Wiemeringhausen. Wer einmal einen Maßanzug getragen hat, der möchte am liebsten nichts anderes mehr tragen. Da ist sich Maßschneider Ralf-Dieter Schmidt sicher.
Ralf-Dieter Schmidt streicht über den Stoff, lächelt: „Das ist Kammgarn-Cashmere. Das Teuerste, was man heute kaufen kann. Wunderbar. Der Meter kostet allerdings auch 1370 Euro. Greifen Sie mal rein, wie sich das anfühlt“. Wenn es um feine Tuche geht, gerät der Maßschneider aus Wiemeringhausen ins Schwärmen. Und, wer ihn trifft, sieht, dass sein Beruf für ihn auch Lebenseinstellung ist - eine Jeans wird man in seinem Kleiderschrank wohl vergeblich suchen.
Perfektes Outfit
Der blaue Anzug mit feinem Streifen und Einstecktuch sitzt perfekt. Unterm Jackett trägt der 78-Jährige ein hellblaues Hemd - natürlich mit passender Krawatte - und einen farblich abgestimmten rosé-farbenen Pullover. Das Outfit ist perfekt. Elegant soll es sein und gleichzeitig so bequem, dass man das Jackett im Restaurant auch anlassen kann, ohne dass es irgendwo zwickt. Das ist sein eigener Anspruch und dementsprechend schneidert er genau so seinen Kunden seit vielen Jahrzehnten ihre Anzüge auf den Leib.
Maßschneiderei seit 1945 in Wiemeringhausen
Gelernt hat der heute 78-Jährige das Schneiderhandwerk in Herford. Damit trat er in die Fußstapfen seines Vaters, der ebenfalls Maßschneider war und sich 1945 nach dem Krieg in Wiemeringhausen selbstständig gemacht hat, nachdem die Familie aus München ins Sauerland gekommen war.
Nach seiner Ausbildung war Ralf-Dieter Schmidt in Düsseldorf, in der Schweiz und in Nürnberg tätig, bevor er 1965 in den elterlichen Betrieb zurückkehrte, in dem früher mehrere Schneider angestellt waren. Heute hat der Maßschneider noch einen Angestellten - einen Schneider aus Damaskus.
Wer zu ihm in sein Atelier in Wiemeringhausen kommt, findet eine riesige Auswahl an Stoffen vor. 150 Stoffbahnen hängen nebeneinander in einem großen Schrank-Regal. „Jede reicht für einen kompletten Anzug“, erzählt Ralf-Dieter Schmidt. Je nachdem, wofür der Kunde seinen Anzug haben möchte, rät er ihm zu dem einen oder anderen Tuch. Geliefert bekommt er sie in der Regel aus England oder Italien. Auf Wunsch macht der Wiemeringhauser auch Hausbesuche. Dann bringt er seine Musterkoffer mit und nimmt vor Ort Maß bei den Kunden. Viele Jahre war er vor allem im Ruhrgebiet und im Raum Frankfurt, aber oft auch deutschlandweit unterwegs.
Maßanzug ist etwas Besonderes
Inzwischen ist das Geschäft ruhiger geworden. Die Zeiten haben sich verändert. Die Menschen kaufen mehr von der Stange. Die Kunden sind älter geworden, doch manchmal kommen auch neue, jüngere Kunden zu ihm. Ralf-Dieter Schmidt hat auch die Erfahrung gemacht: „Diejenigen, die es gewohnt sind, Maßanzüge zu tragen, die möchten nicht mehr darauf verzichten. Maßkunden sind gewohnt, etwas Besonderes zu tragen.“ Und sie möchten dann natürlich auch, dass die Qualität stimmt und der Anzug perfekt sitzt. „Bei den Anzügen, die man im Geschäft kaufen kann, werden zwar durchschnittliche Normmaße zugrunde gelegt, aber die Menschen sind nun mal nicht genormt.“ Früher habe man generell viel mehr Wert darauf gelegt, gut und passend gekleidet zu sein, so der 78-Jährige. Um einen Ärmel zu kürzen, sei er früher sogar bis nach Düsseldorf gefahren. „Heute stört es keinen, wenn nur die Fingerspitzen aus dem Ärmel gucken“, wundert er sich.
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Natürlich hat ein maßgeschneiderter Anzug auch seinen Preis. Wie hoch der genau ist, darüber möchte der Maßschneider nicht gerne sprechen. „Für einen zweiteiligen Anzug braucht man etwa 50 Arbeitsstunden. Ein guter Stoff fängt bei 150 bis 200 Euro pro Meter an, nach oben gibt es keine Grenze. Im Schnitt braucht man drei Meter bis 3,50 Meter für einen Anzug. Wenn ein Anzug im Geschäft etwa 200 bis 300 Euro kostet, bekomme ich bei einem Maßanzug also nicht mal den Stoff für das Geld“, rechnet Ralf-Dieter Schmidt vor. Aber dafür halten seine Anzüge natürlich auch lange. Je nachdem, wie viel sie getragen würden, sei eine Lebensdauer von bis zu 30 Jahren möglich - obwohl im Schnitt nach zehn Jahren oft ein neuer Anzug gekauft werde. Umso mehr ärgert er sich, wenn Kleidung heute schon nach kurzer Zeit einfach weggeworfen und neu gekauft wird.
Für jeden Kunden wird ein Modell angefertigt
Geht auch der Maßkunde mit der Mode? Ralf-Dieter Schmidt hat festgestellt, dass die Menschen in den 50er Jahren eher dünn waren - damals waren breite Schultern angesagt. „Heute dagegen sind die Anzüge schmaler, taillierter geschnitten. Jeder möchte möglichst schlank aussehen“, plaudert er aus dem Nähkästchen. Früher waren die Maßanzüge außerdem viel schwerer als heute. Ein normaler Anzug wiegt heute maximal 1,5 Kilogramm, so der Experte - früher waren es 2 bis 2,5 kg.
Für jeden Kunden fertigt Ralf-Dieter Schmidt, nachdem er die Maße genommen hat, ein eigenes Grund-Modell aus Karton an. Das verwendet er später immer weiter. Legt der Kunde gewichtsmäßig zu, wird das Modell entsprechend ausgebaut, nimmt er ab, wird es schlanker. Bis der Anzug fertig ist, hat der Kunde ihn dreimal anprobiert. „Durch meine Arbeit komme ich meinen Kunden sehr nah. Deshalb ist es natürlich wichtig, dass man ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Viele Kunden kenne ich schon über viele Jahre“, erklärt Ralf-Dieter Schmidt, der stolz auf seinen schönen Handwerksberuf ist. Einen Nachfolger für seinen Betrieb gibt es allerdings nicht. Gerne möchte der 78-Jährige aber noch so lange weiterarbeiten, wie er kann. Und wer sieht, wie er - besser gestylt als manch einer zu seiner eigenen Hochzeit - durch die Schneiderwerkstatt eilt, Stoffe hervorholt und begeistert von seiner Arbeit berichtet, merkt, dass er jemanden vor sich hat, für den der Beruf wirklich noch Berufung ist.