Feudingen/Wiehl. . Ingo Kuhli-Lauenstein ist einer der besten Deutschen im Para-Eishockey und trainiert den Nachwuchs. Er erklärt den besonderen Wert seines Sports.

Der Pokal für den Gewinn der Bundesliga-Topscorer-Wertung ist auch zehn Tage nach dem letzten Spieltag noch mit der Post unterwegs. Ungeduldig ist Ingo Kuhli-Lauenstein, frischgebackener Deutscher Meister im Para-Eishockey, aber nicht. „Ich freue mich natürlich darüber das geschafft zu haben, fühle mich jetzt aber nicht wie Cristiano Ronaldo“, lacht der Feudinger. Er begründet: „Es ist ja auch eine Teamleistung. Und die Liga ist leider recht schwach.“

Ingo Kuhli-Lauenstein beim Sledge-Eishockey. Training im Lentpark in Köln
Ingo Kuhli-Lauenstein beim Sledge-Eishockey. Training im Lentpark in Köln © Florian Runte

Ein klassischer Fall von Understatement? Eher nicht. Gerade einmal vier Mannschaften umfasst die Bundesliga im Sledge-Eishockey, die zugleich die einzige deutsche Liga in dieser Behinderten-Sportart ist – so kann weder von Leistungsdichte noch von einer Leistungspyramide die Rede sein. Immerhin: Nach dem Titelgewinn mit der SG NRW im Vorjahr verteidigte Ingo Kuhli-Lauenstein in diesem Jahr den Titel mit dem TuS Wiehl. Mehr geht nicht, zumal der 26-Jährige von 74 Toren seines Teams 20 erzielte und 21 vorbereitete. Der in der Liga für ihn verwendete Spitzname „Cooli“ kommt angesichts dieser Zahlen nicht von ungefähr.

Kuhli-Lauenstein hat Vergleichsmöglichkeiten, da er seit dieser Saison parallel mit dem HC Litvinov in der tschechischen Liga spielt. Dort ist sein Team nicht Erster, sondern Letzter.

„In Tschechien gibt es in jedem Kuhkaff eine Eisfläche. In der Liga spielen zwar auch nur sieben Teams, aber es ist die prestigeträchtigste in Europa. Die zahlen mir sogar Anreise und Übernachtung“, sagt der Wittgensteiner, der sich wünscht, dass Deutschland etwas aufholt.

In Wiehl bei Gummersbach, wo er Maschinenbau studiert, leitet er mit seinem Teamkollegen Marc Müller mittlerweile eine Kinder- und Jugendgruppe, kümmert sich um die Leihausrüstung, streitet um Hallenzeiten. Auch bei einem Nachwuchs-Wettkampf in Malmö war er bereits als Betreuer dabei.

Traum von den Paralympics

„Ich will, dass wir in Deutschland mehr Nachwuchs für unseren Sport haben“, nennt Kuhli-Lauenstein auch ein gewisses Eigeninteresse als Motivation. Ein Lebenstraum von ihm ist, einmal bei den Paralympics für Deutschland zu spielen, das dafür aber zu den vier besten europäischen Nationen zählen muss – die Qualifikation für Pyeongchang 2018 ging in die Hose.

Ingo Kuhli-Lauenstein beim Sledge-Eishockey. Training im Lentpark in Köln
Ingo Kuhli-Lauenstein beim Sledge-Eishockey. Training im Lentpark in Köln © Florian Runte

„Ich will auch, dass andere mit Selbstbewusstsein durchs Leben gehen können, so wie ich es kann“, nennt er einen noch wichtigeren Grund für Engagement für den Nachwuchs.

Kuhli-Lauenstein hat eine angeborene Fehlbildung, den sogenannten FFU-Komplex. Ihm fehlt ein Teil seines teilamputierten rechten Beines, dazu beide Kreuzbänder. „Ich bin so groß geworden und es hat nie eine große Rolle gespielt bei meinen Eltern oder Mitschülern. Und ich wollte trotzdem spielen und mich mit anderen messen.“ Es gibt aber auch andere Fälle. Solche, in denen das Umfeld von Kindern, die eine Prothese nutzen, bestimmte Dinge nicht für zumutbar hält.

Die Para-Eishockeyspieler bezeichnen ihr Spiel als „besten Sport der Welt“. Dies gelte insbesondere, wenn es darum gehe, ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen – nicht nur, weil man beim Herumgeschiebe auf dem Eis zwangsläufig eine Menge Muskeln aufbaut. „Man wird dort nicht in Watte gepackt. Es wird hart und mit Körperkontakt gespielt, der Umgangston kann ziemlich rau sein. Vor allem glaube ich, dass es für viele Kinder einfach cool ist, wenn sie mal ein anderes Sportgerät als den Rollstuhl nutzen können. Die in unserer Gruppe kommen jedenfalls sehr gerne.“ Auch sei es schön, keine Prothese nutzen zu müssen. „Man kann sein komplettes Potenzial mit dem Oberkörper ausschöpfen.“

Frustrationstoleranz notwendig

Ingo Kuhli-Lauenstein beim Sledge-Eishockey. Training im Lentpark in Köln
Ingo Kuhli-Lauenstein beim Sledge-Eishockey. Training im Lentpark in Köln © Florian Runte

Gründe für die fehlende Breite im deutschen Para-Eishockey gibt es viele. Ein Hindernis ist, dass der Sport schwierig zu erlernen ist. Die Kufen unter einem Schlitten liegen nur etwa zwei Zentimeter auseinander, weshalb es viel Gefühl und Rumpfspannung braucht, um nicht umzukippen – und eine gewisse Frustrationstoleranz beim Üben. Dazu kommen die wenigen Eisflächen und hohe Kosten, aber auch ein schlechtes Image. Ingo erklärt: „Leider sind die am meisten geklickten Videos bei Youtube die mit den üblen Raufereien. Da spannen dann einige Eltern den Schirm auf.“

Dennoch tut sich im deutschen Para-Eishockey etwas, nicht nur in Wiehl. In Iserlohn hat sich ein Team gegründet, auch Freiburg will kommenden Winter an den Start gehen. Ein Teamkollege von Kuhli-Lauenstein baut etwas in Düsseldorf auf.

Berlin stellt bereits ein Team und bewirbt sich als Ausrichterstadt für die Weltmeisterschaft im Para-Eishockey, dem Publikumsliebling bei allen Paralympischen Winterspielen. Genutzt werden soll die Eishalle am Glockenturm beim Olympiastadion. Die Chancen stehen gut, zuletzt rührte auch Eiskunstlauf-Star Katarina Witt die Werbetrommel. „Ich hoffe, dass es klappt, damit unser Sport mehr Reichweite bekommt“, sagt Kuhli-Lauenstein.

Länderspiel sausen gelassen

Normalerweise wäre der 26-Jährige gestern beim Länderspiel gegen die Slowakei auf dem Eis gewesen, dem ersten seit zwei Jahren. Kuhli-Lauenstein musste schweren Herzens passen: „Leider ist es genau in meine Prüfungsphase gefallen. Das ist schade, aber ich muss an der Uni ja irgendwann fertig werden.“

+++ Das ist Para-Eishockey (Auch: Sledge-Eishockey) +++

Statt im Stehen spielen Athleten im Sitzen auf Schlitten mit Kufen. Der verkürzte Schläger wird sowohl zum Puck-Schlagen als auch zur Vorwärtsbewegung genutzt – am „anderen“ Ende ist er mit Spikes besetzt. Jeder Spieler hat zwei Schläger.

Ansonsten sind die Regeln nahezu die gleichen wie beim „Fußgänger-Eishockey“, wie die Para-Spieler die „normale“ Variante ihres Sports nennen. Nur im Bezug auf die Schlitten gibt es spezielle Vorgaben.

Das „Gefährt“, der Schlitten, ist für jeden Spieler angepasst. Man ist fest in der Sitzschale fixiert und kann so über die Hüfte und Gewichtsverlagerung den Schlitten lenken.

Gespielt werden kann der Sport auch von Menschen ohne Handicap – das „Zusatzgewicht“ der noch vorhanden Beine ist für sie dann wiederum ein kleiner Nachteil.

Para-Eishockey (ehem. Sledge-Eishockey) wurde während der 1970er Jahren in Schweden entwickelt. 1994 hatte diese Sportart ihr Debüt bei den Paralympischen Spielen in Lillehammer, Norwegen.