Wehringhausen. Exklusiver Besuch bei Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert in Hagen. Ein ehrliches Gespräch über Angebote. Den Weltpokal muss er lange suchen.
Mit der Protzerei haben sie es nicht so beim Deutschen Basketball Bund. „Ich muss nachfragen. Ich weiß nicht, wo der Weltpokal ist“, sagt Gordon Herbert (64), den bis vor ein paar Monaten in der Basketball-Szene zwar viele kannten, für den der 10. September 2023 aber alles verändert hat. Seither wissen sie in Neuseeland, Argentinien oder am Polarkreis, wer „Gordie“ ist. Der Mann, der Deutschland zum Basketball-Weltmeister geformt hat. Was bis dahin so wahrscheinlich schien wie eine Kuh, die ins All fliegt. Der Pokal findet sich dann doch noch. Ein Mitarbeiter holt eine Tasche aus einem Nebenraum. Darin liegt er, zusätzlich gehüllt in eine Decke.
Aus journalistischer Sicht kann man das als durchaus surreal bezeichnen. Sowas gibt es eigentlich nicht mehr. Einen Top-Funktionär- oder Trainer im deutschen Spitzensport zum Gespräch zu treffen, ohne dass Berichterstattungen vorher von Presseabteilungen durchgespült werden, ist nahezu ausgeschlossen. „Warum nicht?“, fragt Gordon Herbert, „ich vertraue Ihnen und wenn ich Dinge nicht besprechen will, dann sage ich das.“
„Das beste Schwimmbad, das ich kenne“
Zweieinhalb Monate nachdem Herbert mit dem deutschen Team ein Märchen geschrieben hat, ist die Routine zurück. Hagen statt Manila. Schwanenstraße in Wehringhausen statt Sportstudio.
Die Spieler sind zurück in den Ligen wie der NBA, der Bundesliga und anderen europäischen Ligen und Herbert sitzt in Hagen. „Was ich liebe“, betont er. Das hatte er vor zwei Jahren schon mal gegenüber der WP gesagt. Er ist, ohne einen Cent dafür zu kassieren, weiter der beste Werbebotschafter, den sich das Westfalenbad wünschen kann. Ungefragt sagt er: „Das beste Schwimmbad, das ich kenne.“ Er ist hier Frühschwimmer. Man sollte eigentlich meinen, dass Hagen für so einen Weltbürger – dazu gleich mehr – viel zu klein, grau, provinziell ist.
Neben der „Wildnis“, wie Herbert die Wälder rund um Hagen nennt, sei das Allerbeste, dass er kaum ins Auto müsse. „Ich hasse Fahren und vor allem die deutsche Autobahn. Zu viel Hektik.“ Hier läuft er vom Marienviertel ins Büro in die Schwanenstraße. „Und niemand erkennt mich“, sagt er, „es ist einfach so angenehm.“
Dass ihn niemand erkennt, kauft man ihm kaum ab. Dass er nicht allerorten angehalten wird, würde aber zu Hagen passen. Dass in der Basketball-Welt bekannte Menschen hier im Stadtbild zu sehen sind, genießt eine gewisse Normalität. Zu Erstligazeiten war das noch stärker der Fall. Man schätzt das, flippt aber nicht sofort aus.
Unmögliches ist möglich
Weltmeister. Also Meister der Welt. Die Besten. Und das in einer Sportart, in der es die Weltöffentlichkeit von den Deutschen niemals erwartet hätte. „Ich glaube nicht, dass das die eigentliche Geschichte ist, warum wir so viel Zuspruch erfahren. Natürlich ist es ein Einmal-im-Leben-Ereignis, dass Deutschland Weltmeister ist. Aber unsere Story ist eine andere.“
Es sei die einer Gruppe, die gezeigt habe, dass das Unmögliche mit Zusammenhalt und als Einheit möglich ist. „Das ist, was wir uns im Camp vor der Weltmeisterschaft einander geschworen haben“, sagt er und schiebt nach: „Lasst uns den Zusammenhalt genießen. Ich glaube, damit können sich viele Menschen identifizieren. Viele sind stärker als einer.“
Er wisse sehr wohl, dass das, was er dieser Zeitung vor zwei Jahren noch gesagt habe, belächelt worden sei. „Viele haben gelacht über meine Aussage, dass ich glaube, dass wir eine Medaille oder ein Turnier gewinnen können. Aber ich habe das nicht für die Öffentlichkeit gesagt. Sie haben mich damals danach gefragt und das war meine Antwort. Wichtiger ist, dass ich es dem Team gesagt habe. Vielleicht hat die Mannschaft es mir nicht sofort geglaubt, aber als wir im Prozess waren, im Tun, da wurde jedem klar, dass wir es schaffen können. Erfolg entsteht im Prozess, nicht im Ergebnis.“
Euroleague ist ein Ziel
Wie erfolgreich der erfahrene Coach Gordon Herbert ist, ist logischerweise der ganzen Welt aufgefallen. Der französische Euroleague-Club Asvel Lyon-Villeurbanne wollte ihn verpflichten. Eine Top-Adresse im europäischen Basketball. Präsident ist Frankreichs wohl bekanntester Basketballer aller Zeiten: Tony Parker.
Herberts Antwort auf die Frage, wie gern er dort gecoacht hätte, ist eine Mischung aus Ehrlichkeit, Bedauern, Aufrichtigkeit und Loyalität. „Ja, das hätte ich gern gemacht. Das wäre meine Chance gewesen, noch einmal einen Euroleague-Club zu trainieren. Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt“, blickt er auf sein eigenes Alter.
Also nahm er in dieser Sache Kontakt zum DBB auf, wo man ihm erklärte, dass man eine Doppelfunktion nicht unterstütze, der Fokus vielmehr auf dem DBB liegen solle. „Wir haben eine sehr klare, ehrliche und transparente Art, miteinander umzugehen hier beim Verband. Ich schätze das sehr und deshalb habe ich die Entscheidung akzeptiert. Ich habe hier für drei Jahre unterschrieben und ich bin loyal.“
Vor der Weltmeisterschaft hatte Herbert seinen Vertrag vorzeitig bis zur Europameisterschaft 2025 verlängert. „Ich mag die Zahlen darin nicht“, schiebt der Kanadier einen trockenen Witz hinterher. Nun sei er ein preiswerter Trainer mit Weltmeistertitel, scherzt er. „Alles in Ordnung“, löst „Gordie“ die nicht ernstgemeinte Kritik auf, „eine Vereinbarung ist eine Vereinbarung. Das ist okay.“ Und übrigens, das ist ihm wichtig, habe er einige Angebote einfach abtropfen lassen und nie darüber gesprochen, weil sie nicht die Ernsthaftigkeit oder Größe besessen hätten, das wertvolle Verhältnis zum DBB damit überhaupt in Konflikt zu bringen.
Wahlheimat Finnland
Als der Rummel um das Basketball-Wunder seinen Höhepunkt erreichte und sich dann alle Teammitglieder in alle Welt verstreuten, zog es Herbert – dessen Foto, auf dem Hallenflur sitzend kurz nach dem Finale, tief durchatmend und vom Druck entladen, um die Welt ging – nach Mallorca. Vier Tage. Abstand gewinnen.
Danach war er bei seiner 91-jährigen Mutter in Kanada („Sie hat die Spiele wegen der Zeitverzögerung aufnehmen müssen“) und dann in seinem Haus in Finnland. In den 80er- und 90er-Jahren spielte er für sechs finnische Clubs, begann dort auch seine Trainerkarriere. Er coachte Paris, Thessaloniki, Alba Berlin, die Toronto Raptors oder Frankfurt. Er hat auch die finnische Staatsbürgerschaft, seine Ex-Frau ist Finnin, seine Söhne wurden in Finnland geboren. Sohn Daniel ist Assistenztrainer bei Crailsheim in der Bundesliga. Er hat noch eine Tochter aus erster Ehe, die in Kanada lebt.
Die Toronto Raptors in der NBA gewährten ihm nach dem Turnier übrigens Einblick in ihre Arbeit. Dort spielt bekanntlich auch der deutsche Kapitän Dennis Schröder. „Ich lerne als Coach nie aus und habe da viel mitnehmen können“, sagt Herbert. Noch mal in die NBA? „Nein“, sagt er klar.
Ist der Zenit erreicht?
Herbert könnte überall arbeiten. Macht er aber nicht. Für die kommenden zwei Monate ist Hagen wieder sein fester Punkt. Er ist der erste deutsche Basketball-Bundestrainer, der seinen Wohnort hierhin verlegt hat. Svetislav Pesic lebte mal in Herdecke, in Hagen aber wohnte sonst kein anderer Bundes-Coach.
In acht Monaten beginnen die Olympischen Spiele. Und Herbert will wieder aufs Podium. Danach, so mutmaßt er selbst, könne es eine Zäsur geben. „Die Körper der Spieler brauchen irgendwann auch mal Ruhe. Selbst ein Franz Wagner in seinem jungen Alter wird irgendwann einen Sommer pausieren müssen, weil die Belastungen einfach zu hoch sind. EM, WM, Olympia, EM, WM, Olympia. Dazwischen NBA. Das wird zu viel.“
Ob der Zenit des Teams also im kommenden Sommer erreicht ist? „Ich mache mir keine Sorgen um die Zukunft. Es sind sehr gute Spieler in ihrer Entwicklung, die die Nachfolge antreten könnten. Die Bundesliga ist eine gute Plattform für sie.“ Wenngleich, das macht er deutlich, er sich wünschen würde, dass die Zahl ausländischer Spieler gesenkt und die der deutschen Spieler erhöht werden solle im deutschen Oberhaus. Andere europäische Top-Ligen würden es vormachen.
Die Suche nach dem Pokal
Zuletzt gab es einen kleinen Wasserschaden im Gebäude des DBB. Herbert musste aus der vierten in die zweite Etage runter. Hier sitzt er, Blick auf die Edelstahlwerke nebenan und die Bahnhofshinterfahrung, vor einem noch eingepackten Fernseher. „Nicht meiner“, sagt er. „Ich gucke Basketball auf dem Laptop.“ Ärgerlich sei nur, dass der neue Basketball-TV-Anbieter Dyn nicht im Nicht-EU-Ausland ohne Weiteres empfangbar sei. „Da muss ich mal schauen. Ich muss ja weiter Basketball gucken können“, spricht Herbert wie ein Privatmensch, der seine Sport-Abos überdenkt.
Dann beginnt die Pokalsuche. Herbert steht auf. Der schlaksige Mann murmelt in die Mittagspause von fünf DBB-Mitarbeitern hinein. „Do you know, where the world cup is?“ Kopfschütteln. Er stiefelt hoch auf Etage fünf.
Nachfrage beim Social-Media-Team. Einer der Jungs weiß, wo der Pokal ist. Als er ihn aus einem Nebenraum in eingangs besagter Tasche holt, die so aussieht, als würden Familien damit im Sommer im Freibad ihre Verpflegung transportieren, kommentiert Herbert nüchtern: „There it is.“ Da ist er. „Nicht fallen lassen, Gordie“, ruft einer der Kollegen, der vorher befunden hatte, der gewienerte Pokal würde noch nach Champagner duften.
„Podium“, sagt Gordon Herbert noch einmal, als wir am Fenster stehen, auf Wehringhausen blicken und er den Weltpokal in den Händen hält. Herbert will eine Medaille. „Everything is possible“, murmelt er. Und seit vergangenem Sommer muss man das extrem ernst nehmen.