Brilon. . Thomas Riepe sind hunderte Wölfe in der Wildbahn begegnet. Im Interview spricht er über das Verhalten der Tiere und Gefahren für Menschen.

  • Tierpsychologe Thomas Riepe rät dazu Hunde bei einer Begegnung mit dem Wolf anzuleinen
  • Das schlechte Image, das Wölfe landläufig haben, sei unbegründet, sagt er
  • Dennoch: Den Tieren soll mit der notwendigen Art des Respekts entgegen getreten werden

Er ist in Anröchte mit Tieren aufgewachsen und lebt dort heute mit zwei Hunden. Seit 1990 reist der 1964 geborene Tierpsychologe Thomas Riepe rund um die Welt, um speziell das Verhalten von Hundeartigen zu erforschen. Darüber hat er bisher neun Sachbücher verfasst. Als Autor ist Riepe auch für die kynologische Fachpresse tätig und er ist als Referent unterwegs. Von 2011 bis 2015 war er Chefredakteur des Fachmagazins Canisund, das sich neben Haushunden auch mit den Wildhunden dieser Erde beschäftigte. Die Talkshow „Riepes Hundetalk“ (mit Thomas Riepe als Gastgeber) läuft seit 2012 beim TV-Sender NRWISION. Jetzt spricht er über den „Briloner Wolf“.

Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von der Wolfssichtung bei Brilon erfahren haben?
Thomas Riepe: Ich habe mich natürlich sehr gefreut. Andererseits würde ich mich auch freuen, wenn die Sichtung jeder heimischen Tierart, die bei uns selten ist, ein ähnliches mediales Echo hervorrufen würde.


Als ein Hauptargument pro Jagd wird das Fehlen natürlicher Feinde für Schalenwild und Co angeführt. Nun ist der Wolf als Beutegreifer zurück und die Jägerschaft scheint gespalten. Ist das auch Konkurrenzdenken?
Natürlich. Bei uns gibt es sehr viele Rehe. Das hat damit zu tun, dass Jäger die Rehbestände so managen, dass sie immer genug vor die Flinte bekommen. Zur Reduktion von Rehen reichen schon kalte Winter oder Trockenperioden, die das Nahrungsangebot der Rehe verschlechtern, das Immunsystem belasten. Dann werden weniger Rehe geboren, weil die Muttertiere schwächer sind. Rehbestände regulieren sich auch in unserer Kulturlandschaft allein. Wenn die Rehe im Winter allerdings gefüttert werden, gerät das System aus den Fugen. Auch wenn Jäger das Füttern mit Kirren umschreiben. Es gibt mehr Rehe und man kann mehr schießen. Wölfe sind dann Konkurrenten, die vom künstlich hochgepuschten Rehbestand den Jägern etwas wegnehmen.

Schlechter Ruf der Wölfe begann schon im Mittelalter

Rücksichtlos, grimmig, bösartig. In der Fabel werden dem Wolf viele Eigenschaften unterstellt. Doch auch im wirklichen Leben halten sich Vorstellungen hartnäckig, wie etwa die vom vermeintlichen „Alpha-Wolf“ und einer, notfalls brutal durchgesetzten, strikten Hierarchie innerhalb des Rudels. Wieso stecken diese längst überholten Annahmen so fest in den Köpfen?
Das hat viele Gründe, um die alle aufzuzählen, müssten wir mehrere Seiten füllen. Es hat auf jeden Fall etwas mit den Jägern, deren Einfluss auf die Gesellschaft und ihrem Konkurrenzdenken gegenüber dem Wolf zu tun. Zudem begann der schlechte Ruf der Wölfe wohl schon im Mittelalter, als es in Deutschland durch Überjagung so gut wie kein Wild mehr gab. Da wurden die Wölfe vermutlich zu direkten Nahrungskonkurrenten der armen Bevölkerung, die sich ihre Nahrung oftmals noch aus dem Wald holte. Und das Märchen der militärischen Sozialstruktur verdanken wir falschen Forschungsansätzen, wo an Wölfen in Gehegen geforscht wurde, deren Insassen sich unnatürlich zusammensetzten. Statt wie in der Natur, wo Wolfsrudel immer Familien sind, wurden dort nicht verwandte Individuen auf engstem Raum gehalten. Die dadurch entstandenen Konflikte und Rangeleien wurden als Rangordnungen falsch interpretiert und sitzen bis heute in den Köpfen der Menschen.

Sie sprechen von Forschern wie David Mech, der ja seine früheren Ergebnisse längst selber widerrufen hat. Unter den veralteten Vorstellungen von strikten Rangordnungen leiden ja auch heute noch viele Familienhunde. Wo wir gerade bei Hunden sind: Manche Halter haben Angst, ihre Tiere in „Wolfsgebieten“ frei laufen zu lassen.
Das waren diverse Forscher und Forschungen, die Wölfe in Gehegen beobachtet haben. Zum Beispiel auch Erik Zimen, einer der bekanntesten deutschen Forscher an Hundeartigen. Hunde sollten grundsätzlich immer gut abrufbar sein, wenn sie im Freilauf sind. Bei einer Wolfsbegegnung sollte ich meinen Hund anleinen. Denn obwohl der Wolf für den Menschen ungefährlich ist – Hunde können durchaus als Artgenossen und Reviereindringlinge vom Wolf als Feinde angesehen werden. Ist der Hund in der Nähe des Menschen, ist er sicher.

Gibt es so etwas wie Blutrausch bei Wölfen?

Reißt ein Wolf gleich mehrere Schafe auf einmal, liest man oft vermenschlichend von „Blutrausch“ und „Mordlust“. Dabei ist doch auch dieses als „Surplus Killing“ bezeichnete Verhalten bereits gut erforscht...
Ein Wolf weiß ja in der Natur nie, wann er wieder Beute machen kann. Darum reißt er, wenn er leichte Beute findet, die auch nicht fliehen kann, mehr als er im Moment braucht. Im Grunde ist das nichts weiter als eine Vorratswirtschaft. Wie Menschen das auch machen. Das hat nichts mit Blutrausch zu tun. Wenn wir den Wolf nüchtern und biologisch betrachten, verliert das Märchen von der blutrünstigen Bestie leicht den Boden.

1997 sind Sie während eines Aufenthalts in Kanada zum ersten Mal einem Wolf in freier Wildbahn begegnet. Sie sagen, dass das Ihre Liebe zu diesen Tieren noch vertieft habe. Was würden Sie Menschen raten, wenn sie einem Wolf begegnen?
Der Wolf war mein Schlüsselerlebnis, mich intensiv mit dieser Tierart zu beschäftigen. Wenn ich in Nordamerika bin und Wölfen begegne, bleibe ich ruhig und entspannt, versuche den Augenblick so lange wie möglich zu genießen, ohne den Wolf zu stören oder zu verscheuchen. So sollte man auch eine Wolfbegegnung in Deutschland gestalten. Falls man doch das Gefühl hat, der Wolf kommt mir zu nah, einfach laut brüllen, sich mit Hilfe der Arme größer machen. Dann wird der Wolf den Abstand vergrößern, auch wenn er nicht zwingend in Panik davon läuft.

„Wölfe sind wie unsere Hunde neugierig“

Stichwort „Problemwolf“. Wo sehen Sie Zündstoff?
Mir sind in meinem Leben mehrere hundert Wölfe in freier Wildbahn begegnet. Oft direkt und sehr nah – Auge in Auge sozusagen. Ich hatte dabei niemals auch nur den Hauch von Furcht. Wölfe sind, wenn sie gesund sind, keine Gefahr für Menschen. Der Mensch ist aus diversen Gründen schlicht keine Beute für ihn. Durch Anfütterung kann er den Menschen als Futterquelle ansehen, ihn selbst aber nicht als Beute. Trotzdem ist diese Nähe und aufdringliches nach Futter suchen nicht zu tolerieren. Darum sollten Menschen dem Wolf in keiner Weise die Gelegenheit bieten, ihn mit Futter in Verbindung zu bringen. Allerdings ist es kein Problem, wenn Wölfe tagsüber in der Nähe von Siedlungen gesichtet werden. Wölfe sind wie unsere Hunde neugierig und stoßen in unserer eng besiedelten Welt auch mal auf Menschen. Aber sie wollen uns nicht jagen. Sie laufen nicht immer in Panik davon, doch sie wollen uns auch nichts Böses.

Gedankenspiel: Wenn Sie dem gesichteten Wolf einen Rat geben könnten. Welcher wäre das?
Immer dran denken: Diese komischen, zweibeinigen Lebewesen sind hochgradig gefährlich. Zügel deine Neugier und mach einen großen Bogen um sie. Ein Gedanke zum Schluss?
Wir sollten unbegründeten Ängsten gegenüber der Natur mit seriösem Wissen und unserem Verstand begegnen.

Das Gespräch mit Thomas Riepe führte Felicitas Hendrichs.

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