Marsberg. Das Thema Selbsttötung wurde jetzt auf einer kirchlichen Veranstaltung in Marsberg diskutiert. Es ging auch um „historische Schuld“ der Kirche.
„Suizid (Selbstmord) – Wenn das Leben aus dem Fugen gerät“ - kein leichtes Thema. Nicht nur für einen Neujahrsempfang. „Vielleicht gelingt es uns heute, zu einem tieferen Verständnis zu kommen“, so die Klinikseelsorgerin Dipl.-Theologin Hildegard Himmel zu Beginn des ökumenischen Gottesdienstes als Auftakt des ökumenischen Neujahrsempfangs. Die Theologin vermutete angesichts der leeren Plätze, dass das „schwierige Thema“ manche vielleicht abgehalten hatte, zu kommen. Eingeladen hatten die evangelische und die katholische Kirchengemeinde Marsberg mit dem Ökumenekreis.
Entschluss immer in Bedrängnis und Unfreiheit
Der Entschluss, sein Leben mit einem Suizid zu beenden, habe nichts mit einem Freitod zu tun, stellte auch Pfarrerin Antje Hirland das Thema in den Mittelpunkt ihrer Predigt.
Der Entschluss dazu werde immer in Bedrängnis und Unfreiheit getroffen und die Kirche trage eine historische Schuld. Viel zu lange habe sie „die ausgestreckte Hand verleugnet, den Suizidanten das Begräbnis und den Hinterbliebenen den Beistand verweigert. Gut, dass das heute anders ist.“
Das hilft den Hinterbliebenen: Zuhören und erzählen lassen
Die Selbsttötung sei „leider immer noch ein Tabuthema“ und die Situation für die Angehörigen sehr schwierig. Oft breche der Freundeskreis weg, weil er nicht wisse, wie er damit umgehen soll. Dabei bräuchten gerade in der schweren Zeit die Angehörigen Menschen zum Reden. Die Pfarrerin: „Und da kommen wir alle ins Spiel. Seien Sie bitte da, auch wenn es schwierig ist.“
Hier gibt es Hilfe
Wer Hilfe braucht: Priv.-Dozent Dr. Stefan Bender rät, sich an den Hausarzt zu wenden.
Oder an die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr unter Tel. 0800 1110111 oder Tel. 0800 1110222 zu erreichen.
Die Ambulanz der LWL-Klink Marsberg (Erwachsene) ist montags bis donnerstags von 8 Uhr bis 17 Uhr, freitags von 8 Uhr bis 15.30 Uhr unter Tel. 02992 601 5000 zu erreichen.
Wenn die Ambulanz nicht besetzt ist, ist der diensthabende Arzt der LWL-Klinik unter 02992 601 1000 erreichbar.
Die LWL-Klinik Marsberg (Kinder und Jugendliche) ist rund um die Uhr unter 02992 601 4000 zu erreichen.
Drei Tipps gab sie mit auf den Weg: Zuhören und erzählen lassen. Hilfe ganz praktisch entgegenbringen und nicht nur anbieten. Die Angebote immer wieder anbieten. Auch wenn sie erst abgelehnt werden. Das alles zeige den Hinterbliebenen, dass sie nicht vergessen und verlassen sind.
Auch bei dem anschließenden Empfang im evangelischen Gemeindehaus blieben einige Plätze frei. Aber nur wenige.
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Als Referent und Diskussionspartner nahm der ärztliche Leiter der LWL-Klinik Marsberg, Privatdozent Dr. Stefan Bender, mit seiner selbstverständlichen und offenen Art gegenüber dem Thema und dem Umgang damit, die Schwere. Gekommen waren neben der Geistlichkeit beider Konfessionen auch Bürgermeister Klaus Hülsenbeck und Ortsbürgermeisterin Sandra Pohlmeyer.
Jede 4. Frau und jeder 8. Mann leiden einmal im Leben an einer Depression
Mit Daten und Fakten untermauert stellte Dr. Bender das komplexe Thema gut verständlichen und nachvollziehbaren dar, benannte Gründe, Ursachen und Wege aus der Krise. „Suizidalität ist per se erst einmal keine Krankheit“, machte er klar. Auch wenn bei 70 bis 100 Prozent eine Depression dazu führte. Dabei sei jede vierte Frau und jeder achte Mann im Laufe des Lebens an einer Depression erkrankt. 30 Prozent, der Suizidanten mit einer chronischen Depression hätten mindestens einen Suizidversuch unternommen. 15 Prozent seien daran verstorben.
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Ein Skandal für Dr. Bender: „Ein Großteil der Menschen, die an einer Depression leiden, werden nicht ausreichend behandelt.“ Oft bleibe die Krankheit auch unerkannt. Deshalb müssten die Menschen ertüchtigt werden, eine Depression frühzeitig zu erkennen. Zu den Suizidhandlungen gehöre auch selbstschädigendes Verhalten, dass indirekt zum Tode führe, wie Sucht, Nahrungsverweigerung oder Vernachlässigung ärztlicher Anordnungen. Die Selbstaufgabe gelte als stiller Suizid.
Gründe: Beziehungsprobleme, Einsamkeit oder Krankheit
Eine Kurzschlusshandlung, die zum Suizid führe, sei es mehr bei jüngeren Menschen.
Hilfe bei Depressionen und Suizid-Gedanken
Wir berichten in der Regel nicht über Suizide, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben – außer, Suizide erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit.
Falls Sie Suizid-Gedanken haben oder jemanden kennen, der Suizid-Gedanken hat, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge: 0800/1110111 oder 0800/1110222. Die Anrufe sind kostenlos, die Nummern sind rund um die Uhr zu erreichen.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet im Internet einen Selbsttest, Wissen und Adressen zum Thema Depression an. Im Online-Forum können sich Betroffene und Angehörige austauschen. Für Jugendliche gibt es ein eigenes Forum.
Ältere Menschen würden eher langfristig planen. Als Motiv stünden bei jüngeren Menschen eher Beziehungsprobleme im Vordergrund, bei älteren Isolation, Einsamkeit oder körperliche Krankheit.
Dr. Bender: „Viele Menschen denken irgendwann einmal darüber nach, wie es wäre, sich das Leben zu nehmen. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass es auch dazu kommt.“