München/Arnsberg. Stephan Lucas gilt in der Justiz als schillernde Figur, wurde als “Dieter Bohlen des Strafrechts“ bezeichnet. Unpassend, findet der TV-Anwalt.
Vor dem Landgericht Arnsberg geht am 8. Januar der Prozess gegen eine zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg weiter. Ihr wird vorgeworfen, zwei ihrer Kinder nicht ausreichend mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt zu haben. Ihr zweijähriger Sohn starb. Verteidigt wird die Frau von dem Münchner Strafverteidiger Stephan Lucas. Der 45-jährige Anwalt wurde durch die Gerichtsshow „Richter Alexander Hold“ bundesweit bekannt. In der Reihe spielte Lucas den „Staatsanwalt“ Stephan Lucas.
Sie sind Strafverteidiger, Darsteller in Gerichtsshows und Doku-Soaps, Buchautor und Kabarettist. In welcher Rolle gefallen Sie sich am besten?
Stephan Lucas: Ich spiele keine Rolle. Vom ersten Tag im Jura-Studium an bis heute ist die Strafverteidigung meine große Leidenschaft. Der Rest passt sehr gut dazu. Mir ist es wichtig, den Menschen die Juristerei nahezubringen. Dabei nutze ich auch die Form des Infotainments. Es ist wichtig, dass in einem Strafverfahren möglichst große Transparenz herrscht. Urteile dürfen nicht im stillen Kämmerlein entstehen.
2017 verteidigten Sie u.a. einen Ex-Hells-Angel, der einen Fremden niedergestochen haben soll, einen Krankenpfleger, der eine Patientin missbraucht haben soll, ein ehemaliges Playmate, das vergewaltigt worden sein soll. In der Vergangenheit waren Sie bei Großprozessen - zum Beispiel Amoklauf von Winnenden, Ermordung von Generalbundesanwalt Buback - dabei. Suchen Sie sich bewusst Fälle mit großem Medieninteresse aus?
Zunächst einmal: Die Mandanten kommen zu mir, ich putze keine Klinken. Es hat sich offenbar herumgesprochen, dass ich mich bedingungslos für die Rechte meiner Mandanten einsetze. Dann kann es passieren, dass ich in einer Verhandlung noch zwei Anträge am späten Nachmittag stelle, obwohl ich einen wichtigen privaten Termin habe. So musste ich seinerzeit mein Traugespräch mit dem Pfarrer absagen. Es wurde allerdings glücklicherweise nachgeholt...
In Boulevard-Medien werden Sie als Staranwalt geführt. Wie wichtig sind Medien für Ihre Arbeit?
Ich selbst würde mich nie so bezeichnen. Andere dürfen das natürlich gerne tun. Medien sind wichtig, weil sie Inhalte von Prozessen transportieren. Die Grundidee der Strafprozessordnung ist doch, Öffentlichkeit herzustellen. Nehmen Sie das Beispiel des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht München. Die Medien begleiten das Verfahren sehr engmaschig. Dadurch erfährt die Öffentlichkeit, welche Pannen es bei der Aufklärung der Morde gab.
Sie vertreten die Familie des ersten NSU-Opfers, des Blumenhändlers Enver Şimşek. Mittlerweile sind 400 Verhandlungstage vorbei. Haben Sie die Hoffnung, dass am Ende die wichtigsten Fragen der Angehörigen beantwortet sind?
Enver Şimşek wurde noch viele Jahre nach seinem Tod verdächtigt, in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen zu sein. Ein Ziel der Angehörigen ist erreicht worden: Sie haben im Prozess wörtlich zu hören bekommen, dass ihr Ehemann und Vater sich nichts hat zu schulden kommen lassen und dass die Ermittler auf der falschen Fährte waren.
Die Erklärung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe - nach einer langen Phase des Schweigens - war eine Verhöhnung der Opfer. Frau Zschäpe hätte besser den Mund gehalten. Der Familie von Enver Şimşek geht es nicht um eine harte Strafe, sondern um größtmögliche Aufklärung. Wichtig wird es für sie sein, wie tief sich das Gericht in ihrem Urteil mit der Materie beschäftigt. Die Kammer hat die Chance, detailliert zu benennen, was bei der Mordserie und danach eine Rolle gespielt hat.
Welche Bedeutung hat der Prozess für den Rechtsstaat?
Er ist ein starker Ausdruck für den Rechtsstaat. Die juristische Aufarbeitung beweist, dass solche Straftaten in Deutschland ernst genommen werden.
Von der Öffentlichkeit stark wahrgenommen wird auch der Prozess vor dem Landgericht Arnsberg, in dem sich eine zehnfache Mutter gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge bzw. vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen verantworten muss. Wie beurteilen Sie den bisherigen Verlauf?
Es ist ein sehr schwieriges Verfahren. Der Vorwurf gegen meine Mandantin in der Vorinstanz, fahrlässig gehandelt zu haben, ist nachvollziehbar.
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Sie hat nichts Schlimmes gewollt, aber Schlimmes angerichtet. Dass ihr jetzt Vorsatz unterstellt wird, halte ich für konstruiert, ja aufgebläht. Die große Frage in dieser Phase der Verhandlung ist, ob die Kinder der Frau als Zeugen geladen werden müssen. Aber will man das wirklich?
Ihre Kanzlei befindet sich in München. Seit dem September reisen Sie zu den Prozesstagen ins mehr als 600 Kilometer entfernte Arnsberg. Eine Strapaze, oder?
Das Ganze ist in der Tat sehr anstrengend für mich. Zumal aus den geplanten vier Prozesstagen jetzt schon neun geworden sind. Ich werde die Verteidigung aber mit Hingabe durchziehen. Mich packt dann die Leidenschaft.
Zu Ihren Aktivitäten als Darsteller: Sie spielten den Staatsanwalt in der inzwischen eingestellten SAT1-Gerichtsshow „Richter Alexander Hold“. Man sieht Sie als Rechtsexperte in TV-Sendungen oder als Hauptfigur in dem Reality-TV-Format „Im Namen der Gerechtigkeit – Wir kämpfen für Sie!“ (ebenfalls SAT 1). Kritiker bemängeln, dass in solchen Sendungen die Dokumentation realer Ereignisse vorgetäuscht wird. Wie begegnen Sie dem?
Solche Formate gehen vielen meiner Berufskollegen gegen den Strich. Aber ich sage immer, dass eine Reihe wie „Richter Alexander Hold“ einen rechtlichen Anspruch hatte, den Krimi-Serien wie der „Tatort“ nie erreichen. Natürlich entspricht die Taktung an aufregenden Fällen nicht dem realen Leben. Aber die Zuschauer sind ja nicht so blöd. Und im übrigen: Wir haben immer pingelig darauf geachtet, nicht gegen die Strafprozessordnung zu verstoßen.
Reale Richter kritisieren, dass Angeklagte durch Gerichtsshows „versaut“ würden. Dass Angeklagte ein Auftreten an den Tag legten, das darauf hindeutet, dass sie sich statt in einem realen Gerichtssaal auf einer Showbühne wähnen. Fließen durch Gerichtsshows Realität und Fiktion ineinander?
Gehen Sie mal einen Tag lang ins Gericht und verfolgen Verhandlungen. Dass da mal gebrüllt wird, ist keine Erfindung des Fernsehens. Der Mensch kann bisweilen nicht an sich halten.
Nachdem 2012 Ihr erstes Buch erschienen ist - „Auf der Seite des Bösen – Meine spektakulärsten Fälle als Strafverteidiger - “, legten Sie Anfang dieses Jahres nach. Titel des Werks: „Garantiert nicht strafbar“. In Medienberichten ist von einem „Skandalbuch“ die Rede, weil sie Tipps geben würden, wie man Lücken der deutschen Strafgesetze ausnutzt. Sie behaupten zum Beispiel, dass Arbeitnehmer Teile Ihrer Arbeitszeit auf der Toilette absitzen dürfen. Was wollten Sie mit Ihrem Buch bezwecken?
Zunächst zu meinem ersten Buch: Viele Jahre bin ich auf Partys mit der typischen Frage konfrontiert worden, wie nur man einen Mörder verteidigen könne? Diese Frage ist nicht mit einem Satz zu beantworten. In dem Buch konnte ich auf 265 Seiten meine Beweggründe schildern. Hinter dem aktuellen Buch stand eine andere Idee: Ich wollte mich auf launige Art und Weise mit meinem Beruf auseinandersetzen und ihn den Menschen nahe bringen. In anderen Berufssparten gibt es das ja auch schon. Nehmen Sie (Fernseh-)Köche, Tiertrainer (Martin Rütter) oder Ärzte (Eckart von Hirschhausen). Da wird auch überzogen.
Aus Ihrem Buch ist ein gleichnamiges kabarettistisches Bühnenprogramm entstanden. Was hat Sie dazu bewogen?
Von Kindheit an habe ich auf der Bühne gestanden. Es macht mir Spaß. Dass ein Jurist mit einem Programm über die Justiz auf einer Kabarett-Bühne auftritt, hat es in Deutschland so noch nicht gegeben. Ab dem 21. Januar erzähle ich bei zehn Auftritten auf renommierten Bühnen ohne schwieriges Juristen-Deutsch launig von meinem Job, oder besser: von meiner Leidenschaft. Dass ich in einer Position bin, solche Dinge auszuprobieren, ist ein großes Geschenk. Wie gesagt, ich betrete echtes Neuland - ob die Welt darauf gewartet hat, wird sich zeigen.
Sie kalkulieren einen Misserfolg ein?
Natürlich. Misserfolge gehören zum Leben, also auch zum beruflichen Leben. Niederlagen vor Gericht ärgern mich, Erfolge verschaffen mir Adrenalinstöße.
Freispruch nach Anklage wegen Strafvereitelung
Im Jahr 2010 wurde Stephan Lucas von der Augsburger Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung angeklagt. Das Vorgehen seinerzeit vom beim Verband Deutscher Strafverteidiger und der Rechtsanwaltskammer scharf kritisiert.
Im April 2011 wurde der Münchner Strafverteidiger vom Landgericht Augsburg freigesprochen.
Kürzlich habe ich die Haftentlassung eines Mandanten erreicht - das hätten nur ganz wenige geschafft.
Vor Jahren wurden Sie wegen Strafvereitelung von der Augsburger Staatsanwaltschaft angeklagt. Im April 2011 wurden Sie vom Landgericht Augsburg freigesprochen. Vertreter Ihrer Berufsgruppe kritisierten, man wolle einen als lästig empfundenen Strafverteidiger disziplinieren. Sind Sie lästig? Oder kann sich die Medienpräsenz eines „Paradiesvogels“ negativ auswirken?
Ich wurde schon einmal als Dieter Bohlen des Strafrechts bezeichnet. Auch wenn diese Formulierung salopp gemeint war - sie trifft den Kern überhaupt nicht. Leider gibt es viele Kollegen, die nicht verinnerlicht haben, was ihre Aufgabe in einem Strafprozess ist: eben der bedingungslose Einsatz für die Rechte der Mandanten. Ihnen ein faires Verfahren zu ermöglichen. Ich habe Respekt vor Gerichten, aber keine falsch verstandene Ehrfurcht. Richter sollten nach dem ,warum’ fragen, wenn sie mich als lästig empfinden. Aber ich höre auch vom Richtertisch: „Der Lucas ist ein Kämpfer.“