Brilon. Das Amtsgericht Brilon war Schauplatz eines imposanten Prozesses. Der Angeklagte wurde um 23.12 Uhr für einen raffinierten Betrug verurteilt.
Eine bis exakt 23.12 Uhr dauernde Urteilsverkündung, eine richterliche Ansage an die Verteidiger, die sich gewaschen hatte, eine Gerichtsreporterin des „Spiegel“ im Saal, ein Strafantrag gegen den Vorsitzenden Richter wegen Rechtsbeugung und ein völlig anderer Geschädigter als der zur Prozesseröffnung in der Anklage angeführte: Der abschließende Verhandlungstag vor dem Schöffengericht Brilon im Verfahren gegen einen ehemals ehrenamtlichen Betreuer hatte es in sich. Das Urteil auch.
Wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall soll ein 54 Jahre alter Mann aus dem Raum Winterberg für drei Jahre und neun Monate ins Gefängnis. 200.000 Euro soll der Angeklagte mit – so Vorsitzender Richter Dietmar Härtel - „raffiniertem Vorgehen und hoher krimineller Energie“ auf Seite geschafft haben.
Vor einem Jahr fast mit blauem Auge davongekommen
Dabei hätte es für den Winterberger vor einem Jahr ganz anders ausgehen können, nämlich glimpflich. Damals hatte ihm Schöffengericht unter Vorsitz von Hans-Werner Schwens angesichts der unklaren Beweislage angeboten, das Verfahren mit einer Bewährungsstrafe zu beenden, wenn er den damals im Raum stehenden Schaden von 102.398,32 Euro wiedergutmachen wolle. (Anm. d. Red.: In der ersten online-Veröffentlichung war irrtümlich von einer Einstellung des Verfahrens die Rede gewesen.) Das hatte der Angeklagte abgelehnt. Pech. Denn im Lauf der weiteren Beweisaufnahme stellte sich heraus, dass er nicht nur das Geld für sich abgezweigt, sondern auch die Vorsorgevollmacht, mit der er über das Konto seines Klienten verfügen durfte, gefälscht hatte. Worauf Richter Schwens den Fall an das Landgericht Arnsberg leitete, weil seiner Ansicht nach nun ein Strafmaß von mehr als vier Jahren im Raum stand. Ein solches allerdings kann ein Schöffengericht nicht mehr verhängen. Das Landgericht jedoch schickte das Verfahren nach Brilon zurück, wo es jetzt erneut vor dem Schöffengericht verhandelt wurde, diesmal unter Vorsitz von Richter Härtel.
Richter: Anwälte wollten zeigen, was sie drauf haben
Und dem wollten es die neuen Wahlverteidiger des Angeklagten, das Team Dr. Patrick Gau und Thorsten Hönnscheidt aus Dortmund, wohl so richtig zeigen. Gleich am ersten Tag bombardierten sie das Gericht mit Anträgen. Sechs Stunden zog sich - wie berichtet - das prozessuale Scharmützel hin. Und auch beim Finale am Montag, als Richter Härtel die Beweisaufnahme abschließen und um die Plädoyers bitten wollte, zog Verteidiger Hönnscheidt noch 20 Beweisanträge aus dem Aktenordner - allerdings nur in einfacher Ausführung für den Richter. Und da die Gerichtsverwaltung bereits im Feierabend war, blieb dem Vorsitzenden Richter nichts anderes übrig, als die Kopien für Staatsanwalt Theis persönlich anzufertigen. Die aus Dortmund angereisten Anwälte, so Richter Härtel später in der Urteilsbegründung, „wollten zeigen, was sie drauf haben“. Dabei sei es ihnen nur darum gegangen, das Verfahren mit dieser Art der Konflikt-Verteidigung „zu torpedieren und zu verschleppen“. Das - so Härtel wörtlich weiter - „findet nicht das Wohlwollen des Gerichts“.
Ehefrau informierte Polizei über Kontostand
Worum ging es eigentlich? Der Angeklagte hatte sich das Vertrauen eines nach langem Alkoholmissbrauch am sog. Korsakow-Syndroms leidenden und deshalb nicht geschäftsfähigen heute 61 Jahre alten Mannes aus Winterberg erworben und sich am 21. November 2013 vom Amtsgericht Medebach als Nachfolger der bis dahin tätigen Berufsbetreuerin als ehrenamtlicher Betreuer einsetzen lassen. Aber nur für vier Tage. Dann ließ er diese Betreuung aufheben. Dazu präsentierte er dem Amtsrichter in Medebach eine auf den 16. September 2010 datierte Vorsorgevollmacht. Damit wiederum löste er kurze Zeit später 200.000 Euro aus einer Lebensversicherung heraus.
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
Eine Vorsorgevollmacht kann eine rechtliche Betreuung weitgehend ersetzen.
In einer solchen Erklärung gibt die vollmachterteilende Person für den Fall einer später eintretenden Geschäfts- und/oder Einwilligungsunfähigkeit (z. B. durch krankheitsbedingten Abbau von geistigen Fähigkeiten) einem anderen die Vollmacht, im Namen der vollmachterteilenden Person zu handeln.
Die Vorsorgevollmacht hat einen anderen Regelungsgehalt als die Patientenverfügung, in der nicht verfügt wird, wer handeln soll, sondern der Verfügende selbst regelt, was etwa im Fall unheilbarer Krankheit geschehen soll. Allerdings können Teile beider Erklärungen in einem Dokument zusammengefasst werden.
Die Vollmachten bedürfen keiner notariellen Beurkundung (§ 167 Abs. 2 BGB), wobei diese aus Sicherheitsgründen dennoch empfohlen wird; Bevollmächtigte müssen nur nachweisen, dass sie bevollmächtigt sind (§ 167 Abs. 2 BGB).
Grundsätzlich können nur geschäftsfähige und volljährige Personen als Bevollmächtigte bestimmt werden. (Quelle: Wikipedia)
Zunächst ließe er das Geld auf ein auf seinen und den Namen seines Klienten lautendes Konto überweisen. Davon zweigte er dann 74.498,32 Euro zur Tilgung seines Hausdarlehns sowie zum Kauf eines gebrauchten Audi Q5 für 27.900 Euro ab. Und weitere rund 80.000 Euro landeten auf dem privaten Konto des Angeklagten - das kam sogar seiner Gattin komisch vor. Aus Angst, in kriminelle Machenschaften - so Richter Härtel - „mit reingezogen zu werden“, ging sie zur Polizei. Mit der Beziehung zwischen den beiden lief es schon damals nicht mehr, mittlerweile sind die beiden geschieden.
Geschäftsuntüchtigkeit ausgenutzt
Der Angeklagte und seine Verteidiger betonten, dass der kranke Bekannte in dem Angeklagten eine Vertrauensperson gesehen habe, die ihn zum einen aus der Pflegeeinrichtung wieder ins richtige Leben bringen konnte und mit dem der jetzt auf Hilfe angewiesene Tüftler und Techniker Windkraft- und Photovoltaikprojekte realisieren wollte. Einiges war sogar schon konkret angestoßen worden, aber alles, so der Angeklagte, habe der 67-Jährige „leichtfertig zerschossen“, als er sich über ihn geärgert habe.
Vehement bestritten der Angeklagte und auch seine Verteidiger, dass der 67-Jährige wegen der eingetretenen Gehirnschädigungen in den gemeinsamen Jahren durchgehend geschäftsunfähig gewesen sein soll. Das hatte ein Gutachter festgestellt. Wobei das wegen der „hohen Grundintelligenz“ des Mannes nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen sein muss. Gedächtnislücken könne er gut „konfabulieren“ und „fassadieren“, also ausfüllen und übertünchen. Deswegen stufte ein weiterer Gutachter die Aussagen des 67-Jährige als nicht verwertbar ein. Der Angeklagte dagegen sagte, dass der Mann bestens mit Computern, dem Internet und anderen Alltagsgeschäften umzugehen pflegte.
Folgenschwerer Flüchtigkeitsfehler bei Datierung der Vorsorgevollmacht
Es blieben dem Gericht also die Indizien. Und da spielt die Vorsorgevollmacht die zentrale Rolle. Deren Vordruck hatte sich der Angeklagte aus dem Internet heruntergeladen - und dabei nicht bemerkt, dass der einen rechtlichen Hinweis enthielt, der erst im Frühjahr 2013 wirksam geworden war. Der also nicht zum Ausstellungsdatum 16. September 2010 passen konnte. Für die Rückdatierung sahen der Staatsanwalt und das Gericht nur einen Grund: Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der 67-Jährige im Herbst 2013 wegen seiner Geschäftsunfähigkeit gar nicht mehr in der Lage war, eine Vorsorgevollmacht rechtswirksam auszustellen. Ihn aus dem Heim heraus zu holen, wäre auch mit einer aktuell ausgestellten Vorsorgevollmacht möglich gewesen. Die Vollmacht habe nur dazu gedient, sich der gerichtlichen Betreuungskontrolle zu entziehen und - so Richter Härtel - „an das Geld zu kommen.“ Alles andere sei „nicht schlüssig“.
Getäuschte Versicherung muss alten Kontostand wieder herstellen
„Die Indizienkette der Staatsanwaltschaft reicht nicht“, sagte dagegen Verteidiger
Thorsten Hönnscheidt, „sie schreit geradezu nach Zweifeln“. Die Vorsorgevollmacht habe sein Mandant auf Wunsch des 67-Jährigen vordatiert, um schnellstmöglich aus dem Heim heraus zu kommen. Er und auch Pflichtverteidiger Berger plädierten auf Freispruch.
Staatsanwalt Theis hatte drei Jahre und zehn Monate Haft sowie den Einzug von Vermögenswerten in Höhe von 200.000 Euro, eben der ausgezahlten Versicherungssumme, gefordert.
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Das Geld steht jedoch nicht dem 67-Jährigen zu. Denn der ist nach Auffassung des Gerichts und im Gegensatz zur ursprünglichen Anklage gar nicht der Geschädigte. Das ist, das hatte das Gericht in einem rechtlichen Hinweis am zweiten Verhandlungstag angedeutet, die Versicherung. Die hat die Auszahlung der Lebensversicherung auf Basis der gefälschten Vollmacht vorgenommen und deshalb ihre Leistung gegenüber dem 67-Jährigen nicht erfüllt. Richter Härtel: „Der alte Kontostand muss wieder hergestellt werden.“
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.