Bigge. . WP-Redakteurin Jutta Klute hat versucht, im Rollstuhl mit Bus und Bahn von Olsberg nach Winterberg zu kommen – vergeblich. Ein Protokoll.

  • Selbstversuch: Wie schwierig ist es zu zweit mit dem Rollstuhl von Olsberg nach Winterberg zu kommen?
  • An diesem Tag unmöglich, da der Zu nicht barrierefrei war und der Bus nur einen Rollstuhlfahrer mitnimmt
  • Viele Rollstuhlfahrer haben mit diesen Problemen jeden Tag zu kämpfen

Mit dem Zug von Bigge aus zum Einkaufsbummel nach Winterberg, ein Eis essen – für Menschen ohne Handicap kein Problem, für Rollstuhlfahrer mitunter schon. Das zeigt ein Selbstversuch gemeinsam mit E-Rolli-Fahrerin Kirstin Potthoff und Jürgen Mies, der als Mobilitätstrainer im Josefsheim in Bigge tätig ist. Soviel vorweg: Aus Bigge raus gekommen ist die Dreier-Gruppe an diesem Nachmittag nicht.

13.30 Uhr Treffen mit Jürgen Mies und Kirstin Potthoff vor dem Eingang des Josefsheims. Der Mobilitätstrainer gibt eine kurze Einweisung in die Handhabung des Rollstuhls, der (leider) nicht elektrisch fährt, sondern per Hand angetrieben wird. Der Fachmann erklärt: Immer auf den „Pistolengriff“ achten, damit die Finger nicht in die Speichen geraten. Vorwärts, rückwärts, vorwärts. Das muss zur Einführung reichen.

Es rollt sich ganz gut ein

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cof © Laura Baer

13.35 Uhr: Feststellbremsen lösen. Los geht`s. Erstmal bergab, doch das Gefälle vom Josefsheim zur Hauptstraße ist mit sechs Prozent nicht ohne. Jürgen Mies räumt ein: „Wir starten ungünstigerweise mit Schwierigkeitsgrad fünf. Aber ich bin hinter Ihnen. Es kann also normalerweise nichts passieren. Ansonsten (er weist mit dem Kopf Richtung Krankenhaus) ist ja gleich nebenan die Klinik.“ Sehr beruhigend. Tatsächlich: Es rollt sich ganz gut – zumindest bis zur ersten kleinen Hürde: Bordsteinkanten, die hier zum Glück nicht allzu hoch sind. Ruckeln, zweiter Anlauf, nochmal ruckeln – hoffentlich kippt der Rolli nicht. Geschafft!

Erste Hürde: Der Fahrkartenautomat

13.38 Uhr: Anhalten an der Ampel. Wenn man auf die vorgegebene Rollstuhlfläche fährt, wird die Ampel grün. Das ist wichtig für Menschen, die auch in der Mobilität ihrer Arme eingeschränkt sind. Grün: Schnell los, acht Sekunden sind kurz – zu kurz. Schon auf der Straßenmitte zeigt die Ampel Rot. Auch Kirstin mit ihrem E-Rollstuhl ist nicht schnell genug. „Zügig weiterfahren, nicht anhalten“, mahnt Jürgen Mies. Und jetzt: Zum Fahrkartenautomat. Der Blick in den Bahnhof zeigt: Der ist leider auf der gegenüberliegenden Gleisseite.

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Das heißt: Über den Gehweg ganz außen herum sind das mehrere hundert Meter Weg. Die Zeit wird knapp. Der Zug fährt um 13.58 Uhr los. Das heißt: Ordentlich ins Rad greifen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Abbiegen in die Stadionstraße, Bahngleise überqueren - das klappt problemlos, aber so langsam wird die Sache doch recht sportlich-anstrengend. Die Sonne knallt vom Himmel. Puh, erste Schweißtropfen auf Stirn und Nacken. Wenn`s heute bloß nicht so warm wäre. Auch die Finger laufen beim ins Rad greifen langsam aber sicher heiß. Der Weg zum roten Fahrkartenautomat zieht sich und irgendwie hat der Rolli ständig einen Rechtsdrall.

Eines ist klar: Das gibt Muskelkater in den Armen

13.45 Uhr: Fahrschein kaufen. Das Geld ist in der Tasche, die hinten am Rollstuhl baumelt. Gar nicht so einfach, da jetzt in aller Eile dran zu kommen. Die Sonne scheint grell – so grell, dass auf dem Automatendisplay nichts mehr zu erkennen ist, obwohl es für jemanden in Sitzposition sehr günstig in Augenhöhe ist. Gut, dass der Mobilitätstrainer zur Stelle ist. Sonst wäre der Ticketkauf schon an der Zieleingabe gescheitert. 7,50 Euro - da ist der Fahrschein. Jetzt aber ganz schnell zum Bahngleis. Erneut ist sportlicher Einsatz gefragt: Die Armmuskeln lassen grüßen. Das gibt einen schönen Muskelkater!

Mit dem Rollstuhl unterwegs - Stimmen

Jürgen Kröger, Werkstattrat

Ich hatte einen Termin in Münster.  Die Fahrt war bei der Bahn angemeldet und gut geplant. Doch leider war unser Zug morgens hier in Bigge nicht barrierefrei und wir mussten einen späteren nehmen. Alle folgenden Verbindungen mussten neu organisiert werden. Ohne Mobilitätstrainer hätte ich das nicht geschafft.

Silvia Gau, Bigge

Für mich ist es besonders schwierig, wenn unterwegs etwas nicht klappt, weil ich nicht so gut sprechen kann. Da wird es schwierig, selbst alles neu zu organisieren, wenn eine Verbindung nicht klappt.

 Aliyaa Saba, Bigge

Ich mache zurzeit ein Praktikum in Meschede und fahre jeden Tag mit dem Bus dorthin. Das habe ich mit dem Mobilitätstrainer geübt und fühle mich auf der Strecke sicher. Die meisten Busfahrer sind sehr hilfsbereit und nett. Problem ist, wenn man negative Erfahrungen macht, wird man unsicher und traut sich nicht mehr allein zu fahren.

Jens Niggemann, Bigge

Ich fahre sehr viel mit dem Zug und habe festgestellt, dass seit dem Fahrplanwechsel im Dezember   einige Züge barrierefrei sind, andere nicht. Für mich ist das sehr schwierig, weil man sich nicht darauf verlassen kann, dass die geplante Fahrt auch tatsächlich klappt.

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Der Zug fährt ein: Kann es jetzt losegehen?

13.58Uhr: Punktlandung. Der Zug ist zum Glück noch nicht da. Der Blick auf die Anschlag zeigt: Der Weg zum Fahrkartenautomaten auf der gegenüberliegenden Gleis-Seite wäre nicht nötig gewesen: Ausnahmsweise darf man für die Fahrt nach Winterberg die Fahrkarte auch im Zug selbst kaufen. Guter Hinweis – leider nicht so ganz günstig platziert. Den Weg hätten wir uns als getrost sparen können. Die elektronische Hinweistafel zeigt an: Der Zug Richtung Winterberg kommt mit ein paar Minuten Verspätung. Kurze Atempause also.

Stufen beim Einstieg: Ausgegrenzt, stehen gelassen

14.07 Uhr: Achtung, der Zug fährt ein. Die Türen geht auf. Fragender Blick: Stufen? Und jetzt? Jürgen Mies schüttelt bedauernd den Kopf: „Damit ist unser Ausflug schon hier beendet. Wir haben keine Möglichkeit, mit diesem Zug nach Winterberg zu fahren.“ Trotzdem versucht er, den Zugführer auf die Situation aufmerksam zu machen. Der steigt auch kurz aus, ruft: „Das geht mit diesem Zug nicht“. Steigt wieder ein. Fährt los. Drei Augenpaare blicken den Rücklichtern schweigend hinterher. Für Kirstin Potthoff und Jürgen Mies eine Situation, die sie schon öfter erlebt haben, für die Rolli-Testerin eine bitteres Erlebnis: Ausgegrenzt, stehen gelassen. Das war`s jetzt also mit dem Ausflug nach Winterberg?

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Zweiter Versucht: Mit dem Omnibus

14.15 Uhr: Vorschlag von Jürgen Mies: Vielleicht klappt`s ja mit dem Bus. Die Truppe rollt zur Bushaltestelle und schöpft neuen Mut. In ein paar Minuten kommt der S 50 Richtung Hallenberg. Der R75 aus Meschede fährt vor. Eine Rollstuhlfahrerin kommt heraus. Es ist Aliyaa Saba. Sie macht in einem Seniorenheim in Meschede ein Praktikum und fährt täglich mit dem Bus dorthin. Ihre Erfahrung: „Das klappt ganz gut. Ich bin zwar immer noch etwas unsicher und ängstlich, aber die meisten Busfahrer und Fahrgäste sind sehr hilfsbereit und nett. Bis jetzt hatte ich auf dieser Strecke noch keine größeren Probleme.“ Klingt Erfolg versprechend.

Es kann nur ein Rollstuhlfahrer mit

14.37Uhr: Der Bus nach Hallenberg kommt. Er fährt über Winterberg. Ob jetzt die gekaufte Fahrkarte zum Einsatz kommen kann? Leider nein, denn da gibt es ein Problem: Es kann nur ein Rollstuhlfahrer mit. Der Busfahrer ist sehr nett, sucht nach einer Lösung. Vielleicht könnte ja einer im nächsten Bus hinterherfahren? Da fährt doch gerade hinter seinem Bus in die Haltespur. Seine Route: Richtung Bruchhausen. Das hilft uns nicht wirklich weiter. Enttäuschung.

Selbstversuch im Rollstuhl

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    Ernüchterung: Es geht zurück zum Ausgangspunkt

    14.40 Uhr: Das war`s dann wohl – zurück zum Josefsheim. Der Kaffee dort aber muss erstmal hart erkämpft werden, denn so abschüssig wie die Hintour war, so steil ist natürlich jetzt der Rückweg. Die ersten Meter läuft es flott, obwohl die Arme bereits schmerzen. Immer langsamer geht` s voran. Der Rollstuhl eiert, fängt an zu kippeln. Noch nicht einmal auf halber Strecke geht gar nichts mehr. Mobilitätstrainer Jürgen Mies muss übernehmen. Er erzählt, dass viele Rollstuhlfahrer diesen Berg täglich mit Handantrieb meistern. Respekt: Was müssen die für unglaublich Muckis in den Armen haben?

    Viele Rollstuhlfahrer erleben so etwas täglich

    14.55 Uhr: Cafeteria Josefsheim. Kirstin Potthoff erzählt, dass sie schon diverse ähnliche Erlebnisse wie an diesem Nachmittag hatte. Die 40-Jährige lebt in einem eigenen Appartement im Josefsheim und arbeitet im Dienstleistungszentrum in der Verpackungsabteilung. Schon von Geburt an ist sie ab dem Bauchnabel querschnittsgelähmt. Gerne möchte sie sich mal mit Freunden zum Beispiel in Arnsberg im Café treffen oder mit einer Freundin ins Kino nach Winterberg fahren. Für Nichtbehinderte eine Selbstverständlichkeit, für Kirstin eine Aktion, die lange und gut geplant sein muss.

    Auch im Josefsheim sitzt man sehr schön und der Kaffee schmeckt wirklich gut, aber für Kirstin, die direkt um die Ecke wohnt, wäre die Eisdiele in Winterberg zur Abwechslung mal ein weitaus reizvolleres Ziel gewesen. Schade!

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