Arnsberg/Winterberg. Im Prozess um den Hungertod eines Jungen will der Verteidiger der Angeklagten ein neues Gutachten. Das Gericht lehnt ab, kommt ihm aber entgegen.
In dem Prozess gegen eine zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg ist noch kein Ende absehbar. Noch mindestens drei weitere Termine sind angesetzt.
Der psychiatrische Gutachter hat am Montag in einer einstündigen Sitzungspause noch einmal mit der Angeklagten gesprochen. Ergebnis: Der Psychiater sieht nach wie vor keinen Anhaltspunkt für eine Posttraumatische Belastungsstörung und er hält die Frau für schuldfähig.
Gericht lehnt Antrag des Verteidigers ab
Seit dem 6. September muss sich die 40-Jährige wegen des Vorwurfes der Körperverletzung mit Todesfolge und der Körperverletzung durch Unterlassen vor dem Arnsberger Landgericht verantworten. Ihr 25 Monate alter Sohn war im Februar 2014 gestorben, weil er massiv unterernährt war. Die neun Monate alte Schwester war ebenfalls in einem schlechten Pflege- und Ernährungszustand, konnte aber gerettet werden. Gestern war der zehnte Verhandlungstag.
Indiz, das gegen eine Belastungsstörung spricht
Letzter Stand der Dinge: Verteidiger Stephan Lucas hatte im November gegenüber dem psychiatrischen Gutachter einen Antrag auf Befangenheit gestellt. Dem war das Schwurgericht nicht gefolgt. Damit bezog Facharzt Dr. Thomas Schlömer auch am Montag erneut zu den Fragen des Anwalts Stellung. Dreh- und Angelpunkt: Der Gutachter schließt bei der Frau eine Posttraumatische Belastungsstörung aus. So eine Störung könnte aber nach Ansicht des Verteidigers ein Grund dafür sein, warum die Mutter trotz des schlechten Zustandes ihrer Kinder nicht oder zu spät gehandelt habe. Die Mutter hatte allerdings im April 2014 in Sachsen mit ihrem Ex-Lebensgefährten und Vater von neun gemeinsamen Kindern noch einmal Geschlechtsverkehr gehabt. Und das, so Dr. Schlömer, „einvernehmlich“ wie die Frau in einer Nachuntersuchung sinngemäß gesagt habe. Dies sei ein deutliches Indiz, das gegen eine solche Belastungsstörung spreche.
Freiwilliger oder erzwungener Sex?
Lucas zitierte aus einem Schreiben der Frau, dass sie sich nach diesem Beischlaf auf der Heimfahrt ins Sauerland schlecht gefühlt und den Schluss gefasst habe, sich von ihm zu trennen. Dies lasse doch zumindest Zweifel an einer Freiwilligkeit zu. Für ihn sei es nicht ausgeschlossen, dass die Frau von ihrem Ex unter Druck gesetzt worden sei. Lucas stellte den Antrag, dass der psychiatrische Gutachter die Frau noch einmal nachuntersuchen möge, um eben genau jene Situation im April näher zu beleuchten.
Staatsanwalt Klaus Neulken meinte dazu: „Ich halte das für völlig überflüssig. Der Sachverständige hat sich deutlich positioniert. Man kann nicht jedes Mal, wenn einem das Ergebnis eines Gutachtens nicht passt, ein neues beantragen.“ Der Gutachter habe klar gesagt, selbst bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung, sehe er keine Einschränkungen in der Schuldfähigkeit.
Sitzung wird eine Stunde unterbrochen
Verteidiger Oliver Brock aus Brilon vertritt den Ex der Frau, der in diesem Prozess als Nebenkläger auftritt. Auch für Brock machte ein zweites Gutachten wenig Sinn. Er sehe keinen Anhaltspunkt für eine dauerhafte Belastungsstörung und er glaube nicht, dass die Frau ausgerechnet dann unter etwaigen Störungen gelitten habe, wenn sie hätte Hilfe holen können. Falls die Angeklagte daran festhalte, dass der Sex mit seinem Mandanten nicht einvernehmlich gewesen sei, dann müssten weitere Beweismittel auf den Tisch. U.a. soll es Fotomaterial geben. Brock: „Dann müssen sich hier beide im wahrsten Sinne des Wortes nackig machen, und ob sich das beide Kindseltern antun möchten...“
Bereitschaft zu einer Nachexploration signalisiert
Der Psychiater hatte Bereitschaft zu einer Nachexploration signalisiert. Er hatte aber von vornherein eingeräumt: für die Schuldfähigkeit der Frau sei eine mögliche Belastungsstörung nicht entscheidend. Das Gericht sah zwar keinen Anlass für eine offizielle Nachexploration, kam aber dem Wunsch von Anwalt Lucas nach, der Gutachter möge sich noch einmal mit seiner Mandantin unterhalten. Dafür wurde die Sitzung gestern bis 17.50 Uhr um eine Stunde unterbrochen. An der diagnostischen Einschätzung des Psychiaters hat das aber nichts geändert. Dr. Schlömer: „Ich könnte mir vorstellen, dass es ein schleichender Prozess war, dass die Angeklagte keine Hilfe geholt hat aus Angst davor, die Kinder zu verlieren. Aber das ist auch nur ein möglicher Erklärungsansatz.“
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