Brilon. . Fall des verhungerten Zweijährigen: Vater als Angeklagter in Brilon. Mutter zeigt ihn u.a. wegen Vergewaltigung an. Verhandlung ausgesetzt.

  • Fall des verhungerten Zweijährigen im Raum Winterberg: Vater der neun Kinder als Angeklagter in Brilon
  • Mutter, ab September u.a. wegen fahrlässiger Tötung unter bedingtem Vorsatz angeklagt, zeigte ihn an
  • Prozess wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung muss wegen des anderen Verfahrens ausgesetzt werden

Ein Prozess wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung gegen einen 50-Jährigen aus Bremen vor dem Schöffengericht Brilon musste ám 6. Juli 2017 ausgesetzt werden. Denn: Das mutmaßliche Opfer ist die Mutter von neun Kindern, die ab September wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung unter bedingtem Vorsatz vor dem Arnsberger Schwurgericht angeklagt ist. Eines ihrer Kinder war im Februar 2014 an Mangelernährung gestorben. Der jetzt Beschuldigte ist der Vater des Jungen und weiterer acht Kinder. Den Vorwürfen gegen ihn soll erst nachgegangen werden, wenn das Verfahren in Arnsberg rechtskräftig abgeschlossen ist, das kann eineinhalb Jahre dauern.

Zwar war die 39-Jährige als Zeugin geladen, aber nahezu alles, was sie ausgesagt hätte, wäre auch für ihre Verhandlung wichtig gewesen, so dass sie wohl von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte. „Ich weiß nicht, wie ich zu einer vernünftigen Einschätzung kommen soll“, zeigte Richter Schwens Bedauern. Er weiß, der 50-Jährige hätte gerne die Vorwürfe gegen ihn zu Ende verhandelt. Der sagt: „Ich habe Krebs und muss das abschließen, sonst bringt es mich um. Ich hoffe, dass sie, wenn sie hier aussagt, einen Fehler begeht.“

Nur kurze Momente der Nähe

Zuvor hatte er eine Beziehung geschildert, in der es nur beim Geschlechtsverkehr kurze Momente der Nähe mit seiner Partnerin, die seine „große Liebe“ war, für ihn gab: „Und danach war sie schwanger.“ Im Oktober 2013 soll es dann zur sexuellen Nötigung und Vergewaltigung gekommen sein. Er könne sich nur eine Situation vorstellen, als er von Schulden bei Versorgungsunternehmen erfahren habe, die seine Lebensgefährtin ihm in Sachsen hinterlassen habe. Sie habe ihn nach Sachsen fahren lassen, wohl wissend, dass dort Schuldenberge warteten. „Daran musste ich in dem Moment denken, als wir uns entkleidet haben. Ich konnte nicht. Da habe ich gesagt, Du hast mich gef..., dann müsste ich Dich jetzt eigentlich auch f....“. Dann sei er aber nur raus, habe in der Nacht auf der Couch geschlafen. „Daraus muss sie sich was zusammengebastelt haben.“

2014 das letzte Mal Familie besucht

Danach und beim letzten Besuch im Haus im Raum Winterberg hätten sie aber noch Geschlechtsverkehr gehabt. „Das war über Weihnachten 2013. Da habe ich auch bemerkt, dass sie sich um die Kinder nicht mehr richtig kümmert. Das Bett der Kleinen war nass, die Matratze klitschnass. Ich habe sie gewickelt und gefüttert.“

Anfang Januar 2014 war er zuletzt bei seiner Familie, er reiste zurück zu Umschulung. „Meine Lebensgefährtin brach den Kontakt ab. Wenn ich sie am Telefon hatte, war immer irgendetwas, so dass sie schnell auflegen musste.“

Zeuge im Schwurgerichts-Prozess?

Bleibt die Frage, warum der 50-Jährige nicht im ersten Verfahren gegen seine Lebensgefährtin vor dem Amtsgericht Medebach als Zeuge geladen war? „Die Zeugin war nach eigenen Aussagen zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr mit dem Mann zusammen, darum hatte er so gesehen mit der Tat nichts zu tun“, sagt der zuständige Staatsanwalt Klaus Neulken. Der Mann behauptet, er sei noch bis März 2014 mit seiner Lebensgefährtin zusammengewesen. „Das ist mir neu“, so Neulken.

Oberstaatsanwältin Ruland, die im jetzigen Schöffengerichts-Verfahren zuständig war, will einen Vermerk für den Schwurgerichts-Prozess im September machen. Dann könnte der Mann auch dort als Zeuge geladen werden.

Viele Fragen bleiben offen, auf die ab dem 6. September in Arnsberg Antworten gefunden werden müssen. Aussagen des Mannes beleuchteten zumindest die Familiensituation näher. Dass sein Sohn gestorben war, davon der Mann erfuhr er erst fünf Tage später am Telefon - von seiner Lebensgefährtin. Das berichtet er im Verfahren gegen ihn gestern am Schöffengericht Brilon unter Tränen. Und er fragt, ob seine kleine Tochter, die ebenfalls im kritischen Zustand war, noch lebe.

Warum kümmerte sich der Vater nicht mehr?

Ja, sie lebt - in einer Pflegefamilie. Und es geht ihr wieder gut. Die Frage bleibt, warum ihr Vater nicht mehr nach ihr, dem Jungen und den anderen Kindern geschaut hat. Im Januar 2014 war er zurück in den Osten gereist, wo er eine Umschulung hatte: „Zur Familie zu fahren, dafür hatte ich kein Geld.“ Und die Lebensgefährtin habe den Kontakt abgebrochen. Nach dem Tod des Kindes habe er sich freiwillig in die Psychiatrie begeben, „weil ich es allein nicht schaffte, damit klar zu kommen“. Allerdings habe er sich auch immer mehr von den Kindern zurückgezogen, als die Beziehung nicht funktionierte. „Der Alltag war Horror pur.“ Zu dem er beitrug, indem er für seine Lebensgefährtin, wie er sagt, die Kinder „züchtigte“: „Nicht häufig, aber es ist vorgekommen.“ Er selbst sei in seiner Kindheit geschlagen worden, berichtete er unter Tränen.

Angeblich viel Aufmkersamkeit für den ersten Sohn

Der erste Sohn sei „ihr großer Traum gewesen“, an diesen Aufmerksamkeitsstatus der Mutter seien die acht folgenden Kinder nicht herangekommen. Um die letzten beiden habe sie sich gar nicht mehr richtig gekümmert, so der 50-Jährige. Warum nicht er? Irgendwann habe er sich rausgenommen: „Ich habe mich die ganze Zeit hinterm PC versteckt.“ Zuvor habe er aber oft mit den Kindern gespielt, es sei „eigentlich harmonisch“ gewesen. Dennoch begrüßte er, dass das Jugendamt im Vogtland einen Familienhelfer ins Haus schicken wollte. „Das habe ich mir gewünscht.“

Umzug, kurz nachdem Familienhelfer beauftragt war

Warum zog aber die Familie ausgerechnet in dem Moment vom Vogtlandkreis/Sachsen in den 700 Kilometer entfernte Raum Winterberg, als die Familienhilfe Fahrt aufnahm? „Die Heizung im Haus hat nicht funktionier“, sagt der Mann. Nein, die Frau habe sich damals nicht von ihm getrennt, er habe mit im neuen Mietvertrag gestanden: „Wir haben Zukunftspläne besprochen.“ Alle zwei Wochen habe er die Familie besucht. Er habe sich in Sachsen ein kleines Zimmer genommen, um seine Umschulung zu beenden. 15 Jahre lang habe er dafür gekämpft, sie zu bekommen, um die „Familie voranzubringen“.

Beziehung ging über fast 15 Jahre

15 Jahre lang sei er fast durchgehend zu Hause gewesen, habe kaum Geld zur Verfügung gehabt, keinen Führerschein machen können, sich ausgebremst gefühlt, sagt der Bremer: „Wenn einer mal tanzen gegangen ist, dann sie.“ Er habe auch nur Aufmerksamkeit bekommen, wenn er sich um die Kinder gekümmert und seine Frau entlastet hätte. Bei den letzten beiden Schwangerschaften sei die Partnerschaft doch sehr beeinträchtigt gewesen. Er habe sich wie ein Zuchtbulle gefühlt, mehr nicht. „Ich bin vor den Kindern vor ihr auf die Knie gefallen, sie solle doch wieder Nähe und Zärtlichkeit zulassen.“

Lebensgefährte: „Sie ist in ihrer Denkweise dominant“

„Sie wirkt äußerlich von ihren Gesten her nicht dominant, aber sie ist manipulativ und in ihrer Denkweise sehr dominant“, sagt er über seine ehemals „große Liebe“. Er hofft, im September vorm Schwurgericht noch mal aussagen zu können

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