Arnsberg/Winterberg. . Am späten Abend endete der 18. Verhandlungstag im Prozess gegen eine Mutter aus dem Raum Winterberg. Fraglich, ob heute ein Urteil fällt.
Der Verteidiger zieht auch eine der letzten Karten im komplizierten und langwierigen Verfahren um Haft oder Bewährung für eine zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg. Stephan Lucas hat gestern einen Befangenheitsantrag gegen alle fünf Mitglieder der Schwurgerichtskammer gestellt. Über den Antrag, den er am Montagmorgen gegen 9.15 Uhr verlesen hatte, musste eine andere Kammer des Landgerichts beraten und entscheiden. Nach sechs Stunden dann das Ergebnis: Der Antrag wird als unzulässig und unbegründet verworfen.
Um 16.40 Uhr wurde der mittlerweile 18. Verhandlungstag gestern dann noch einmal unterbrochen - diesmal bis 20.15 Uhr. Ergebnis: Lucas hat beantragt, Rechtsanwalt Brock von seinen Aufgaben als Nebenklägervertreter zu entbinden. Das Gericht muss darüber entscheiden; damit ist mehr als fraglich, ob heute ein Urteil fällt.
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Schwere Geschütze hatte Lucas schon am Morgen aufgefahren. Seine Mandantin lehne die Vorsitzende der Kammer, Richterin Dorina Henkel, die beiden Berufsrichter und die beiden Schöffen aus Besorgnis der Befangenheit ab. Hauptgrund dafür sei der Umstand, dass zumindest die Berufsrichter von Anfang an gewusst hätten, dass der Ex-Lebensgefährte der zehnfachen Mutter von einem Juristen vertreten werde, der zuvor schon Anwalt der Frau gewesen sei. Lucas: „Rechtsanwalt Brock hat das Mandat rechtlich und faktisch übernommen und ist umfangreich als ihr Verteidiger tätig gewesen. Das ist eine verheerende Konstellation, die einen schlechten Beigeschmack hat.“ Die Kammer habe dennoch nichts unternommen. Gegen Verteidiger Brock aus Brilon stellte Lucas außerdem Strafanzeige wegen sogenannten Parteiverrates; außerdem sieht er einen Verstoß gegen das Berufsrecht.
Körperverletzung mit Todesfolge
Oliver Brock erklärte, er sei faktisch nicht Pflichtverteidiger der Angeklagten gewesen. Er sehe keine Gefahr der Interessens-Kollision. Dem schloss sich auch die unabhängige Kammer in ihrer Stellungnahme an. Außerdem, so der Beschluss, komme der Antrag in vielerlei Punkten verspätet. Schon zu Beginn des Verfahrens sei der Angeklagten und Lucas bekannt gewesen, dass Rechtsanwalt Brock den Ex-Lebensgefährten als Nebenkläger vertreten solle. Einer sogenannten Beiordnung sei aber bis dato niemand entgegengetreten. Die Kammer lehnte das Gesuch in weiteren Punkten ab: Gleiches gilt für diverse Beweisanträge, die Stephan Lucas in der Verhandlung am 12. April gestellt hatte. U.a. sollte der Ex-Lebensgefährte noch einmal gehört werden
Bei allen Anträgen und Unterbrechungen gerät der eigentliche Vorwurf in dem Verfahren aus dem Blickfeld: Die 40-jährige Frau soll zu spät reagiert haben, als zwei ihrer Kinder zu wenig gegessen und getrunken hatten. Der 2014 fast zweijährige Sohn starb in einem Krankenhaus; seine jüngere Schwester wurde gerettet. Seit September und bis heute bleibt aber Verteidiger Lucas dabei: „Das, was da passiert ist, ist ganz schlimm. Und es vergeht kein Tag, an dem meine Mandantin nicht an diese Sache denkt. Aber man kann ihr doch keine Absicht unterstellen.“ Der 40-jährigen Angeklagten wird Körperverletzung mit Todesfolge und Körperverletzung zur Last gelegt. Und genau jenen Vorsatz wollte das Amtsgericht Medebach nicht ausschließen, weshalb das Verfahren nun in Arnsberg gelandet ist - und einen juristischen Rattenschwanz ohne Ende ausgelöst hat:
Schlägen mit Stock und Faust?
Vor dem Amtsgericht Brilon ruht ein Verfahren gegen den Ex-Lebensgefährten und Vater von ursprünglich neun gemeinsamen Kindern. Ihm wirft die Frau u.a. Vergewaltigung vor; ein Sohn hatte in diesem Verfahren weitere schwere Vorwürfe gegen den in Bremen lebenden Man erhoben. Er soll dem Jungen einen Gürtel um den Hals und ihn daran hochgezogen haben, auch von Schlägen mit Stock und Faust ist die Rede.
Der Prozess in Medebach hatte Ermittlungen gegen eine Mitarbeiterin des HSK Jugendamtes ausgelöst. Ihr wird vorgeworfen, die Familie nicht streng und engmaschig genug kontrolliert zu haben. Vor fast genau einem Jahr war die 29-jährige wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung durch Unterlassen zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Noch im Gerichtssaal hatten ihr Verteidiger Thomas Mörsberger - der in diesem Prozess ständiger Beobachter ist - und Staatsanwalt Klaus Neulken Berufung eingelegt. Einen Termin für das Berufungsverfahren gibt es noch nicht.
<<< Hintergrund
- Hätte die Kammer dem Anwalt recht geben, hätte das komplette Verfahren noch einmal bei Null anfangen müssen - mit neuen Schöffen und Berufsrichtern.
- Alle bisherigen 18 Verhandlungstage hätten dann kein Urteil gebracht.