine Wahl. Hätte es damals bereits mehr Organspenden gegeben, wäre es vielleicht anders gelaufen, weiß er. So wie in Österreich oder Spanien, Holland, wo durch eine Widerspruchslösung wie sie Gesundheitsminister Jens Spahn vorgeschlagen hatte, viel mehr Organe zur Verfügung sind. Dadurch ist automatisch Organspender, wer nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widerspricht. In Deutschland muss man sich aktiv durch das Tragen eines Ausweises etwa im Portemonnaie für eine Organspende entscheiden. „Wenn sich nicht irgendjemand für die Spende entschieden hätte, ob nun für sich selbst oder als Angehöriger, säßen wir hier nicht“, das Paul Wiegelmann. Von seiner zweiten Spenderin weiß er nur, dass es eine 52-Jährige aus den Niederlanden war. „Auch hier hat sie selbst oder ein Angehöriger entschieden, die Organspende zuzulassen.“ Wie dankt man der Familie eines anonymen Spenders. Nach zwei Jahren kann ein Brief geschrieben werden, das möchten Wiegelmanns auf jeden Fall noch machen. Auch eine Messe haben sie schon für die Spenderin lesen lassen, verraten sie.

Entscheidung zur Organspende am besten zu Lebzeiten fällen

„Ich wünschte mir heute einfach, dass mehr Menschen die Entscheidung zum ,Ja’ oder ,Nein’ früher treffen. Und es ist auch ganz wichtig, dass Eltern und Kinder oder Partner sich zu Lebzeiten darüber unterhalten, um zu wissen, wie der andere jeweils darüber denkt. Denn oft müssen ja auch die Angehörigen entscheiden“, betont Elisabeth Wiegelmann. Und sie ergänzt: „Man kann ja auch auf den Ausweis schreiben, welche Entnahme man nicht möchte. Hauptsache es ist eine Entscheidung da.“

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Wenn Paul Wiegelmann unterwegs ist, hat er auch immer ein paar Blanko-Organspendeausweise dabei. Sicher hätte er sich am liebsten die Lösung von Jens Spahn gewünscht. Er selbst hat erfahren, wie lange man auf ein Organ warten kann, wie weit unten man auf der Liste stehen kann, wenn die Leber laut Blutbild zwar gut funktioniert, aber dafür die Nerven kaputt macht. Denn er war der zweite Patient NRW-weit, dem nach einer Lebendspende in einer so genannten Domino-Transplantation eine neue Leber gegeben wurde. Seinen erster Spender hatte er zufällig bei einem Aufenthalt in der Uni-Klinik kennen gelernt. Dieser konnte das Organ nicht mehr behalten, bekam zeitgleich ein neues. Er verstarb einige Zeit später später leider dennoch. Zu lange hatte er auf eine neue Leber gewartet. „Lieber Paul, Gesundheit ist das größte Gut.

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Auch, wenn Du krank bist, verliere nicht den Mut“, hatte ihm sein erster Spender noch ein Exemplar seines Buches über die seltene Auto-Immun-Krankheit Amyloidose signiert.

Große Dankbarkeit für die beiden empfangenen Organe

Er nahm die erste neue Leber gut an und aber damit auch, wie sich später leidlich herausstellte, die Amyloidose. „Meine akute Erkrankung hätte verhindert werden können, wenn mehr Organe zur Verfügung gestanden hätten“, betont Paul Wiegelmann. Der neue Organ funktionierte erst einwandfrei, aber nach knapp zehn Jahren kamen die ersten Anzeichen der mitübertragenen Krankheit, vor allem Schmerzen in den Füßen und Oberschenkeln.

Rund ums Thema Organspende

Wie nach allen Organtransplantationen muss Paul Wiegelmann sein Leben lang so genannte Immunsuppressiva einnehmen, damit sein Körper die neue Leber nicht abstößt;

Es gibt keine Möglichkeit wie z.B. über eine Dialyse bei Niereninsuffizienz, die Arbeit einer Leber zu ersetzen;

Regelmäßig fährt Paul Wiegelmann nicht nur zur Kontrolle an die Uniklinik Münster, er steht dort auch Ärzten und Studenten mit seiner Geschichte Rede und Antwort.

Bürger sollen, das hat der Bundestag entschieden, künftig noch intensiver - z.B. auch beim Abholen des Personalausweises - über die Organspende informiert werden. Außerdem soll es möglich sein, eine Entscheidung dazu in ein neues zentrales Onlineregister einzutragen. Auch Hausärzte sollen bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren.

Die Stiftung Eurotransplant ist als Service-Organisation verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern.

Rund 9000 Patienten stehen in Deutschland auf der Warte liste für eine Organspende (ein Großteil wartet auf eine Niere), die Zahl der deutschen Spender lag 2019 bei 932 und 2018 bei 955. Es gab in Deutschland laut Eurotransplant insgesamt 3.538 Organtransplantationen von verstorbenen Spendern in 2019.

Und dennoch: Zehn Jahre hatte ihm die neue Leber geschenkt, seine Söhne waren inzwischen nicht mehr 14, 13 und zehn Jahre, sondern alle volljährig, ist und bleibt Paul Wiegelmann wie seine Frau dauerhaft dankbar. Für das erste wie 2016 für das zweite Geschenk, eine weitere Leber. Er bekam sie auch wegen des unermüdlichen Einsatzes der Ärzte in Münster. Und einer dieser Ärzte sagte ihm auch: „Vergessen Sie nicht zu leben. Dafür haben wir das hier gemacht. Lassen Sie nie die Krankheit ihr Leben bestimmen.“

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Broschüren mit Ernährungstipps liegen auf dem Tisch. „Ja, gesunde Ernährung ist immer wichtig. Aber früher hat man doch schon mal nicht immer ganz so drauf geachtet. Heute, mit der neuen Leber wissen, wir umso mehr, wie wichtig es ist, die Gesundheit zu pflegen. Diese Leber ist für uns beide ein Geschenk, ein echtes Juwel“, sagt Wiegelmann. Seine Frau nickt. Sie sind dankbar, beiden Spendern. Denn so konnte der begeisterte Schützenvogelbauer auch miterleben, wie alle drei Söhne im Jahr 2017 den Hattrick beim Schützenfest in Elpe schaffen - als Schützenkönig, Vizekönig und Jungschützenkönig. Sie betonen: „Die Krankheit ist als Rucksack immer dabei und manchmal ist er auch ganz schön schwer. Aber sie bestimmt lange nicht alles!“