Menden. Dr. Jörg Freis erklärt: Fitnessstudios hätten eher öffnen können, Kraftsport stärkt das Immunsystem, 100 Prozent geben kann auch schlecht sein.
Fehler machen vor allem diejenigen, die auf eigene Faust Sport machen. Im Gespräch mit der WP hat Dr. Jörg Freis erklärt, worauf zu achten ist, wenn man effektiven Kraftsport machen will und warum es nicht gut ist, bis zur völligen Erschöpfung zu trainieren.
Außerdem: Deshalb war so eine lange Pause vom Fitnesssport durch Corona aus medizinischer Sicht schädlich.
1. Kraftsport für die Gesundheit
„Wenn es darum geht, sein Immunsystem .gegen Viren und Co. zu stärken, sollte man sich aufs Krafttraining konzentrieren“, erklärt der Arzt. Auch Ausdauertraining halte natürlich fit, aber vor allem beim Krafttraining werden in großer Menge hormonelle Botenstoffe freigesetzt: die Myokine.
Kleineres Krankheitsrisiko
„Man hat herausgefunden, dass es sich beim Skelettmuskel um ein hormonelles Organ handelt“, schildert Freis. Mittlerweile sind 3000 Myokine bekannt, von diesen werden zahlreiche beim Krafttraining freigesetzt.
Und was bewirken die? Freis: „Die vermindern das Risiko vieler Krankheiten.“ Dazu gehören Krebs, Diabetes und Herzinfarkt, aber auch Depressionen und Angststörungen.
Siegerhormone
Weil einige dieser Myokine außerdem die Blut-Hirn-Schranke passieren und im Gehirn wirken, fördern sie auch die Klarheit des Sportlers im Denken.
Ein Grund dafür, dass man sich nach dem Sport auch häufig wacher fühlt, als davor. Freis bringt es auf den Punkt: „Eigentlich ist es ganz einfach: Myokine sind Siegerhormone.“
2. Warum die Fitnessstudios früher hätten öffnen sollen
Zum Beispiel sollen einige dieser Myokine, wie auch Interleukin 6 und 8, für die Aktivierung von Abwehrzellen im Körper sorgen. „Deshalb war es auch eigentlich einfach nur schädlich, dass man jetzt so lang nur wenig Sport treiben konnte“, erklärt Freis.
Sport ohne Trainer führt zu Fehlern
Die lange Schließung der Fitnessstudios habe nämlich sicherlich teils Menschen vom Sport abgehalten. „Die müssen sich jetzt natürlich langsam wieder steigern, und nicht direkt wieder mit dem letzten Gewicht trainieren.“
Und für diejenigen, die weiterhin Sport gemacht haben, sei das Fehlerrisiko größer. „Die meisten vertrauen ja doch auf ihren Trainer“, so Freis. Und der konnte die Übungen nicht kontrollieren. Freis ist sicher: „Aus medizinischer Sicht und unter strikten Hygienevorschriften hätten die Studios früher öffnen sollen.“
3. Auch Überforderung kann die Leistung schwächen
Schwerere Gewichte, mehr Training, länger durchhalten. Nach diesem Motto trainieren viele, klingt ja auch logisch. Wer härter trainiert, nimmt schneller ab und baut schneller Muskeln auf, oder?
„Falsch“, erklärt Freis. „Genauso wie unterschwellige Trainingsreize (also Unterforderung) schlecht für die Entwicklung sind, sind auch zu viele überschwellige Reize nicht gut.“ Denn die führen dazu, dass der Körper in eine Sauerstoffschuld gelangt.
Schwächere Abwehrzellen
In diesem sauren Zustand werden dann die Fettsäuren nicht mehr für die Energieverbrennung genutzt. „Fettkalorien reduziere ich also nur im lockeren Bereich. Und außerdem“, so Freis, „wird der Muskelkater dann immer schlimmer. Das macht meistens sogar unmotiviert.“
Und dann gibt es da noch den sogenannten „Open-Window-Effekt“. Denn nach sehr harten Trainingseinheiten würden die Abwehrzellen inaktiv und „man öffnet quasi ein Tor für Erreger, Viren und Co.“
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4. Den richtigen Puls fürs Training herausfinden
Für diejenigen, die sich keiner Analyse unterziehen wollen, gibt es einen Trick, um herauszufinden, wann das Training richtig ist.
„Man kann morgens seinen Ruhepuls messen und dann beim Training nochmal“, sagt Freis. Wenn der Puls dann etwa um zehn bis 15 Pulse pro Minute steigt, sei die Belastung meist schon zu hoch.
5. Wie erkenne ich, ob ich richtig trainiere?
Auch die Gemütslage ist ein wichtiges Indiz fürs richtige Training. „Wenn ich locker lächelnd joggen kann oder mich während des Krafttrainings noch problemlos unterhalten kann, dann ist das in Ordnung“, legt Freis dar.
„Aber wenn mir alles wehtut und ich mich zerschlagen fühle, hab ich was falsch gemacht. Viele denken, dass es gut ist, wenn man triefend nass aus dem Training kommt. Das ist falsch. Genauso wie der Irrglaube, dass Muskelkater ein Kriterium für gutes Training ist.“
Vielmehr sei zu starker ein Zeichen dafür, dass man einen Gang zurückschalten sollte.
6. Die Mischung macht’s
Eine Faustregel: „Der Trainingsreiz sollte bei mehr als 50 Prozent der Maximalkraft liegen, aber möglichst nicht häufig bei 100 Prozent“, erklärt Doktor Freis. „Für jeden Sportler lässt sich bestimmen, wie lange er in bestimmten Bereichen trainieren sollte“, erklärt Freis.
Verschiedene Bereiche
Zu diesen Bereichen gehören die Regeneration, die Fettverbrennung, Cardiotraining und der Competitionbereich (zu deutsch: Wettkampfbereich). „Letzterer ist der Bereich, in dem man härter trainiert (bis zu 100 Prozent der Maximalkraft), um die Leistung zu steigern.
In dem sollten Hobbysportler nur zirka fünf bis zehn Prozent des Trainings verbringen“, erklärt Freis. Er dient aber auch nur zur Leistungssteigerung, nicht zur Fettverbrennung.
7. Training: Wie oft und worauf ist zu achten?
„Um abzunehmen oder Muskeln aufzubauen, muss man nicht jeden Tag trainieren“, erklärt Freis. Zwei- bis dreimal die Woche reiche vollkommen.
Schließlich braucht der Körper ja auch eine Pause – „um nach den vielen kleinen Muskelfaserrissen, die sich in Form von Muskelkater zeigen, diesen Zeit zu geben, sich neu und stärker aufzubauen.“
Wichtig sei natürlich außerdem der Schlaf, da in der Nacht die Muskeln generiert würden. Und, ja das auch: Die Ernährung ist natürlich entscheidend.
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8. Darum sollten auch Senioren trainieren
„Dem Muskel ist es egal, ob sein Träger 60 oder 30 ist“, erklärt Jörg Freis. Im höheren Alter sei es sogar noch wichtiger, sein Immunsystem zu stärken.
„Gerade dann bedeutet Fitsein Freisein. Ich will ja nicht auf den Lift angewiesen sein, sondern auch Treppen steigen können.“
9. Auch Rehasport ist wichtig
„Auch nach einer Krankheit empfiehlt man mittlerweile Training zu machen“, so Freis. Wo es früher immer hieß, man solle sich schonen, ist Bewegung eigentlich viel angebrachter – auch bei älteren Schlaganfallpatienten zum Beispiel.
So habe unter anderem eine Studie gezeigt, dass Krebspatienten, die nach der Behandlung keinen Sport machen, eine etwa 34 Prozent höhere Sterberate aufweisen, als diejenigen, die Sport machen.
Knochenbrüche und Schlaganfälle
Für beide, Senioren und Rehapatienten, gelte auch hier: „Das beste, was man machen kann, ist das Krafttraining“, betont der Arzt.
Nach einem Schlaganfall oder Knochenbrüchen würden durch dieses nämlich durch das Interleukin 8 neue Blutgefäße gebildet. „Und die übernehmen dann die Funktionen der verstorbenen alten.“
10. „Use it or lose it“ oder „Wer rastet, der rostet“
Dass derjenige, der wenig Sport macht, sich eher schont, raucht oder übergewichtig ist, schneller zur Risikogruppe für Verletzungen oder Krankheiten gehört, dürfte den meisten klar sein.
Also: Training, ja, Überforderung, nein.
Doktor Jörg Freis fasst es so zusammen: „Das Schlimmste, was man machen kann, ist seinen Körper nicht mehr zu fordern. Use it or lose it! Aber nicht, bis man am Boden liegt.“