Hallenberg. Mit der Welturaufführung des Musicals „Kohlhiesels Töchter“ hat die Freilichtbühne Hallenberg am Wochenende mehr als 1000 Zuschauer begeistert.
Nach außen ein schmissiges Ohrwurm-Musical. Ein Oberschenkel-Klopfer mit Witz und viel Tempo. Auf den zweiten Blick aber auch eine Inszenierung mit Tiefgang, die das Genre Operette/Musical/Herz/Schmerz wunderbar überspitzt und karikiert. Mehr als 1000 Zuschauer feierten am Sonntag die Premiere von „Kohlhiesels Töchter“ auf der Hallenberger Freilichtbühne. Und eines ist sicher: Das wird d e r Sommer-Kracher 2019 auf den Freiluft-Rängen.
Mehr als Braten mit Knödeln
„Schweinsbraten mit Knödel“ hat der brummige Gastwirt Kohlhiesel auf seiner Speisenkarte stehen – sonst nichts. Was die 46 Darsteller aber auffahren, ist keine Hausmannskost, sondern feinste Küche von der Vorspeise bis zum Nachtisch – mit Kirsche oben drauf. Das monatelange Proben hat sich gelohnt; die Nerven waren angespannt. Noch mehr als sonst. Ein großer Verlag gibt einer kleinen Bühne die Chance, ein völlig neu geschriebenes und komponiertes Musical erstmalig auf die Bretter zu bringen.
Und dann wird das gleich so ein Hammer! „Wir kennen die Freilichtbühne Hallenberg, haben uns vergangenes Jahr zum Beispiel ,My fair Lady‘ angeschaut, und wussten, die können das“, sagt die Leitende Dramaturgin des Gallissas-Verlages Berlin, Elisabeth Engstler, nach dem Schluss-Applaus. Komponist, Texter, Geschäftsführerin – alle sind sie angereist um zu schauen, wie Hallenberg ihre „Töchter“ auf die Welt bringt. In harmonischer Kooperation mit der Bühne sei das Stück weiterentwickelt worden. „Wir kannten es ja bis heute auch nur vom Papier her und sind sehr angetan von dem, was daraus gemacht wurde.“
Zur Handlung
Die Handlung ist kurz erzählt. Der an Selbstüberschätzung leidende Xaver möchte die hübsche und naive Gretl heiraten. Doch erst muss deren ältere Schwester Liesl unter die Haube – aber diesen Bauerntrampel will eigentlich niemand. Der junge Seppl hat eine geniale, wenn auch nicht ganz uneigennützige Idee: Xaver heiratet Liesl, um sich dann wieder von ihr scheiden zu lassen. Aber dann kommt natürlich alles ganz anders.
Regiearbeit
Dass trotz des recht dünnen Handlungsfadens in der gut zweistündigen Inszenierung nicht eine Sekunde Langeweile aufkommt, ist das Verdienst von Regisseur Florian Hinxlage und seinem Ensemble. Eigentlich muss man das Stück mindestens zweimal sehen, um die vielen Kleinigkeiten wie in einem „Wimmel-Bild“ zu entdecken. Immer ist irgendwo irgendetwas los. Jeder Charakter ist fein säuberlich gezeichnet. Jede noch so kleine Rolle ist wichtig und ein Mosaiksteinchen in einer turbulenten und rasanten Gesamtszenerie. Und flotte Tänze – auf Wunsch des Regisseurs wurden fünf Songs nachträglich komponiert – bringen richtig Schwung in den Laden. „Ich habe eine so unglaublich tolle Truppe, ich danke euch!“, sagt Hinxlage nach der Premiere.
Die vier tragenden Säulen
Die großen vier Säulen der Inszenierung sind aber die vier Hauptdarsteller: Vanessa Ante spielt die derbe und schlagfertige Liesl („Mach’s Maul zu, sonst schluckst Du Fliegen!“) mit solcher Energie, Überzeugungskraft und Präsenz, dass sie die Männer auf der Bühne und im Publikum das Fürchten lehrt. Franziska Mause ist diesmal nicht Eliza Doolittle, sondern verleiht der hübschen Blondine Gretl die perfekte Mischung aus Naivität und Sex-Appeal. Beide bewegen sich gesanglich ganz oben auf der Richterskala und meistern die mitunter extremen Tonintervalle mit Bravour. Thomas Knecht dominiert als Xaver die Bühne sprachlich und gesanglich so eloquent und souverän wie schon als Professor Higgins. Und sein Freund Seppl (Philipp Mause) tanzt und singt so leichtfüßig und unbeschwert durch die Szenerie wie schon vergangenes Jahr als Freddy Eynsford-Hill. Sehr gut gefallen aber auch der Hausierer Seidenstock (Daniel Glade) und der alte Kohlhiesel (Rüdiger Eppner). Chapeau!
Turbulent, witzig und temporeich
Viele Puzzleteile
An keiner Stelle spürt man, dass dieses Stück aus unzähligen Puzzle-Teilen zum Gesamtwerk zusammengesetzt wurde. Jesssica Krüger hat großen Wert auf die Choreographien gelegt und die Solisten gesanglich gecoacht. Das sitzt. Mareike Schäfer hat die Chorstücke mehrstimmig und perfekt einstudiert und Stefan Wurz behielt als musikalischer Leiter immer die Fäden in der Hand.
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Überhaupt hat man das Gefühl, die Musik von Shay Cohen schon mal gehört zu haben – obwohl alle Stücke neu sind. Sie sind rhythmisch herrlich beswingt und von der Instrumentierung her mal so angelegt, dass sie in die guten alten Blütezeiten der Operette passen. Sie überraschen aber auch mit ruppigen Tarantella-Rhythmen oder mit richtigen Musical-Arien, die manchem König der Löwen oder den Katzen zu Ehre gereichen würden.
Unterhaltung pur
Wer einfach unbedarft die pure Unterhaltung sucht, der findet sie in „Kohlhiesels Töchtern“. Wer aber mal etwas genauer hinschaut, der merkt in mitunter überzogenen theatralischen Gesten, in Tänzen, die aus Schuhplattlern mit Pulp-Fiction-Gesten bestehen, auch das Augenzwinkern in der Inszenierung. Wie sagt einer der Hauptdarsteller so schön: „Wir spielen Komödie, wir machen allen was vor….“
Ministerpräsident eröffnet Spielzeit
Ministerpräsident Johannes Rau sollte die Bühnensaison vor Jahren schon einmal eröffnen. Seine Kinder erkrankten. Er kam nicht. Vergangenes Jahr sollte Armin Laschet kommen. Die Koalitionskrise in Berlin machte einen Strich durch die Rechnung. Aber am Sonntag war er da.
Schon einmal (2014 bei „Die Päpstin“) hatte Laschet, damals noch als CDU-Landesvorsitzender, die Spielzeit eröffnet. Am Sonntag sagte er: „Ich freue mich, die Wertschätzung für das, was hier an ehrenamtlicher Arbeit passiert, zum Ausdruck bringen zu können. 1946, als unser Land noch nicht gegründet war, haben hier engagierte Menschen gesagt, wir wollen hier auf dem Land Kultur fördern - das ist eine riesige Leistung.“
Viele, so Laschet, bewegten sich nur noch in virtuellen Welten.
„Ja, es gibt das Internet, aber es gibt auch noch das reale Leben.“ In Hallenberg habe man engagierte Leute, die nicht mal eben einen Video-Clip drehen, sondern die sich engagieren, um andere Menschen zu unterhalten. Dieses Engagement sei gar nicht hoch genug zu bewerten.