Olsberg. . Maßschneider Ralf Dieter Schmidt aus Olsberg fädelt bis heute neue Aufträge ein. 76-Jähriger gehört zu einer Zunft, die schleichend schrumpft.
Das Hemd wölbt sich über dem Bauch. Es steckt nicht in der Hose, hängt weit über dem Bund. Die Ärmel sind bis zum Ellbogengelenk aufgekrempelt. Ralf Dieter Schmidt mustert den Besuch. Ein geschulter Blick.
„Und, wie sehen wir aus?“ Die Antwort steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er holt Luft, schüttelt den Kopf, bewahrt Haltung und merkt an: „Das geht gar nicht.“ Höflich, aber direkt.
Der Fotograf und der Schreiber sind mit ihrer Garderobe aus der Sicht des 75-Jährigen ganz unten angekommen. Sein Seufzer wirkt nach: „Es gibt keine Kleiderordnung mehr. Alles ist möglich. Mir tut das weh. Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten.“
Das Grauen der Männer
Der Olsberger selbst: das Gegenteil. Beige Hose, blau-beige gemustertes Sakko aus einer Mischung von Wolle und Seide, „Sie sehen, hier findet sich das Beige wieder“. So soll es sein. Ein blau-weiß gestreiftes Hemd, Krawatte und Einstecktüchlein mit dem selben Muster in gelben und blauen Tönen komplettieren sein Erscheinungsbild, ergänzt durch hellbraune italienische Slipper. „Für mich ist das Berufskleidung.“
Wir sind mitten in der Welt des Maßschneiders. Ein Beruf, den immer weniger Frauen und Männer im Land beherrschen. „Alle kaufen Konfektion von der Stange. So sieht es leider oft auch aus.“ Schmidt kramt in Zeitungsausschnitten, beschreibt das Grauen, das er sieht. Im Visier: die Männer.
„Manche treten in der Öffentlichkeit so auf, dass ich immer denke, das kann nicht wahr sein. Guckt denn niemand, wenn derjenige aus dem Haus geht.“ Hier hänge die Schulter, dort seien die Ärmel viel zu lang. „Unmöglich.“ Namen prominenter Persönlichkeiten aus Nah und Fern nennen wir aus Taktgefühl an dieser Stelle nicht. Sicher ist: Bei der Bildbetrachtung modischer Art erteilt Schmidt so manchem eine Lektion. Ob er immer schon Schneider werden wollte? Schließlich sei das kein typischer Männer-Beruf. „Ich war der älteste Sohn und habe die Schneiderei von meinem Vater Franz-Josef übernommen.“ Bis zum Alter von 67 Jahren hat er ausgebildet. Die Arbeit kann er nicht lassen. Er blüht auf, wenn es um Jacken, Hosen und Anzüge geht.
Ein Wort zu Angela Merkel und ihrem bunten Blazer-Sortiment. Die Antwort ist vieldeutig: „Ihre Frisur ist im Laufe der Zeit immer besser geworden.“ Die Blazer? „Na ja, vorteilhaft sind sie nicht geschnitten.“ Punkt. Und: „Christine Lagard, Chefin vom Internationalen Währungsfonds, trägt Kleider und sieht immer chic aus.“ Hose und Jacke kleiden Frauen aus seiner Sicht nicht besonders.
Die Plauderei über die Modeerscheinungen der Zeit rückt das Sterben eines Handwerkes in den Hintergrund. Eines schiebt Schmidt noch nach. „Heute kauft man Preise, keine Mode.“
Das Elend beim Zuknöpfen
Er regt sich über die Jacken auf, die über dem Po enden: „Diese Affenjäckchen gehen gar nicht.“ Dazu komme der zu enge Schnitt an den Schultern, „beim Essen landen die Jacken deshalb auf der Stuhllehne“, Nicht zu vergessen, das Elend beim Zuknöpfen mit dem obersten Kopf. „Das sieht dann aus wie eine Schürze.“ Dem Maßschneider tut das weh. Er will retten, was zu retten ist. „Ich mache so lange weiter, wie ich kann. Schluss ist, wenn Schluss ist.“ Mit einer festen Mitarbeiterin hat er reichlich zu tun. „Meine Stammkundschaft ist groß, obwohl sie natürlich auch älter geworden ist und nicht mehr im Berufsleben steht.“
Die Modelle aus Pappe
Von den meisten Kunden hat er Modelle aus Pappe mit den Maßen. „Viele besuche ich, messe nach und ändere. Jeder wird mal dicker, mal dünner. Die Anzüge sind zum Ändern gemacht. Hier wird gekürzt, da verlängert, dort geweitet. Kein Problem. Nachhaltiger geht es gar nicht.“ In dem Zusammenhang, warum auch immer, fallen ihm die Ehefrauen seiner Kunden ein. Ihr Einfluss kann nicht hoch genug bewertet werden. „Sie sind oft meine Verbündeten. Bis heute.“ Wenn der Mann abwinke und seinen Kleiderschrank für komplett halte, sorge sie für eine Frischzellenkur auf den Bügeln: „Die Ehefrauen sagen, was ihr Mann braucht.“
Das feine Tuch für die Ewigkeit
Wieder gerät er ins Schwärmen, als er ein Tuch durch die Finger gleiten lässt. „Kaschmir aus der Mongolei. Fühlen Sie mal. Wie leicht, wie fein. Der Meter kostet 179 Euro.“ Mehr als 400 verschiedene Stoffe hat er im Angebot, die besten sind aus Italien und England. Zum ersten Mal kommen im Gespräch Preise ins Spiel. Wie teuer ein Maßanzug wird? „2500 Euro ohne Stoff. Mindestens 50 Arbeitsstunden müssen Sie rechnen.Am Ende liegen Sie bei 3000 bis 3500 Euro.“ Schmidt weiß, die Zahl derer, die sich das leisten will, wird weniger. Er ahnt: „Ich bin aus der Zeit gefallen.“