Raumland. Medhanie Teweldebrhan findet beim VfL Bad Berleburg nicht nur sportlich eine neue Heimat. Für sein Leben in Wittgenstein ist der Eritreer dankbar
Der Ständer klemmt, die Nadeln pieksen, die Lichterkette hängt zunächst unschön. Das Aufstellen des ersten eigenen Weihnachtsbaumes stellt Medhanie Teweldebrhan vor eine Herausforderung. Am Ende steht die Fichte aber, wie sie soll. Und darüber ist der 20-Jährige froh.
Weihnachten, das Fest der Geburt Christi, ist ihm wichtig. Ikonenbilder und ein Kreuz prägen seine kleine Wohnung in Raumland, wo er an den Feiertagen die Kirche besuchen wird, obwohl er eigentlich orthodoxer Christ ist. „Welche Kirche es ist, ist doch egal. Es geht immer um Gott. Ich danke ihm jeden Tag“, sagt Teweldebrhan mit Verweis auf seine Flucht nach Deutschland: „Ich habe dabei viel Glück gehabt.“
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2016 verließ er sein Heimatland wegen des sogenannten Nationaldienstes, der in Eritrea einer Versklavung durch das omnipräsente Militär nahekommt. „Ich wollte weg von dieser Politik, wollte nicht zum Militär“, begründet das Langstreckenlauf-Ass des VfL Bad Berleburg, das mit Waffen nichts am Hut haben will und froh ist, nun einen „normalen“ Beruf als Elektriker zu lernen.
Durch die Wüste
Seinen Weg von Ostafrika nach Deutschland als beschwerlich zu bezeichnen, wäre eine Beschönigung. Über den Sudan, Tschad und Lybien ging es monatelang durch die die Hitze der Sahara, auf einem Schlauchboot über das Mittelmeer nach Italien. Viel Gewalt und viel Elend hat er dabei gesehen. „Irgendwann schreibe ich das vielleicht mal auf“, sagt Teweldebrhan, den immer noch beschäftigt, dass nicht alle Mitstreiter Europa und damit ein besseres Leben erreicht haben.
Für ihn sind die ersten Schritte dahin getan. Durch die Schweiz ging es weiter bis Köln, ehe die Odyssee in Bad Berleburg endete. In seinem Betrieb ist der Läufer inzwischen im zweiten Lehrjahr. Mit der Arbeit an sich komme er gut zurecht. Vor den anstehenden Prüfungen ist seine größte Sorge nicht das fachliche, sondern das Verstehen der mitunter sperrig formulierten Fragen.
Michael Boer stellt den Kontakt zum VfL Bad Berleburg her
„Die Sprache in Eritrea, Tigrinisch, hat 36 Buchstaben, eine ganz andere Schrift und keine Umlaute“, sagt Teweldebrhan: „Das ist schon schwierig für uns.“ Mit ein bisschen Hilfe und Übung klappt normale Kommunikation aber gut. An die Wand hat sich der Eritreer den Satz gepinnt: „Kleine Schritte sind besser als keine Schritte.“
Beim Lernen sind seine über den Sport gewonnenen Kontakte Gold wert. 2017 wollte Teweldebrhan die Jugendhilfe, die ihn damals sehr unterstützte, beim Wittgensteiner Firmenlauf repräsentieren und drehte beim Training einige Runden am Stöppel.
„Michael hat mich dabei gesehen und mich dann angesprochen“, erzählt der Eritrer, wie er über Michael Boer, den Trainer der Laufgruppe beim VfL Bad Berleburg, den Weg in den Verein fand.
Seine Einschätzung, dass sein neuer Schützling viel Talent mitbringt, sah Boer im ersten Training bestätigt, als Teweldebrhan zur Probe 1000 Meter lief und gleich unter drei Minuten blieb. Den ersten Wettkampf, den (dünn besetzten) Feudinger Volkslauf gewann Teweldebrhan trotz seines recht unorthodoxen Laufstils. „Bei der Koordination ist allerdings noch ganz viel Luft nach oben“, stellte Boer damals fest.
Das „ganz“ würde er nun, zwei Jahre später, zwar nicht mehr unterstreichen. Wenn er mit seinem Schützling spricht, ist die Lauftechnik aber weiterhin Thema: „Die Armarbeit muss besser werden, mehr im Rhythmus, mehr in Laufrichtung ablaufen. Und der Oberkörper rotiert zu stark.“
Unorthodoxer Laufstil
Ansonsten ist er mit der Entwicklung glücklich. Vier oder fünf Laufeinheiten pro Woche haben für eine erhebliche Verbesserung in puncto Selbsteinschätzung, Renneinteilung und natürlich bei der Grundlagenausdauer gesorgt, was sich in Zeiten und Resultaten niederschlägt.
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Zehn Volksläufe hat Medhanie 2019 gewonnen, beim Halbmarathon in Dodenau gelang in 1:14:00 Stunden ein Streckenrekord. „So eine Zeit, das ist schon was“, weiß Boer, der froh ist, Teweldebrhan in seiner Gruppe zu haben, der bei unserem Trainingsbesuch an einem verregneten Dezemberabend alleine „kreiselt“.
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„Wir haben Viele, die kommen mal und dann kommen sie wieder nicht. Aber er will was, er hat Ehrgeiz. Das ist viel wert in diesem Sport“, sagt Boer, der die Betreuung gerne übernimmt: „Medhanie ist einfach ein ruhiger, lieber Kerl.“
Für Teweldebrhan ist der Trainer auch in außersportlichen Fragen eine seiner wichtigsten Bezugspersonen, ansonsten hat er vor allem mit Arbeitskollegen und anderen Läufern. Mit Jan-Marten Dickel, Till Hartmann oder Dominik Weise von der LG Wittgenstein trifft er sich für Läufe im Wald. Bei Wettkämpfen lernt er immer wieder Menschen aus seinem Heimatland kennen, die ein ähnliches Schicksal teilen.
Schwieriger Kontakt zur Familie
Sich über die Vergangenheit und über aktuelle Entwicklungen mit ihnen austauschen zu können, ist wichtig. Dass eine Tante von ihm in Siegen lebt ist zwar ein Glücksfall, doch weder seine acht Geschwister noch seine Eltern, die als Bauern in Eritrea arbeiten, wird er in absehbarer Zeit sehen können.
Telefonate sind nur sporadisch möglich. Fotos oder Videos via Internet auszutauschen, ist nicht möglich. Er hofft, seine Liebsten in Zukunft zumindest aus der Ferne unterstützen zu können. Teweldebrhan stellt fest: „Die Läufer sind jetzt erstmal meine Familie.“