Arnsberg/Winterberg. . Zweiter Verhandlungstag im Prozess gegen eine Mutter aus dem Raum Winterberg. Der damalige Leiter der Hüstener Kinderklinik erinnert sich.

Vor dem Landgericht Arnsberg hat der zweite Verhandlungstag gegen eine zehnfache Mutter begonnen. Der 40-Jährigen wird vorgeworfen, zwei ihrer Kinder nicht ausreichend mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt zu haben. Ein zweijähriger Junge starb, seine neun Monate alte Schwester überlebte nach Behandlung im Krankenhaus. Der Frau wird Körperverletzung mit Todesfolge bzw. vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen.

In einem desolaten Zustand

Erschreckende Details über den schlechten Gesundheitszustand der Kinder machte der damalige Leiter der Kinderklinik am Hüstener Karolinenhospital, Dr. Martin Rey. Er ist seit 1982 Kinderarzt und sagte, er habe noch nie ein derart unterernährtes Kind gesehen. "Der Junge war völlig ausgemergelt und in einem desolaten und schlechten Pflegezustand. Er war komatös, hat beim Anlegen der Infusion keine Abwehrreaktionen gezeigt, was bei einem Kind völlig normal wäre." Der Junge wog 6550 Gramm, 10,5 Kilo wären ein altersgemäßes Gewicht gewesen. Der Natriumgehalt im Blut sei extrem hoch gewesen, was für eine Austrocknung spräche. Das Gehirn sei später nicht mehr durchblutet worden, so dass das Kind ein Hirnödem bekommen habe. "Hätte man den Jungen einen Tag vorher gesehen und hätte er eine Tag vorher noch etwas getrunken, hätte man das Rad vielleicht noch umdrehen können."

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Staatsanwalt Klaus Neulken: "Im Gegensatz zu dem Prozess in Medebach hat die Angeklagte jetzt gesagt, die Kinder hätten in den letzten Tagen vor dem Vorfall keinen akuten Brechdurchfall gehabt. Wie lassen sich Austrocknung und Mangelernährung dann erklären?" Dr. Rey: "Bei einem Kind, das keine Magen-Darmerkrankung hatte, kann ich mir den Zustand nicht erklären." Der Junge sei schon über einen längeren Zeitraum in einer schlechten Grundkonstitution gewesen und habe generell wenig Energie gehabt. Dr. Rey: „Wenn sich die Schwester des verstorbenen Kindes inzwischen ganz normal weiter entwickelt hat, dann stehe ich dazu, dass dem Jungen zu wenig Nahrung angeboten wurde.“ Die Unbalance der Salze in seinem Körper habe zum Tod geführt.

Auch Schwester war unterernährt

Etwas besser sah der Zustand der kleinen Schwester bei der Einlieferung ins Krankenhaus aus; er sei nicht lebensbedrohlich, aber auch sie sei unterernährt gewesen. Dieser Zustand hätte sich aber vermutlich in den nächsten zwei Tagen gravierend verschlechtert, so Dr. Rey. Der schlechte Allgemeinzustand habe auch hier schon über längere Zeit bestanden. Das neunmonatige alte Mädchen wog nur 4,6 statt normaler 7,2 Kilo, was altersgemäß gewesen wäre. "Ich habe das Kind eineinhalb Jahre später noch einmal gesehen. Es hat sich unterdessen völlig normal und gut entwickelt." Eine Stoffwechselerkrankung schloss der Kinderarzt aus.

Anwalt Stephan Lucas

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    Verteidiger Stephan Lucas versuchte zu klären, ob ein Kind Nahrung oder Flüssigkeit trotz des Angebotes verweigern könne, ob ein Kind einfach nicht zunehme, weil es vielleicht immer nur kleine Mengen zu sich nehme. Und man dürfe nicht vergessen: "Wir haben hier andere Umstände. Wir sprechen von einer Mutter, die parallel noch acht weitere Kinder versorgen musste." Es komme bei Kindern generell oft vor, dass sie bei den Großeltern Dinge essen, die sie bei der Mutter nicht anrührten. Daraus zu schließen, dass den Kindern nichts angeboten worden sei, sei spekulativ. Das Gewicht beim Aufenthalt im Krankenhaus sage außerdem nichts über die Gewichtsentwicklung im Laufe der Zeit aus.

    Verteidiger warnt vor Vorverurteilung

    Lucas plädierte dafür, sich ein Bild von der Situation einer Mutter mit so vielen Kindern zu machen und warnte vor einer Vorverurteilung. Der Zustand der Kinder sei unstrittig. Aber er wehre sich dagegen, der Frau eine Absicht zu unterstellen. "Es ist sehr leicht, als Außenstehender zu sagen, man hätte das Kind zwingen müssen, etwas zu essen. Das gelingt selbst Müttern mit einem Kind nicht." Außerdem kritisierte der Verteidiger die bisherigen Aussagen der Polizeibeamten: Hier würden oft Schlüsse gezogen, die eine negative Stimmung gegen seine Mandantin erzeugten, statt sachlich über Fakten zu berichten.