Köln/Feudingen. . Zwei gegen einen oder Jeder gegen Jeden? Was sich nach einer Frage auf dem Bolzplatz anhört, sind die Optionen vor dem Training beim Dritten der Para-Eishockey-Bundesliga, der Spielgemeinschaft NRW (Wiel-Köln-Kamen).
Zwei gegen einen oder Jeder gegen Jeden? Was sich nach einer Frage auf dem Bolzplatz anhört, sind die Optionen vor dem Training beim Dritten der Para-Eishockey-Bundesliga, der Spielgemeinschaft NRW (Wiel-Köln-Kamen).
Ingo Kuhli-Lauenstein ist diesmal der Spieler mit der weitesten Anfahrt zum „Lentpark“ nahe des Kölner Zoos, denn für ihn ging es am Elternhaus in Feudingen los. Doch auch für seine Mitstreiter Sven Stumpe aus Bochum und Christian Jaster aus Düsseldorf ist es nicht gerade ein Katzensprung. Dass sie am Dienstagabend nur zu dritt trainieren, liegt daran, dass die meisten des Teams es nicht bis 18.30 Uhr in die Halle schaffen.
Und daran, dass es eben wenige Spieler gibt.„Wir haben Nachwuchsprobleme“, stellt Jaster fest. Mehr noch als an der geringen Zahl an Eishallen sowie den teuren Aluminiumschlitten liegt dies an der Komplexität des Sports. Als Ingo Kuhli-Lauenstein auf einem Bein von der Umkleide zur Eisfläche hüpft und in seinen Schlitten steigt, stellt sich dem Beobachter schon die Frage, wie er darin überhaupt das Gleichgewicht hält – die beiden Kufen unter dem Schlitten liegen nur etwa zwei Zentimeter auseinander, der Schwerpunkt liegt doch ein ganzes Stück über dem Eis. Nicht umzufallen, erfordert Gefühl und Spannung im Rumpf. Von dort aus erfolgen übrigens auch die Lenkbewegungen. „Der Anfang war schon ziemlich frustrierend. Im ersten Jahr war ich in erster Linie damit beschäftigt, das Schlittenfahren zu lernen“, erinnert sich Kuhli-Lauenstein. Für die Behinderten sind die Arme ihre Beine: Kräftig „rudern“ sie mit Hilfe ihrer zwei kurzen Schläger übers Eis, die an den Griff-Enden mit Spikes besetzt sind – ziemlich anstrengend. Der 25-Jährige, der in Gummersbach wohnt und dort Maschinenbau studiert, nimmt seinen Gegnern in den Doppelstock-Schubduellen immer ein Stück ab, gilt als einer der schnellsten in Europa. Deshalb spielt er seit drei Jahren in der Nationalmannschaft, wo er inzwischen über 30 Einsätze hatte, die Position des Rechtsaußen bekleidet und eher Vorbereiter ist.
Verpasste Qualifikation tut weh
Kuhli-Lauenstein soll den Puck nach langem Zuspiel von hinten erlaufen und nach innen geben – „Kick and Rush“ auf dem Eis. Die Paralympischen Spiele in Pyeongchang, die am 8. März beginnen, haben die Deutschen übrigens knapp verpasst. Im letzten, entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Schweden gab es eine 1:4-Pleite.
„Wir waren besser, haben uns aber ein Gegentor in einer blöden Strafzeit eingehandelt“, erzählt Lauenstein, in dessen Stimme dabei hörbare Erregung gerät: „Und wir haben die Chancen nicht gut genutzt. Ich hätte die Halle am liebsten auseinander genommen.“ Die verpasste Qualifikation tut weh, die Spiele seien ein Lebenstraum gewesen – und sind es noch: „In vier Jahren versuchen wir es wieder.“
Dafür investiert Ingo Kuhli-Lauenstein viel. Dreimal wöchentlich steht er auf dem Eis, an den anderen Tagen steht Krafttraining auf dem Plan – wenn er in der Heimat ist, im Kraftraum des SC Rückershausen. Mit sichtbaren Erfolg, denn der Feudinger präsentiert sich in der Umkleide muskelbepackt, hat eine V-Figur aufgebaut. „Wir wollen eben Leistung bringen“, sagt Lauenstein. Sein Teamkollege Jaster ergänzt: „Das Zusatztraining ist notwendig. Das Eis ist einfach zu teuer, um erst dort die Kraft aufzubauen.“
Mit zunehmender Trainingsdauer werden die Besprechungen der drei Spieler öfter, die Dampfwolken über den Köpfen dichter, Kuhli-Lauensteins Zopf darunter nasser. Das Tempo lässt aber nicht nach – und der Spaß auch nicht. Es wird gesprintet, gedribbelt und gecheckt. Härte ist Teil des Spiels, auch im Training. „Anlauf nehmen und einen in die Bande schicken, das macht schon Spaß“, grinst Kuhli-Lauenstein durchs Helmgitter: „Umgekehrt stecke ich auch ein, ohne zu klagen. Dass auch die Körper ineinander knallen, gehört dazu. Hier wird man nicht in Watte gepackt, es ist wie das echte Leben.“
Damit verbunden ist, dass auch Para-Eishockey manchmal als Rüpel-Sport gesehen wird. Da geht es den Schlittenfahrern nicht anders als den „normalen“ Eishockeyspielern des Kölner Eis-Klub, mit deren Jugendlichen sie sich die Halle teilen – den „Fußgängern“, wie sie im Behinderten-Jargon augenzwinkernd genannt werden.
Keine körperlichen Abstufungen
Der gegenseitige Respekt ist spürbar. Austauschen können sich Behinderte und die „Fußgänger“ in der Kabine durchaus, denn ihr Sport funktioniert in Sachen Regeln und Spielweise sehr ähnlich – allerdings müssen die Schlittenfahrer präziser passen, weil ihr Aktionsradius aufgrund der kürzeren Stocklänge und geringen Körperstreckung kleiner ist. „Wir können nur nicht rückwärts laufen und haben einen langsameren Spielfluss, aber es ist immer noch schnell. Es ist auf jeden Fall der schnellste Behindertensport“, sagt Jaster. Er war früher Handballer und kam nach einem Unfall dazu, Kuhli-Lauenstein hingegen hat eine angeborene Fehlbildung, den sogenannten FFU-Komplex. Ihm fehlt ein Teil des teilamputierten rechten Beines, dazu beide Kreuzbänder. „Der rechte Arm ist meine einzige vollständig ausgebildete Extremität“, sagt der 25-Jährige, der schon alle möglichen Sportarten ausprobiert hat: Voltigieren, Fußball („Schüsse mit Prothese sind wie eine Lotterie“), Skifahren oder Rennradfahren. Bei letzterem wurde die Haut-Überbelastung am Beinstumpf zum K.o.-Kriterium.
Auf dem Schlitten fällt es weg, denn die Beine „ruhen“ auf einer Schiene vor dem Körper. So können auch Querschnittsgelähmte auf ähnlichem Level mitspielen, wenngleich das überschüssige „Mehrgewicht“ vor dem Körper hinderlich ist. Dennoch gibt es beim Para-Eishockey auch keine Abstufungen wie in anderen Behinderten-Sportarten. „Zu viel davon halte ich sowieso nicht für sinnvoll. Ein zwei-Meter-Hüne bekommt auch keine Sonderpunkte beim Turnen, weil er es schwerer hat als Fabian Hambüchen.“ Der gesamte Eishockey-Sport hat Kuhli-Lauenstein infiziert. So hat er auch gestern beim Olympia-Halbfinale zwischen Deutschland und Kanada mitgefiebert und war über den 4:3-Sieg hin und weg: „Das war der Hammer!“