Medebach. Sophia-Antonia Bir gab ihr Leben mit steiler Karrierevorhersage auf, um einen Gutshof zu restaurieren. Ihre Entscheidung ist radikal – und mutig.

Mit Arbeitshose, Fließjacke und schweren Schuhen stiefelt Sophia-Antonia Bir über den Hof im sauerländischen Medebach. Rechts und links von ihr streckt Gut Glindfeld seine Dächer in den grauen Himmel. Sophia-Antonia Bir lacht gelöst. „Wenn die schon sehen, dass ich in Arbeiterhose hier herumlaufe, dann wissen sie schon: Ich gehe heute nicht mehr ins Büro.“

Sie zeigt auf ein Haus im hinteren Teil des Hofes, in dem die Büroräume der Heller GmbH liegen, dem Unternehmen ihres Vaters. Dort arbeitet sie mit. Inklusive Geschäftsreisen nach China. Nebenbei. Denn eigentlich widmet sie sich mit Leidenschaft dem Gut Glindfeld und dessen Umbau und Erhalt. Und das, obwohl sie eigentlich knapp vor einer steilen Anwaltskarriere stand.

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„Mein Chef hat mir immer gesagt, hier kannst du was werden“, erzählt Sophia-Antonia Bir, während sie für ein paar Minuten in der gemütlichen Küche des Guts sitzt. An den Wänden über ihr hängen Geweihe und alte Fotos. Im Hintergrund sitzen zwei Männer in Arbeitshosen und essen. Sie lachen.

Probleme lösen als Juristin in einer großen internationalen Kanzlei

Es ist noch nicht allzu lange her, dass Sophia-Antonia Bir in Düsseldorf lebte. Mit ihrem Doktor in Jura arbeitete die heute 35-Jährige für die Kanzlei Freshfields. Die hat Dependancen in Europa, Asien und Nordamerika. Es ist eine der großen internationalen Kanzleien. „Die Arbeit hat mir super viel Spaß gemacht. Ich konnte gut mit den Mandanten umgehen.“ Ihr Chef schätzte das, ließ sie nicht einmal nach China gehen, wo sie lange studierte. Er brauche sie hier, in Düsseldorf.

Sophia-Antonia Bir in ihrem Hofladen in Medebach.
Sophia-Antonia Bir in ihrem Hofladen in Medebach. © Privat

2017 starb ihre Tante. Sophia-Antonia Bir hatte schon immer gewusst, dass dieser Tag kommen wird. Der Tag, an dem ihr die Verwaltung des Forsts rund um das Gut Glindfeld zufallen würde. „Meine kleine Schwester ist behindert, meine große Schwester lebt in Argentinien. Wer soll es also sonst machen?“

Die Arbeit in der Kanzlei ist stressig. Hobbys haben die meisten dort nicht. Gesangsunterricht muss Sophia-Antonia Bir morgens um acht Uhr nehmen. „Da ist die Stimme gar nicht richtig wach.“ Ihre Kollegen raten ihr, einen Verwalter einzustellen. Fremdmanagen lassen. Sie nimmt sich eine Auszeit von drei Monaten. Und kehrt nie wieder zurück.

Kreativ sein - beim Renovieren und als Verwalterin von Gut Glindfeld

„Ich hatte schon immer viel kreative Energie“, sagt sie über sich selbst. Ihr Vater, der Unternehmer. Ihre Mutter arbeitete in der Mode, entwarf Kollektionen. „Wenn man in so einem Unternehmerkonglomerat aufwächst ist es schwierig, sich nur auf eine Sache zu konzentrieren. Als Anwältin waren die Probleme eben schon da. Ich konnte nicht vorab kreativ werden.“

In den Mauern von Gut Glindfeld erwartet sie ein Haufen voll Arbeit. „Ich wusste nicht was auf mich zukommt“, sagt sie heute und steht auf. Der Regen stört sie kaum, als sie wieder den Hof betritt und sich umsieht. Für das Gut hat sie ihr Leben über den Haufen geworfen. Eine Herausforderung, die sie ohne zu zögern angepackt hat. „Ich hatte von Anfang an viele Ideen. Im Prinzip laufen hier viele kleine Start-Ups.“

Das Fleisch wird auf dem Hof in Eigenregie verarbeitet

Der Kuhstall ist zum Beispiel gerade fertig geworden. Eine schwere Glastür öffnet sich zu einem modernen Raum mit altem Stein an den Wänden, einer schicken Bar und aufgereihten Stühlen in der Ecke.

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„Es war ein großes Investment, aber statt das Gebäude verfallen zu lassen, haben wir es umgebaut und jetzt können hier große Hochzeiten, andere Feste oder auch Seminare veranstaltet werden.“ Wieder zurück über den Hof ist ein kleiner Laden, in dem Sophia-Antonia Bir oft selbst an der Kasse steht und Aufschnitt, Leberpastete oder Glindfelder Ofenschmaus verkauft. „Ich stehe natürlich nicht immer hier, aber wenn ich auf dem Hof arbeite, dann steht ein Fahrrad mit einer lauten Klingel vor der Tür. Die höre ich dann.“

Sophia-Antonia Bir bei einer Geschäftsreise in China.
Sophia-Antonia Bir bei einer Geschäftsreise in China. © Privat

Den Milchraum hat sie zu ihrem „Wildraum“ gemacht. „Mir hat es nicht gereicht, das Wild am Stück an Restaurants zu verkaufen. Wir verarbeiten das Fleisch nun selbst. Bald wird es das sogar in einigen Markantmärkten zu kaufen geben.“ Manchmal verbringt Sophia-Antonia Bir das ganze Wochenende damit, Würstchen zu verpacken. Sie zuckt die Schultern und sagt verschmitzt: „Klar, manchmal denkt man schon bei sich, dass man gerne eine Stunde in der Sonne gesessen hätte. Aber ich unterscheide nicht zwischen Privat- und Arbeitsleben. Ich mag es, immer etwas zu tun zu haben.“ Es ist nicht nur Ehrgeiz, der sie antreibt. Die Arbeit macht ihr Spaß.

Viele „kleine Start-Ups“ auf dem Hof in Gang gebracht

Sie hat viel selbst mitangepackt. Ihre eigenen Wohnräume auf dem Gut, direkt neben ihren Eltern, sind nach zwei Jahren hier noch immer nicht komplett fertig hergerichtet. „Mir ist es eher wichtig, dass hier draußen alles stimmt“, sagt sie und deutet auf den gepflegten Rasen, die bunten Blumen und das saubere Pflaster.

Keine Furcht vor dem chinesischen Markt

Sophia-Antonia Birs Entscheidung, ihr Leben über den Haufen zu werfen, macht Mut. Den will sie mit ihrer Arbeit in Shanghai auch an sauerländische Unternehmen weitergeben.

Einmal im Monat, mal mehr oder weniger, reist Sophia-Antonia Bir nach Shanghai. Sie kauft dort technische Textilien für das Unternehmen ihres Vaters – verfolgt aber auch ein anderes, besonderes Projekt. „Wir versuchen dort deutschen mittelständischen Unternehmen eine Plattform zu geben“, erklärt die 35-Jährige.

Der Ausgangspunkt für dieses Projekt: „Wie kriege ich mein Wild nach China? Und welche Produkte aus dem Sauerland würden dort noch erfolgreich?“ Es sei schwer für mittelständische Unternehmen auszuloten, ob der chinesische Markt etwas für sie sei. Sophia-Antonia Bir will Überzeugungsarbeit leisten. „In China leben 1,4 Milliarden Menschen und die wollen sich voneinander unterscheiden – in ihren Produkten. Sie wollen auf ihr Möbelstück zeigen und sagen können, dass es aus einem Unternehmen mit Familientradition kommt. Sie wollen nicht das immer gleiche Billy-Regal“, so Sophia-Antonia Bir. Im Sauerland würde es starke Überzeugungsarbeit kosten, Unternehmen zu dieser Herausforderung zu überreden. Durch die Arbeit auf dem Gut sei das Projekt zudem etwas in den Hinterkopf geraten. „Aber wir bleiben dran!“, verspricht Sophia-Antonia Bir.

„Ich habe das gefunden, was ich wollte. Natürlich ist das hier ein riesiges Investment und ich gehe hier auf volles Risiko, wenn man die Arbeit hier mit einem Angestelltenverhältnis vergleicht. Aber langsam zahlt sich alles aus und ich genieße es, neue Ideen umzusetzen.“

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Im Kopf schweben ihr Ferienwohnungen vor, Kochkurse mit Wild, die Erweiterung der Eventlocations und zahlreiche Veranstaltungen. Schon jetzt finden Konzerte oder auch Märkte auf dem Gut Glindfeld statt. Sophia-Antonia Bir setzt sich gerne dazu. „Der Kontakt zu den Menschen, die zu den Kursen kommen, gibt mir neue Perspektiven und ist mein Ausgleich. Wie die Reisen nach China. So komme ich auch mal raus.“

Ihre Entscheidung, die sichere Karriere und ein Leben in der Großstadt hinter sich zu lassen, hat sie nie bereut. Manchmal besucht sie noch die Kollegen bei Freshfields. Sie fragen oft, wie es ihr geht. Ob sie sie vermissen würde. Die Arbeit vermissen würde. Sophia-Antonia Bir lacht dann. Verneint. Und verschenkt ihr Wild an die alten Kollegen.