Gernsdorf. Sie hat in 59 Länderspielen 147 Tore für Deutschland geworfen. Jetzt schlägt Handballprofi Johanna Stockschläder einen anderen Weg ein.
Als am 6. August die 23:26-Niederlage der deutschen Frauenhandball-Nationalmannschaft gegen Frankreich bei den Olympischen Spielen besiegelt war, flossen bei Johanna Stockschläder Tränen - nicht nur wegen des vorzeitigen Scheiterns, sondern weil der Gernsdorferin in diesen Minuten bewusst wurde: Das 59. Länderspiel wird mein letztes für Deutschland gewesen sein! Mit 29 Jahren ist ihre Karriere in der Nationalmannschaft, die am 17. April 2021 mit dem Spiel gegen Portugal begann, beendet.
Start in neuen Lebensabschnitt
Eine mögliche Rückkehr scheint ausgeschlossen, weil sich „Stocki“ komplett vom Profi-Handball zurückzieht. „Ich würde es aber eher als Pause bezeichnen.“ Denn ihr Fokus gilt inzwischen dem beruflichen Terrain: Stockschläder ist ab 1. November in der Kardiologie eines Dortmunder Klinikums als sogenannte Fallbegleiterin tätig: „Auf diese neue Aufgabe und Herausforderung freue ich mich sehr.“ In der Westfalen-Metropole hat sie inzwischen eine Wohnung bezogen, richtet sie in diesen Wochen ein. Es ist der Start in einen neuen Lebensabschnitt.
Der Handballsport war mehr als zwei Jahrzehnte ein fester Bestandteil ihres Lebens, beginnend als blutjunges Talent bei der TSG Adler Dielfen, den TVE Netphen und Bayer Leverkusen. 2013 schloss sich die Siegerländerin dem Zweitligisten HSG Bad Wildungen an, schaffte es mit den Hessinnen erstmals in die 1. Bundesliga. 2017 folgte der Wechsel zu Borussia Dortmund. Mit dem BVB gewann sie 2021 die Deutsche Meisterschaft, verließ den Verein aber Richtung Sport-Union Neckarsulm. Nach einer Saison im Süden der Republik schloss sich Stockschläder 2022 dem Spitzenverein Thüringer HC an, spielte für die Erfurter auch international auf hohem Niveau.
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Deshalb war es durchaus überraschend, als Verein und Spielerin im Frühjahr ihre Trennung zum Ende der Saison 2023/2024 bekanntgaben. Und jetzt? Nun, als Stammspielerin in der Nationalmannschaft begann nach geschaffter Qualifikation die intensive Vorbereitung auf die Olympischen Spiele, ihre ersten Spiele. „Sie waren großartig. Diese Erlebnisse werde ich nie vergessen.“ In den Tagen von Paris und Lille drängte sie die Gedanken an ein neues Vereinsengagement in den Hintergrund, um sich auf die Spiele zu konzentrieren. Ein für sie passendes Angebot, ob aus dem In- oder Ausland, flatterte aber nicht auf den Tisch. „Nervös gemacht hat mich das aber nicht, weil ich ja um mein berufliches Standbein wusste.“
„Ich musste abwägen und habe mich für den Job entschieden. In meinem Kopf hat alles dafür gesprochen.“
Stockschläder bewarb sich auf die freie Stelle im Dortmunder Krankenhaus, wartete das Bewerbungsgespräch ab und unterschrieb wenig später den Arbeitsvertrag, weil sich in Sachen Handballofferten nichts bewegt hatte. „Ich musste abwägen und habe mich für den Job entschieden. In meinem Kopf hat alles dafür gesprochen, es ist eine Entscheidung der Vernunft.“ Damit hat die 29-Jährige auch deshalb ein „gutes Gefühl“, weil die Familie („ich bin ein Familienmensch“) hinter ihr steht. Und auch von Nationalmannschafts-Kolleginnen gab es positiven Zuspruch.
Vorbei ist also die jahrelange Terminhatz im Profihandball, in einem Sport, „in dem du viel Druck hast, aber keine Millionen verdienen kannst.“ Sie habe im Verlauf ihrer Karriere zwar einiges erlebt, viele interessante Menschen und spannende Länder kennengelernt, aber auch Entbehrungen hinnehmen müssen.
Aber ein Leben gänzlich ohne ihren Lieblingssport? Geht das? Will sie das wirklich? „Ich werde mir das offen halten und schauen, was sich ergibt. Vielleicht ja in der 2. oder 3. Liga“, lässt sich Johanna Stockschläder, die im Februar ihren „runden“ Geburtstag feiert, eine Hintertür offen, ohne das dahinter ein „Muss“ steht. Der Nationalmannschafts-Zug ist für sie aber endgültig abgefahren.