Kassel/Sauerland. Die 2. Etappe der Tour führt durch das Sauerland nach Winterberg. Unser Redakteur hat die hügelige Strecke getestet – und mächtig gelitten.
Atemberaubend ist die spektakuläre Aus- und Weitsicht von der Hochsauerland Höhenstraße zwischen Altastenberg und Sorpetal. Der Blick schweift in die Ferne nach Norden, über dunkelgrün bewaldete Berghänge und tiefe Täler. Nur ein leises Säuseln des Windes ist hörbar, ein leichter Geruch nach Wald zieht in die Nase. Sonst: Stille. Ein Idyll.
Und ein krasser Kontrast zum Start der 2. Etappe der Deutschland Tour, die in Kassel beginnt und in Winterberg endet. Los geht es am Friedrichsplatz in der Kasseler Innenstadt. Morgens um 9.20 Uhr stehe ich mit meinem Rennrad an einer Ampel auf dem Mittelstreifen der sechsspurigen Frankfurter Straße, die den Platz teilt. Radsport-Experte Jörg Scherf, Teamchef des teilnehmenden Saris Rouvy Sauerland Teams, kennt die Strecke und hat mir im Vorfeld verraten, wo die besten Plätze für Zuschauer sind – und ab wo es im Rennen so richtig spannend wird.
Das möchte ich mir genauer ansehen und herausfinden, wie sich eine solche Profi-Etappe für einen Hobby-Radler anfühlt – und ob sie überhaupt zu schaffen ist. Immerhin trennen Start und Ziel 208 Kilometer und über 3000 Höhenmeter.
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Zunächst fühlt sich die Strecke aus Kassel heraus schwer bescheiden an – Rad- oder Autofahren in vollen Innenstädten macht selten Spaß. Doch das ändert sich schnell. Gen Westen geht es am grünen Bergpark Wilhelmshöhe vorbei, dann über Landstraßen, die sich durch die zunehmend hügelige und menschenärmere Landschaft nach Bad Arolsen winden. Immer wieder gibt es auch hier schon kurze Steigungen mit mehr als 10 Prozent. Die kleinen Hügel, die ich zur Spitze hin in den kleinsten Gängen hochkrabbele, werden die Profis mit viel Kraft und kaum vermindertem Tempo nehmen.
Von Bad Arolsen im Norden des Waldecker Landes führt die Route bei Erlinghausen nach Nordrhein-Westfalen und in den Hochsauerlandkreis – und in Marsberg zum ersten Tipp für Zuschauer von Jörg Scherf.
„Super Atmosphäre“ bei Stadtdurchfahrten im Sauerland
„Bei Stadt- und Ortsdurchfahrten wird die Atmosphäre super“, verspricht Scherf. Neben Marsberg empfiehlt er an dieser Stelle auch den Marktplatz in Brilon sowie Meschede, Eslohe und Winterberg. Ein besonderes Highlight in Marsberg: An der Bredelarer Straße in Niedermarsberg (Bushaltestelle LWL) treten die Spitzenfahrer für Punkte in der Sprintwertung besonders kräftig in die Pedale.
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Von Marsberg geht es weiter über Bredelar und Hoppecke, immer langsam aufwärts nach Brilon. Fahrer und Zuschauer können sich beim Rennen auf die Stimmung am Marktplatz freuen, der gerade von Schülern und Ausflüglern in Cafés bevölkert wird. Ich freue mich erstmal auf eine Portion Pommes. Stärkung, heiß und fettig – genau das Richtige! 95 Kilometer habe ich hinter, noch knapp über 100 vor mir.
Weiter geht’s – mit einem kurzen Regenschauer. Die Luft kühlt merklich ab, angenehm. Im Gegensatz zu den Anstiegen, die von Bestwig-Ostwig, Hehringhausen und Ramsbeck nach oben führen. Gefühlte Ewigkeiten scheint die Grimlinghauser Straße von Ramsbeck nach Berlar anzusteigen. Die Landschaft entschädigt mit ihren Tälern, Wäldern, Kuh-Wiesen und Hochsitzen – es sieht aus wie gemalt. Ob die Profis diese Aussichten genießen können? Wohl kaum – hier steht die erste von zwei Bergwertungen der Etappe an, mit Ziel bei Berlar.
Imposant ist die Aussicht von Klause aus in Richtung Remblinghausen. Sorgen bereiten mir die dunklen Wolken am Himmel. Allerdings nicht lange, schon
fünf Minuten später durchnässt mich ein Starkregen bis auf die Knochen. Zentimeterhoch steht und läuft das Wasser auf und über die Fahrbahn. Zu Beginn der Abfahrt in Richtung Meschede komme ich kaum über Schritttempo hinaus.
Doch so schnell und heftig der Regen gekommen war, so schnell ist er auch wieder verschwunden. Schon vor Meschede durchbrechen warme Sonnenstrahlen die dunkle Wolkendecke und lassen den Asphalt langsam wieder trocken. Nach der kurzen Ortsdurchfahrt verläuft die Strecke entlang des Westufers des Hennesees – und zum zweiten Tipp von Jörg Scherf.
„Das Rennen wird brennen“
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„Ab dem Hennesee wird es richtig brennen“, prophezeit der Teamchef des Saris Rouvy Sauerland Teams und führt aus: „Zwischen Meschede und Eslohe wird der schwierigste Teil des Rennens sein. Da fahren die Favoriten um die Gesamtwertung und das Feld wird auseinandergezogen. Für kleinere Teams wie uns geht es dann ums Überleben.“ Das Brennen spüre ich bereits – in meinen Oberschenkeln.
Über Enkhausen geht es hoch, am Flughafen Schüren vorbei nach Büenfeld. Der Blick zurück fällt auf den immer kleiner werdenden Hennesee. Größer wird dagegen der Schmerz in meinen Beinen – Krampf im linken Oberschenkel. Also kleinen Gang rein, locker strampeln und hoch den Hügel.
Über Eslohe führt die Strecke weiter in Richtung Sorpetal. Kurze, aber steile Anstiege warten – und offenbaren auf den Hügelkuppen traumhafte Aussichten, sorgen außerdem für rasante Abfahrten. Mächtig anstrengend ist es trotzdem oder gerade deshalb. In Bad Fredeburg wartet auf die Profis die zweite Sprintwertung des Tages – mir geben hier gekühlte Softdrinks zum Trinken und ein Plausch mit dem hilfsbereiten jungen Tankstellen-Mitarbeiter die Kraft für das Finale. Noch etwas mehr als 35 Kilometer ist das Ziel entfernt.
So nah und doch so fern. „Auf den letzten 20 Kilometern ist das Rennen, bis auf eine Abfahrt nach Winterberg, eigentlich eine riesige Bergankunft“, beschreibt Jörg Scherf. Durch das wunderschöne Sorpetal führt die Strecke immer weiter aufwärts, über die anfangs beschriebene Sauerländer Höhenstraße bis nach Altastenberg – und danach hin zu Scherfs drittem Tipp.
Die Fahrer der Deutschland Tour drei Mal sehen
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„Als Fan würde ich mir das Rennen irgendwo zwischen Brilon und Meschede anschauen und dann nach Winterberg fahren, dann kann man die Fahrer drei Mal sehen“, rät Scherf. Denn: Das Feld rast einmal durch Winterberg hindurch, dann in das Orketal hinab und schließlich von Elkeringhausen zurück nach Winterberg, wo „Am Waltenberg“ der Zielbereich wartet.
Für mich führt auch die Abfahrt durch Winterberg bereits durch das spätere Ziel, denn der Tunnel, durch den die offizielle Strecke führt, ist für Radfahrer normalerweise gesperrt. Mittlerweile ist es 18.30 Uhr, der Geruch von gebratenem Essen zieht mir in die Nase und lässt meinen Magen knurren. Verführerisch. Aber erst geht es noch mal raus aus Winterberg, an der Ruhrquelle vorbei und mit teils mehr als 70 km/h runter ins Orketal. Hier wartet nun wirklich der letzte Anstieg des Tages, der für die Profis auch die zweite Bergwertung der Etappe bereithält. Ich quäle mich im kleinsten Gang aufwärts und bin überglücklich, als ich um 19.40 Uhr im Zielbereich die Fähnchen der Deutschland Tour über der Straße sehe. 208 Kilometer und mehr als 3000 Höhenmeter zeigt mir die Tracking-App an. Geschafft, irgendwie. Die Strecke und ich.
Also folge ich meiner Nase zum bestduftendsten Restaurant mit Außengastronomie. Sauerländer Hirschgulasch an Preißelbeersahne mit Salzkartoffeln und Rotkohl. Angesichts dieser kulinarischen Belohnung wische ich den Gedanken, dass die Radprofis nach Start um 11.40 Uhr in Kassel bereits ab 16.30 Uhr im Ziel in Winterberg erwartet werden, ganz schnell wieder weg.