Elkeringhausen. Was ist Mut und wie findet man ihn? Ein Gespräch mit Priester Dr. Andreas Rohde über Kampf, Flucht und wie man den richtigen Moment erkennt.

Herr, gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; die Gelassenheit, hinzunehmen, was ich nicht ändern kann und die Weisheit, den Unterschied zu erkennen. Postkartenweisheiten wie diese haben ihren Reiz und ihre Wahrheit, helfen aber selten bei der Lösung eines konkreten Problems. Der Plattitüden-Faktor einfach zu groß.

Aber die Frage „kämpfen, fliehen oder totstellen?“ muss jeder Mensch immer wieder im Leben beantworten und manchmal ist das alles andere als leicht. Was also tun? Vielleicht einen Experten fragen. Einer wie Dr. Andreas Rohde sollte sich auskennen. Immerhin ist Mut-Zusprechen eine der Kernaufgaben in seinem Beruf als Priester und Coach.

Entschieden etwas leben

„Tja“, sagt er. Denn ganz so einfach sei das nicht. Selbst in der Bibel „steht an einer Stelle: ,Mit meinem Gott überspringe ich Mauern‘ und an einer anderen: ,Ich schließe Frieden mit meinen Grenzen‘.“

Der größte Mut besteht für ihn darin, „entschieden etwas zu leben.“ Was natürlich bedeuten kann, Optionen, die auch schön gewesen wären, für immer ausschließen zu müssen.

„Wenn ich es drehen und wenden kann, wie ich will, aber eine Voraussetzung für einen Wunsch einfach nicht erfülle, kann es klug sein, zu verzichten.“ Und zum Beispiel hinzunehmen, dass der eigene Kontostand nie für einen gehobenen Lebensstil ausreichen wird.

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Kann man so sehen. Aber wäre nicht eine andere Herangehensweise passender für unsere Zeit – nämlich einfach hart an sich und seiner Karriere zu arbeiten, um mehr Geld zu verdienen und seine Träume wahr zu machen?

„Natürlich“, meint Rohde. „Aber ganz ehrlich, die meisten von uns werden trotzdem keine Millionäre. Und vielleicht vernachlässigt man auf diesem Weg vieles, was einen glücklich gemacht hätte.“

Sich selbst Versuch und Irrtum erlauben

Oft fehle Menschen in ihren modernen Hochglanzleben der Mut, Versuch, Irrtum und Fehlschläge hinzunehmen. Lebensverändernde Entscheidungen brauchen Zeit, findet er.

Wie Andreas Rohde ins Sauerland kam – zum zweiten Mal

Dr. Andreas Rohde ist seit 1. Oktober 2019 der neue Direktor des Bildungs- und Exerzitienhauses St. Bonifatius in Elkeringhausen. Der 43-Jährige ist in Dortmund aufgewachsen und war vor dem Umzug ins Sauerland zuletzt Spiritual am Pauluskolleg in Paderborn und hat dort als Seelsorger der Studierenden gearbeitet.

Zusätzlich zum Priesteramt hat er nach seiner Dissertation eine Ausbildung zum systemischen Coach absolviert, um seine seelsorgliche Arbeit mit modernen Werkzeugen und Erkenntnissen zu bereichern. Nach Brilon, wo er seine erste Vikarstelle hatte, hält er immer noch freundschaftliche Kontakte.

Die Entscheidung, von Paderborn ins abgelegene Elkeringhausen zu wechseln, fiel nicht sofort nach dem Angebot. Stattdessen fuhr er für einen Tag zum St.-Bonifatius-Haus und nahm sich dabei vor, „keine Bestätigung für seine Vorurteile zu suchen, sondern mit positivem Blick auf das zu schauen, was ich hier sehe.“

„Viele Menschen sehen irgendwann nur noch die Optionen A und B und spüren das intensive Verlangen, radikal eine von beiden zu wählen, um nicht länger grübeln zu müssen.“ Dabei übersähen sie manchmal, dass es nicht nur A und B gebe, sondern auch eine Option C, D und E.

„Wenn Nachdenken keine neue Erkenntnis mehr bringt – dann ist der Moment, das Neue anzugehen.“
„Wenn Nachdenken keine neue Erkenntnis mehr bringt – dann ist der Moment, das Neue anzugehen.“ © Stefanie Bald

Je umfassender die Konsequenz einer Entscheidung, desto mehr Zeit dürfe man sich dafür nehmen. „Es hilft, die Optionen im Kopf komplett durchzuspielen. Mit allen Vor- und Nachteilen und auch den unrealistischen Träumen, die dazu gehören.“

Der richtige Zeitpunkt zum Handeln

Aber wenn alles geträumt und abgewogen ist – wie findet man dann den richtigen Zeitpunkt, zu handeln?

„Dann, wenn durch meine Überlegungen nichts Neues mehr hinzukommt. Wenn die Gedanken nur noch kreisen. Dann ist der Moment zu springen.“

So wie ein Kind den ersten Sprung vom Fünfmeterbrett eben wagen müsse, um zu wissen, ob die Selbstüberwindung mit einem Glücksgefühl belohnt wird, so gebe es auch für Erwachsene Ziele im Leben, zu denen sie sich nicht hangeln können.

Wer Mut gefunden hat, wird oft bewundert. „Vor allem ja deshalb, weil wir uns fragen, ob wir genauso konsequent handeln könnten wie derjenige.“ Aber wirklich lebendig sei ein Vorbild nur, wenn es auch Veränderungen im Leben und Denken der Bewunderer anrege.

Warum Bewunderung manchmal schadet

Apropos Bewunderung: Mancher Mutige bekommt sie, andere nicht. Der Heilige Franziskus habe eine Menge Spott für seine Konsequenz ertragen müssen. Und bei Jesus hätten am Ende auch nur noch sehr wenige unter dem Kreuz gestanden – nachdem der Hoffnungsträger sich geweigert hatte, die vielen verschiedenen in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. „Ohne Ostern“, sagt Rohde, „wäre seine Geschichte ziemlich tragisch.“

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Was findet man also, wenn man Mut findet? Den lieben Gott? Sich selbst? „Einfach gesagt: das Leben“, meint Rohde. „Oder wie es Ignatius [von Loyola] ausdrückt: das Mehr.“ Ein religiöser Mensch könne dies dann als Gottesbeziehung erleben, ein anderer als das Finden der eigenen Berufung oder das persönliche Glück. „Fest steht, egal wie man es nennt: Ohne Mut kommt man nicht hin.“