Hagen. In der letzten Folge von Kabinengeflüster blickt Ingo Freyer auf turbulente Phoenix-Zeiten zurück. Und an ein besonderes Duell mit Magic Johnson.

„Jede Saison hatte etwas Besonderes. Es gab immer etwas Neues, worauf ich mich einstellen musste“, sagt Ingo Freyer mit einem Lächeln, wenn er an seine zehnjährige Zeit als Trainer von Phoenix Hagen zurückdenkt.

Mit dem Basketballklub vom Ischeland verbindet der 50-Jährige eine intensive Zeit voller Höhen, wie dem Aufstieg und dem Erreichen der BBL-Playoffs, und Tiefen, wie die Insolvenz des einstigen Erstligisten vor rund fünf Jahren. In der vorerst letzten Folge der Serie „Kabinengeflüster“, die unsere Zeitung mit den Hagener Basketballern Yannick Opitz und Sören Fritze ins Leben gerufen hat, denkt Freyer an einprägsame Momente in seiner Zeit als Spieler und Trainer zurück.

Magie in Berlin

1991 hatte der legendäre Point Guard Earvin „Magic“ Johnson seine Profikarriere mit der Bekanntmachung seiner HIV-Infektion beendet. Als später eine Rückkehr in die NBA an den Protesten anderer Spieler scheiterte, bestritt Johnson mit einer Auswahl ehemaliger Mitspieler einige Schau-Wettkämpfe in aller Welt. Eine Station war 1993 in Berlin, in Albas Kader stand: Ingo Freyer (damals 22), der sich an der Seite von BBL-Größen wie Hendrik Rödl (24) und Sebastian Machowski (21) gegen „Magic“ behaupten durfte. Schon beim Wurftraining am Vormittag begegnete der deutsche Shooting Guard dem Weltstar.

Freyer 1994 im Korac-Cup-Finale zwischen Alba Berlin und Stefanel Mailand.
Freyer 1994 im Korac-Cup-Finale zwischen Alba Berlin und Stefanel Mailand. © imago

Freyer unterhielt sich mit US-Guard Leon Wood, der im Magic-Kader stand und in Vorsaison noch im Gießener Trikot gegen Freyer spielte. Johnson schnürte sich direkt daneben die Schuhe. Die Aufregung war groß. „Das Spiel am Abend haben wir damals hoch verloren (118:146); d. Red.), aber das war egal“, blickt Freyer mit einem Lächeln zurück. Der Alba-Guard erzielte solide neun Punkte in der mit Promis gespickten Deutschlandhalle. Unter anderem saß Franzi van Almsick in der ersten Reihe. „Ein Spiel, das ich niemals vergessen werde und mir heute noch gerne auf Video anschaue“, sagt Freyer.

Kein Bier für die Spieler

Als Ingo Freyer im Jahr 2007 das Traineramt bei Phoenix Hagen übernahm, waren die Ambitionen groß. Die Volmestädter wurden nach der Umstrukturierung der 2. Liga in die neue ProA eingruppiert und sahen sich starker Konkurrenz ausgesetzt. Dennoch: Das Ziel war der Aufstieg. Innerhalb von drei Jahren sollte es für Hagen zurück in die BBL gehen. Aber Freyer musste erstmal einiges umkrempeln.

Und das fing mit den Trinkgewohnheiten an. „Ich wusste ja aus meiner Zeit als Spieler bei Brandt Hagen, dass man hier gerne nach einem Spiel die Kiste Bier heranholt“, grinst Freyer. Aber was der neue Coach am Ischeland erlebte, wunderte ihn dann doch. Nach einer Vorbereitungspartie sah er mehrere seiner Spieler, unter anderem Adam Baumann, mit je zwei Flaschen Bier in den Händen aus dem VIP-Raum spazieren. „Über Umwege habe ich dann gehört, dass ein, zwei Spieler sagten: Wenn wir gewinnen, müssen wir richtig einen saufen“, erinnert sich Freyer.

Ingo Freyer im Jahr 2008 mit Matthias Grothe (links) und Zach Freeman.
Ingo Freyer im Jahr 2008 mit Matthias Grothe (links) und Zach Freeman. © WP | SIEKMANN, Marco

Auch von ausgelassenen Partys in der WG von Baumann und Philipp Günther bekam der Trainer Wind. Also beschloss er: Der Feierei muss ein wenig Einhalt geboten werden. „Kein Bier mehr für die Spieler im VIP-Raum“, so lautete eine von Freyers ersten Amtshandlungen. Eine Regelung, die auf Gegenwehr stieß. „Das war zunächst ein richtiges Problem. Sponsoren haben in der Geschäftsstelle angerufen und gesagt: Wie? Wir trinken nach dem Spiel doch immer mit den Spielern“, erzählt Freyer. „Ich musste das und einige andere Dinge verändern, damit wir uns weiterentwickeln, damit wir professioneller werden.“

Das perfekte Drehbuch

Über das erste BBL-Jahr von Phoenix Hagen könnte man ein Buch schreiben – so viel Drama gab es in der Saison 2009/10. „Es fing ja schon damit an, dass wir lange nicht wussten, ob wir überhaupt eine taugliche Halle haben, um in der BBL spielen dürfen“, erinnert sich Freyer. Ein Buch gibt es über diese spannende Zeit zwar nicht, aber einen Film vom Hagener Regisseur Jens Pfeifer („Phoenix in der Asche“). „Oli Herkelmann erzählte mir damals am Telefon, dass da jemand bei uns filmen wollte. Ich war zunächst dagegen, weil wir ja genug um die Ohren hatten“, erzählt Freyer, der zunächst dachte, dass Pfeifer einen fünfminütigen Videoschnipsel abdrehen würde. „Irgendwas für die Uni, dachte ich.“

Aber Pfeifer begleitete den Trainer und sein Team die ganze Saison lang. „Jens war einmal bei mir zu Hause, um mich den ganzen Tag zu filmen. Ich hab’ ihm gesagt: Okay, aber die nächsten fünf Stunden wird hier nichts passieren. Er meinte: Mal schauen, vielleicht ruft ja jemand an.“

Der Film wurde schließlich ein großer Erfolg. Selten hat es zuvor solch tiefe Einblicke in das Innenleben eines aufstrebenden Vereins und in das Gemüt einer strauchelnden, aber am Ende doch erfolgreichen Profimannschaft gegeben.

Jordans Ausraster

Ein dramaturgischer Höhepunkt des Films war der eskalierende Streit zwischen Topscorer Chase Griffin und dem egozentrischen Kopf der Mannschaft, Michael-Hakim Jordan. Letzterer war maßgeblich am Klassenerhalt der Hagener beteiligt, wurde aber noch vor Saisonende entlassen, weil er Griffin an die Gurgel wollte und gegen Teamregeln verstieß. „Wir hatten ihn damals nachverpflichtet und ich wusste ja, was er für ein Typ war“, denkt Freyer zurück, der Anfang der 2000er-Jahre mit Jordan zusammen in Quakenbrück spielte. „Wir brauchten so einen Typen, um die Klasse halten zu können. Uns war aber klar, dass wir ihn vielleicht irgendwann rauswerfen müssen.“

Michael-Hakim Jordan (vorne) und Chase Griffin (2010).
Michael-Hakim Jordan (vorne) und Chase Griffin (2010). © KLEINRENSING, Michael

Deswegen der Hagener Trainer sorgte vor. Er verpflichtete den litauischen Aufbauspieler Rolandas Alijevas, der bereit stand, um das Ruder zu übernehmen, sollte Jordan entlassen werden. Der US-Aufbau und sein Back-up waren nicht gerade beste Freunde, im Training beackerten sich die Spielmacher hart. Wurde Alijevas also das nächste Bauernopfer des Alphatiers?

Nein, und dafür gab es einen guten Grund. Bei einem Training des Phoenix-Teams beim Box-Sport-Club Haspe, fiel den Kampfsporttrainern auf, dass Alijevas viel Talent im Ring hatte. Es stellte sich heraus, dass der Litauer sechs Jahre lang Kickboxing betrieben hatte. Jordan bekam das mit und war sichtbar beeindruckt. „Der hat nie wieder ein Wort mit Alijevas gesprochen“, lacht Freyer.

Aus Not wird Tugend

Eigentlich stand für Freyer im Sommer 2010 – nachdem man den Klassenerhalt schaffte – Entspannung auf dem Plan, aber in Los Angeles bot es sich an, nach dem einen oder anderen interessanten Spieler Ausschau zu halten. „Der Vorstand hatte mir gesagt, ich könne mich ruhig nach einem Spieler umschauen und hat mir ein Budget vorgegeben.“ Der Trainer schaute intensiv nach einer guten Verpflichtung und wurde schließlich fündig. Angekommen in Hagen musste Freyer aber erstmal schlucken, als er sich mit Phoenix-Geschäftsführer Oli Herkelmann und Aufsichtsratschef Thomas Hänsel traf. „Sie sagten mir: Das Budget, das du für einen Spieler hattest, muss jetzt für fünf reichen“, schüttelt Freyer den Kopf. Der Etatansatz wurde arg nach unten korrigiert, weil Phoenix ausufernde Kosten für das abbezahlen musste.

Ingo Freyer mit einem der individuell besten Spieler, die Phoenix jemals hatte: US-Guard Davin White (2015).
Ingo Freyer mit einem der individuell besten Spieler, die Phoenix jemals hatte: US-Guard Davin White (2015). © Michael Kleinrensing

Freyer regte sich damals nicht lange aus, er machte aus der Not eine Tugend. Durch die Budgetkürzung war die Idee des Freyerschen Spielstils geboren: klein, schnell, wurfgewaltig und unorthodox waren nun seine Teams, denn große Leute kosten im Basketball bekanntlich großes Geld. Ein Stil, der die Liga schockte und Verfechter des traditionellen Spiels schon fast beleidigte. „Die Gegner konnten sich einfach nicht auf uns einstellen“, erinnert sich Ingo Freyer mit Stolz zurück. „Und heute spielt die Hälfte der BBL so.“

Basketballer, die in anderen Vereinen und anderen Ligen weniger zum Zuge kamen, wurden bei Phoenix zu Top-Performen. David Bell, Davin White, Larry Gordon, Mark Dorris oder Jakob Burtschi. „Wir haben den Spielern immer viel Selbstvertrauen gegeben, selbst wenn sie einige Schwächen hatten“, erklärt Freyer seine Grundsätze.

+++ Über die Serie +++

In der Serie „Kabinengeflüster“ sprechen aktuelle und ehemalige Größen des Hagener Basketballs über prägnante, kuriose und witzige Momente ihrer Laufbahnen.

Die Serie hat unsere Zeitung in Zusammenarbeit mit den Basketballern Yannick Opitz und Sören Fritze, die bei Erstregionalligist BBA Hagen aktiv sind, ins Leben gerufen. Beide spielen seit 2018 für die BG bzw. BBA Hagen.